(USA 2016) Regie: Keith Maitland Darsteller: Violett Beane, Louie Arnette, Blair Jackson
Monday, Monday, so good to me „Monday, Monday“ –The Mamas and the Papas, 1966
Mit diesem Popklassiker und zeitgenössischen schwarz-weiss Bildern vom Campus der „University of Texas at Austin“, eröffnet diese „Dokumentation“ über einen Sniper, der am 1. August 1966 vom Turm der Universität aus 12 Menschen erschoss und weitere mehr als 30 teilweise schwer verletzte. Ein perfider Amoklauf, den man – so pervers das jetzt klingen mag – als Geburtsstunde des „modernen“ Schulmassakers sehen kann und der bereits im Jahr 1968 Peter Bogdanovich zu seinem Erstling „Targets“ (dt. „Bewegliche Ziele“) inspiriert hat. Damals aber stand der Sniper im Vordergund und der eigentliche Kern des Filmes war eine versteckte Kritik am Hollywood-System, dass dem Helden des Killers, dem Horrorstar Orlock (Boris Karloff, in seiner letzten großen Rolle) keine interessanten Rollen mehr geben wollte, und ihn deshalb ausklinken liess. Sicherlich, ein böser kleiner Film, der auch heute noch überzeugt, aber denoch eine „Verniedlichung“ des Originalfalles, der ungemein grausamer und kaltblütiger war. Um eine genauere Darstellung der Ereignisse bemühte man sich im Jahr 1975 in dem TV-Film "The Deadly Tower" (Turm des Schreckens), in dem Kurt Russel den Sniper spielte. Hier hielt man sich erstaunlich detailgetreu an die Ereignisse des Tages, versuchte aber dem Täter eine entschuldigende Geisteskrankheit zu diagnostizieren. Regisseur Keith Maitland geht das Material zuerst einmal komplett dokumentarisch an. Alle Voice-Overs im Film stammen aus Interviews mit Überlebenden und Zeitzeugen des Massakers. Wo andere Dokumentationen aber „Talking Heads“ einsetzen und das wenige verbliebene Originalfilmmaterial dazwischen schneiden würden, geht er einen komplett anderen Weg. Bereits bei der oben angesprochenen Einleitungsszene bewegt sich mitten zwischen den schwarz-weissen über den Campus schlendernden Studenten ein deutlich in plastischen Farben gehaltenes Pärchen – ein gezeichnetes Pärchen um genau zu sein. Maitland hat nach den Erzählungen der Interviewpartner ihre Erlebnisse, mehr oder weniger im Hinterhof seines Hauses mit unbekannten Schauspielern nachgedreht, „rotoskopiert“ also nachträglich überzeichnet und so zu einer stringenten Handlung zusammengeschnitten. So erleben wir den Amoklauf sozusagen vom Fuss des Turmes aus, erzählt von Menschen, die sich zu Helden mauserten oder zu Feiglingen mutierten und sich ihr gesamtes Leben dafür schämten, aber auch durch die Augen einer schwerverletzten jungen Frau die nahezu eine Stunde lang mitten auf dem offenen Platz genau in der Schußlinie des Amokläufers lag und zu verbluten drohte – neben ihrem gerade erschossenen Freund, im achten Monat ihrer Schwangerschaft und bei Temperaturen wietüber 30 °.. Dank der Animation komplett befreit vom Korsett eines „normalen“ Filmes nutzt der Regisseur hier alle Tricks und setzt den Zuschauer mitten hinein in das Chaos, die Angst und den Schmerz. Der Amokläufer selbst bleibt bei alledem unsichtbar, eine latente und immer vorhandene Gefahr, die jederzeit ohne Sinn, Verstand oder Überlegung wieder zuschlagen kann. Gerade dadurch aber, dass der Schrecken weder ein Gesicht noch eine Geschichte hat, bleibt das Grauen unmittelbarer und trifft den Zuschauer dort, wo es wirklich weh tut. Zusätzlich hat „Tower“ aber – sowohl in visueller als auch in erzähltechnischer Hinsicht - auch noch etliche Überraschungen zu bieten, auf die ich hier verständlicher Weise nicht eingehen werde. Natürlich wird zum Ende des Filmes hin auch noch eine Verbindung zu „modernen“ Schulmassakern gezogen und wenn zwischenzeitlich Zivilisten mit ihren Waffensammlungen auftauchen und beginnen auf den Turm zu schiessen, dann ist das speziell im Zuge der momentanen Situation in Amerika gänsehauterzeugend, das geschieht aber ohne den moralischen Zeigefinger und eher „Matter of Fact“-mässig und zerstört dadurch nicht das zentrale Element des Filmes. Denn bei allen optischen und erzähltechnischen Finessen geht es Maitland deutlich darum, den wirklichen Schrecken einer solche Extremsituation zu vermitteln, der sich normalerweise hinter all den Schlagzeilen und der heutzutage üblichen Überbebilderung verbirgt und den Rezipienten nicht wirklich erreicht. Dies mittels nahezu komplett künstlichen Bilder zu versuchen ist ein Wagnis, dass sich nach dem Sehen des Filmes als komplett gelungen bezeichnen lässt. Kaum ein Film in den letzten Jahren (selbst aus dem Bereich Horror oder Thriller) hat mich mehr schockiert, hat mir mehr Angst gemacht und mich tiefer berührt. Von der ersten Minute an erzeugt „Tower“ einen Sog, dem man sich nicht mehr entziehen kann. „Tower“ ist ein kleines aber feines Meisterwerk bei dem man wieder einmal mehr NETFLIX dankbar sein kann, dass es durch die Verbreitung auf der Streamingplatform ein größeres Publikum erreicht. Angucken... Dia
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