(USA 2011) Regie: Lucky McKee Drehbuch/Vorlage: Lucky McKee, Jack Ketchum Musik: Sean Spillane Kamera: Alex Vendler Darsteller: Pollyanna McIntosh, Lauren Ashley Carter, Sean Bridgers, Angela Bettis That is not civilised behaviour! Bei „The Woman“ handelt es sich um die Fortsetzung von „Offspring/Beutegier“ (2009, Review hier) und somit um die Verfilmung des dritten Teils von Jack Ketchums Buchtrilogie, seiner sogenannten „Dead River Serie“. Um die Sache jetzt noch verwirrender zu machen, ist im Jahr 2019 auch noch ein Film mit Namen „Darling“ erschienen, der das Finale der Filmtrilogie bildet, mit der Buchtrilogie allerdings – dank des überraschenden Todes von Ketchum im Jahr 2018 – nichts mehr zu tun hat. Brummt Euch bereits der Schädel? Gut – dann also weiter. Das erste und bislang unverfilmte Buch der „Dead River Serie“ – Off Season/Beutezeit – erschien 1979 erstmals, wurde aber erst 1998, also fast zehn Jahre nach dem Erscheinen des zweiten Teiles – Offspring/Beutegier, 1991 – erstmals unzensiert veröffentlicht. Der dritte Teil, auf dem der vorliegende Film basiert, wurde von Ketchum zusammen mit Regisseur Lucky McGee geschrieben und erschien gleichzeitig zum Filmstart. Somit dürfte auch klar sein, dass es sich um eine „etwas andere“ Buchverfilmung handelt und im Gegensatz zu z.B. der King/Kubrik-Debatte bei „The Shining“, sowohl Regisseur als auch Autor höchst zufrieden waren. Aber wie sieht das Ganze denn für den unbedarften Zuschauer aus? Nunja, wer Jack Ketchum – wie in der deutschen Presse üblich – nur auf seine, sicherlich in seinen Büchern vorkommenden, Gewaltexplosionen beschränkt und somit seine großartigen Charaktere ignoriert, dürfte ein wenig enttäuscht sein, denn „The Woman“ ist nur vordergründig ein „normaler“ Horrorfilm. Chris Cleek (Sean Bridgers) ist ein erfolgreicher Anwalt in einer amerikanischen Kleinstadt in Main. Anerkannt und beliebt und mit einer typisch amerikanischen Familie inklusive SUV und einer schicken Farm abseits des Städtchens, stellt er auf den ersten Blick das Idealbild des mittelständischen US-Amerikaners dar. Eines Tages entdeckt er während eines Jagdausfluges eine verwilderte Frau und beschließt diese einzufangen, um sie zu einem „zivilisierten Wesen“ zu erziehen. Er bereitet den zur Farm gehörigen Obstkeller vor, fängt die Wilde ein und fesselt sie dort um mit ihrer „Erziehung“ zu beginnen. Das würde jetzt für einen „klassischen“ Torture-Porn reichen, aber aufgrund dieses – tatsächlich noch nicht einmal im Ketchum-Universum neuen (vgl. „The girl next Door“) – Grundplots entwickelt sich ein tiefgründiges und vielschichtiges Horror-Drama, bei dem jede einzelne Figur eine Entwicklung durchmacht. Am einfachsten ist das noch bei den beiden Hauptcharakteren selbst zu erkennen. Chris zeigt bereits nach wenigen Minuten sein wahres und grausames Gesicht. Der „clean-shaven all american guy“ ist in Wirklichkeit ein frauenverachtendes sadistisches Arschloch, das weder zu Empathie noch zu Liebe fähig ist. Jeder andere Mensch hat sich ihm und seiner Lebensphilosophie – in deren Mittelpunkt er alleine steht – unterzuordnen. Sean Bridgers spielt das einfach nur großartig und es macht wirklich Spaß ihn zu hassen. Pollyanna McIntosh, spielt die – eventuelle, dazu später mehr – Titelfigur, die ja aus dem letzten Film als eine eher zielgerichtete Kannibalin bekannt ist, hauptsächlich mit der bekannten Wildheit, lässt aber auch in den wenigen ruhigen Momenten, die der Figur spendiert werden, tief in ihr Innerstes blicken. In Sachen Emotionalität erweist sie sich sozusagen als direktes Gegenstück zu ihrem Peiniger. Richtig interessant wird es aber, wenn man sich die Familie Cleek genauer anguckt. Chris Ehefrau Belle, wird großartig dargestellt von Angela Bettis, die ja bereits seit „May“ auf ähnliche Figuren festgelegt ist. Sie ist eine Art „graue Maus“ und zu Beginn des Filmes wird dem Zuschauer noch nicht ganz klar, warum sie eigentlich so in sich gekehrt ist. Auch ihr Charakter schafft es erst spät im Film sich von den Fesseln ihres Mannes wirklich zu befreien – allerdings natürlich viel zu spät um die Katastrophe noch abwenden zu können. Der Sohn der Familie, der pupertierende Roger (Chris Krzykowski) versucht mit allen Mitteln den Standards und dem Vorbild seines Vaters zu entsprechen und ist – dank dieser Form der Unterwürfigkeit und seiner Männlichkeit - die einzige Figur, die Chris tatsächlich als Mensch wahrnimmt. Offensichtlich hat Roger sich bereits zu Beginn des Filmes einiges an Taktiken bei seinem Idol abgeguckt und verhält sich, vor allem gegenüber weiblichen Mitschülern, ebenso verachtend. Die 17-jährige Tochter Peggy (Lauren Ashley Carter) hingegen scheint ganz nach ihrer Mutter zu kommen und in der Schule das Mauerblümchen zu sein. Hier allerdings stellt sich schnell heraus, dass es sich um eine Verändeurng handelt, die erst vor kurzem begonnen hat und auch von den Lehrern als auffällig erkannt wird. Letztlich gehört noch die fünfjährige Darlin‘ (Shyla Molhusen) mit zur Familie, die von dem Terror des Verbundes entweder noch komplett unbeeinflusst oder die Situation niemals anders kennengelernt hat. Die Unschuld dieses Kindes und die lauernde Gefahjr, dass es mit in den Sumpf aus Gewalt und Unterdrückung gezogen wird, ist sozusagen noch die Kirsche auf der Torte. Offensichtlich also gibt es in der Familie noch einige Leichen im Keller (und nicht nur da) und einige davon werden auch, glücklicherweise erst im Finale, aufgedeckt. Als der Film im Januar 2011 auf dem Sundance-Festival seine Premiere hatte bekam er große Aufmerksamkeit alleine dadurch, dass ein Zuschauer mitten ind er Vorstellung das Kino verliess und lauthals ein Verbot des „frauenfeindlichen“, „gewaltverherrlichenden“ und generell „schlechten“ Filmes ersuchte. Ketchum und McGee verhielten sich analog der Prämisse „Jede Werbung ist gute Werbung“ und beschlossen die Aktion weitestgehend zu ignorieren. Leider hatten sie damit schwer unterschätzt, das es sich bei diesem – eher simpel gestrickten – Zuschauer nicht um einen Einzelfall handelte. Wer hätte denn auch ahnen können, dass nur ziemlich genau 5 Jahre später solcherlei Leute den Präsidenten der USA bestimmen konnten. Dabei ist es natürlich für jeden mit einem mehr als zweistelligen IQ recht einfach all diese Kritik mit wenigen Worten zu widerlegen. Nehmen wir zuerst einmal den Vorwurf, dass es sich um einen gewaltverherrlichenden Film handeln soll. Sicherlich hat „The Woman“ einige Gewaltspitzen, so dass – um es mal simpel zu sagen – Gorehounds auf ihre Kosten kommen werden. Auf der anderen Seite sind es aber speziell die Szenen psychischer, also nicht körperlicher Gewalt, die den Zuschauer wirlich betroffen machen. Da sind manchmal nur ein paar Blicke und wenige Worte nötig um das Grauen dieser disfunktionalen Familie zu verdeutlichen und das beherrscht gerade Lucky McGee auf eine ganz einzigartige Weise. Womit wir den Kritikern auch direkt den Zahn ziehen können, dass es sich um einen schlecht inszenierten Film handelt. Mal ganz davon abgesehen, dass McGee nach Aussagen der Schauspieler fast schon kubriksche Züge zeigt und manche Szenen bis zu 40 Mal wiederholen lässt, straft der visuelle Stil das geringe Budget des Filmes Lügen. Zusätzlich nutzt er die Musik auf eine ganz besondere Weise und verzichtet weitgehend zu Gunsten von Pop-Rock-Songs von Sean Spillane auf einen „echten Score“. Trotzdem aber bekommt jede Figur ihren „eigenen Song“ mit einem zu ihrer Situation passenden Text. Am peinlichsten aber ist wohl der Vorwurf „The Woman“ wäre ein frauenfeindlicher Film. Sicherlich ist die Hauptfigur ein absoluter Frauenhasser, aber in keiner Sekunde ist man als Zuschauer auch nur im Entferntesten auf seiner Seite. Zusätzlich sind die eigentlich wichtigsten Charaktere des Filmes nun offensichtlich die vier (bzw. am Ende fünf) weiblichen Figuren, die sicherlich viel erleiden müssen, aber denen auch durchweg die Sympathie und das Hauptinteresse des Filmes gilt. Dementsprechend wird es auch nicht wirklich klar, ob der Titel nun die Einzahl oder die Mehrzahl des englischen Wortes darstellt. So erweist sich „The Woman“ letztendlich als ein weiterer gelungener Vertreter des Untergenres „Horror Drama“, der sich nicht einfach als Unterhaltungsware goutieren lässt, sondern noch lange im Kopf des Zuschauers nachwirkt. ZUM AKTUELLEN RELEASE VON ARROW-VIDEO Was Arrow hier zusammengestellt hat kann man ohne Zögern als Referenzklasse bezeichnen. Bild und Sound des Hauptfilmes sind erwartungsgemäss perfekt, aber was die Extras betrifft kann man wohl kaum mehr auf eine BluRay packen. In der zum Erstveröffentlichstag (25.05.2020) erhältlichen (und sicherlich bereits ausverkauften) Version gibt es zuerst einmal ein 40-seitiges Booklet mit drei langen Artikeln über die Entstehung des Filmes, Lucky McGees Karriere und einer Abhandlung über Gewalt in der Ehe. Zusätzlich hat Arrow sich nicht lumpen lassen und exklusiv zur Erstauflage auch noch - den komplett neu restaurierten - „Offspring“ als BluRay dabeigepackt. Hier finden sich unter anderem eine brandneue Making Of-Dokumentation, einige neue Interviews und gleich zwei Audiokommentare. In der normalen Retail-Fassung gibt es aber auch etliches an Zusatzmaterial. „The Woman“ wurden gleich vier Audiokommentare (davon drei brandneu und nie vorher veröffentlicht) spendiert. Weitere Highlights sind unter anderem ein aktuelles Interview mit Lauren Ashley Carter, ein Making Of von 2011, diverse kurze Clips aus dem US Kabel-TV, ein Kurzfilm des Cutters, ein Musikvideo des Komponisten, einige deleted Scenes und eine einstündige Panel Diskussion mit McGee und anderen Indie-Regisseuren (u.a. Adam Green, Joe Lynch und Ti West) pber den aktuellen Stand des US-Horrorfilms. Als ein zweischneidiges Schwert entpuppen sich die von McGees Vater bei den Dreharbeiten mitgefilmten Szenen, die einfach nur ohne weiteren Kommentar zusammengeschnitten wurden und auf die Dauer von 75 Minuten doch etwas ermüdend wirken. Solltet ihr also die limitierte Erstauflage noch finden müsst ihr einfach zuschlagen. Sicherlich ist die „normale“ Fassung auch toll, aber ohne finanziellen Mehraufwand gleich zwei Filme zu bekommen ist nicht der schlechteste Deal. dia |
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