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Son of the White Mare - Sohn der weißen Stute

(Ungarn 1981)

Regie: Marcell Jankovics

Drehbuch: Marcell Jankovics, László György

Kamera: Zoltán Bacsó

Musik: István Vajda

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"Halt an, Burg, oder ich hau dich in Stücke!"

Mit "Fehérlófia - Sohn der weißen Stute" kommt mit fast vierzigjähriger Verspätung ein nahezu unbekanntes Meisterwerk des Animationsfilm in die deutschen Kinos. Nachdem er eigentlich nur in seinem Heimatland Ungarn nennenswerte Verbreitung fand, gab es ihn später (im Ausland) nur als farbstichige Videoversion. Doch vergangenes Jahr bekam er eine 4K-Restauration spendiert und hat nun eine neue Chance die Anerkennung zu bekommen, die er schon immer verdient hat.

feher 002Der Film stammt aus der unseligen Zeit, als ein eiserner Vorhang die Welt in Ost und West teilte. Diese zum Glück überstandene, aber von einigen Zeitgenossen wider besseren Wissens trotzdem gerne mit Wörtern wie "gut" und "alt" beschriebene Ära, hatte für den Filmfan tatsächlich einen Vorzug: Im ewigen Propaganda-Wettstreit der beiden Systeme leistete sich der Ostblock eine eigene Filmindustrie, die es zwar nicht mit dem technischen Aufwand der westlichen Produktionen aufnehmen konnte, aber dafür handwerklich mindestens ebenbürtig war. Darüber hinaus waren die Macher nicht an kapitalistisch bewährte Inszenierungs-Schemata gebunden, so dass sie oftmals mit unkonventionellen Erzählstilen und epischer Bildsprache punkten konnten. Viele Perlen aus dieser Zeit warten noch darauf endlich einmal in hiesigen Gefilden entdeckt zu werden. So eben auch "Fehérlófia".

Mit Held Janos hatte der Animator und Regisseur Marcell Jankovics bereits 1973 den ersten ungarischen Animationsspielfilm geschaffen, welcher auf dem gleichnamigen Epos des ungarischen Nationaldichters Sándor Petőfi beruht. Darüber hinaus bekam er im kapitalistischen Ausland internationale Anerkennung für seine Kurzfilme. So gab es für Sisyphus eine Oscar Nominierung und für Küzdök sogar die Goldene Palme in Cannes.

feher 003Neben seiner Tätigkeit als Zeichner und Regisseur bestätigte sich Jankovics als Kulturhistoriker und schuf nach dreijähriger Forschung eine umfassende Abhandlung über europäische und asiatische Mythologie und Astrologie. Auf dieser Grundlage fand er in dem in Osteuropa und insbesondere in Ungarn sehr beliebte Volksmärchen "Fehérlófia" sein nächstes Projekt. Er kombinierte die klassische Version von Arany László mit der Interpretation von Gyula Illyés und erweiterte sie um weitere Mythen aus seinem erarbeiteten Fundus.

Somit bestand eine sehr gute Ausgangsbasis, um dieses Projekt auch bei den politischen und fachlichen Entscheidungsträgern durchsetzen zu können. Als klassische Vorlage war die Geschichte schon mal politisch eher unverfänglich und Jankovics selbst konnte sowohl nationale als auch internationale Reputation vorweisen. Da es sich aber quasi auch noch um Nationalliteratur handelte, stand einer Produktion im Prinzip nichts mehr im Wege. feher 011Es mussten nur noch die Zensoren überzeugt werden, weshalb es noch sechs oder sieben Drehbuchentwürfe bedurfte bis das Werk dann auch als kompatibel mit dem marxistisch-leninistischen Weltbild eingestuft wurde.

Die Geschichte ist simpel: Ein großes Königreich ging einst unter weil drei Prinzessinnen drei gefährliche Drachen befreiten, um nun mit selbigen zwangsvermählt in der Unterwelt zu hausen. Eine weiße Stute flüchtet derweil in einen hohlen Baum und bring einen Jungen zu Welt. Dieser wird durch die Muttermilch sehr sehr stark bis er als Baumausreißer (Fanyüvő / Treetearer) na ja, eben Bäume ausreißen kann. Er verlässt die sterbende Mutter und verbündet er sich mit seinen Brüdern Steinbröckler (Kőmorzsoló / Stonecrumbler) und Eisenkneter (Vasgyúró / Ironkneader) um gemeinsam die Drachen zu besiegen.

Erzählt wird die Story wie ein vorgelesenes Märchen. Die magische Zahl 3 ist genretypisch überproportional vertreten und wenn es mal nicht die 3 ist, dann ist es die 7. Es gibt keine dramaturgische Ausschmückung und auch keinerlei Charakterentwicklung. Nein die Geschichte wird wirklich pur serviert. Das Erzähltempo ist gemächlich, aber keinesfalls langatmig. Eben wie vorgelesen. feher 005Das geht sogar so weit, dass an einer Stelle der Text gar nicht mehr mit den Bildern übereinstimmt. Eigentlich ist so eine Herangehensweise der Todesstoß eines jeden Films, aber hier funktioniert es, denn letztendlich geht es gar nicht um das Erzählen. Es geht um die Bilder!

Und hier ist "Fehérlófia" wirklich bombastisch! Und psychedelisch! Alles ist permanent in Bewegung und es wirkt wie ein einziger bunter Traum. Optische Gesetze werden gedehnt und gebrochen (na an welchen Film erinnert das?) und man ergibt sich diesem Farbenflash nur all zu gerne. Und auch wenn die Vermutung auf der Hand liegt, so behauptet Jankovics steif und fest, dass er bei der Produktion keinerlei bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich genommen hätte. Wenn man sein sonstiges Schaffenswerk zum Vergleich hinzuzieht, welches eher von einer konservativen Attitüde geprägt ist, mag man das eigentlich kaum glauben.

feher 016Seine Aussage ist aber ist aber in sofern wirklich glaubhaft, als dass es bei der Produktion arge Probleme gab, die im Drogenrausch wohl kaum zu bewältigen wären. So war die Entscheidung, die Figuren nicht, wie damals (?) üblich, durch schwarze Ränder abzugrenzen, bei weitem nicht nur künstlerisch sehr umstritten. Da Figuren auf diese Art dazu tendieren mit dem Hintergrund zu verschwimmen, war die Arbeit der Coloristen sehr schwierig, was ihrerseits zu energischen Protest führte, der am Ende nur durch eine Gehaltserhöhung besänftigt werden konnte. Optisch hat sich die Abkehr von den Konventionen definitiv gelohnt, denn immer wieder durchbrechen die Bilder die Sehgewohnheiten des Zuschauers und halten die Aufmerksamkeit hoch.

Aber auch jenseits dieser Konflikte waren die Produktionsbedingungen ziemlich schwierig. Untergebracht in einer hölzernen Baracke litten die Macher an schlechtem Filmmaterial und untauglicher Farbe, die teilweise vom Celluloid wieder abbröckelte. Auch die Zeichner der Zwischenbilder erwiesen sich ihrer Aufgabe nur teilweise gewachsen, weshalb die Mimik der Charaktere auf ein Minimum reduziert wurde. Doch auch dieser Umstand erwies sich hinsichtlich der einzigartige Optik letztendlich als Vorteil. feher 017Im Meer dieser permanent auf einen einprasselnden Bilderflut bieten die stoischen Gesichter einen Ruhepunkt und erinnern an Gemälde in einem Museum. Allerdings eins durch das man gerade mit einem Sportwagen fährt.

Zu dieser grandiosen Szenerie gesellt sich ein nicht minder faszinierender Soundtrack aus elektronischen Klängen und psychedelischen Space Rock. Er gibt dem Film eine sowohl sphärische als auch sehr dynamische Stimmung und ergänzt sich fantastisch mit den Bildern. Durch das Ungarische ergibt sich noch einmal eine ganz besondere Note. Die Sprache ist in ihrem Grundwesen sehr auf Klangharmonie bedacht und verzichtet auf grammatische Füllwörter, indem die Wörter sehr komplex in die gewünschte Form konjugiert und dekliniert werden. Das sorgt (zumindest für Nicht-Ungarn) für einen faszinierend-komprimierten Wohlklang, der ebenfalls sehr zur Atmosphäre passt.

Aber damit ist der Reiz von "Fehérlófia" noch nicht erschöpft. Die verwendeten Allegorien und Metaphern bieten viele Ansatzpunkte um noch viel tiefer in die Story einzutauchen. So sind die Prinzessinnen und Drachen keinesfalls stereotypische Abbilder wie man sie aus üblichen Produktionen kennt. Die holden Damen sind eigenständige Charaktere mit viel freudschem Interpretationspotential. feher 007Die Drachen wiederum sind in ihrer Art höchst überraschend und übernehmen die gesellschaftskritische Komponente. Selbst im Abspann legt Jankovics noch einmal kritisch nach. Sexuelle Anspielungen gibt es natürlich auch, aber zumindest der Wortwitz bleibt wohl den Muttersprachlern vorbehalten und bleibt in jeglicher Hinsicht "lost in translation".

Der Einfluss der Zensoren lässt sich vor allem an einem Punkt festmachen. Die Geschichte war als immer wiederkehrender Zyklus angesetzt, was sich auch bildlich in vielen Kreisen widerspiegelt. Da aber gemäß der Lehre von Karl Marx Geschichte immer linear erfolgt, musste hier korrigiert werden. Dem Unterhaltungswert tut dies wenig Abbruch, aber es zeigt wieder einmal sehr schön, wie sinnentleert und unqualifiziert Zensoren denken und "arbeiten". Hauptsache reingeredet, der Rest ist egal.

An der Kinokasse war dem Film leider kein besonderer Erfolg vergönnt. Mit knapp 500000 Zuschauern blieb er deutlich unter der erwarteten Mindestmarke von einer Million. Nachdem Held Janos im Ausland wenig Interesse hervorgerufen hatte, bestand nun seitens Jankovics kein Interesse an einer internationalen Vermarktung. feher 006Entsprechend gering war auch die Wahrnehmung. Außer dem 49. Platz (von 50!) bei der 1984 in Los Angeles abgehaltenen "Olympiad of Animation" erweckte der "Sohn der weißen Stute" keine weitere Aufmerksamkeit.

Eine Ursache liegt auch daran, dass "Fehérlófia" eigentlich für Erwachsene gedacht war, die aber Zeichentrick als primär für Kinder verorteten und wenig Interesse zeigten. Auch die Kritik hielt sich sehr bedeckt. Andererseits zeigte sich mit der Zeit, dass der Film gerade bei Kindern großen Anklang findet. Diese mögen die auch ohne die Metaphern verständliche Geschichte und sind unkonventionellen Stilen in der Regel sehr viel aufgeschlossener als Erwachsene.

Aufgeschlossen wie unsere treuen Leser bei Evil Ed nun auch einmal sind, habt Ihr nun bestimmt auch Lust auf den Film bekommen. Er wird von Bildstörung am 13.8.2020 in die deutschen Kinos gebracht. Die Liste der Spieltermine ist allerdings noch erschreckend kurz. Darum nervt Eure Programmkinos, denn diesen Film auf der großen Leinwand zu sehen wird der helle Wahnsinn!

Sören

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