(Deutschland 2017) Regie: Kai E. Bogatzki Drehbuch: Kai E. Bogatzki, Marc Engel Kamera: Philipp Peißen Executive Producer: Sascha Goldbach Makeup-FX: Philipp Rathgeber Darsteller: Marc Engel, Alexia von Wismar, Dirk Sonnenschein, Constanze Wetzel „I‘m not gonna hurt you … I gonna kill you … really really bad. “ Eifrigen EVIL ED-Lesern dürfte es bereits bekannt sein, dass mich mit dem deutschen Independent-Film eine Hassliebe verbindet. Sicherlich gibt es einige großartige Werke, die wir hier auch gerne und durchaus positiv besprechen (z.B. Tretbootfahrer, Blockbuster oder Marcel Waltz’s überraschendes Blood Feast Remake), aber um diese zu finden, muss man sich halt durch eine ganze Menge Müll wühlen (z.B. das Violent Shit-Remake oder Dr. Wolffenstein). So ging ich also auch mit einigermaßen langen Zähnen (und einem großen Biervorrat) an das Öffnen des – großartig gestylten – Mediabooks von Wicked-Vision. Überraschender Weise handelt es sich bei „Scars of Xavier“ nun doch nicht um eine Kamerafahrt über den geschundenen und nicht durch Adenochrome verschönerten Körper von Xavier Naidoo, sondern um einen richtig ansehbaren Serienkillerfilm, wie man ihn aus deutschen Landen weder erwartet, noch zuvor jemals geboten bekommen hat. Der Film beginnt mit einem Zitat von Jeffrey Dahmer über seine nicht vorhandenen Emotionen und beantwortet somit direkt die Frage, ob den Zuschauer ein lustiger Slasher erwartet. Eine kurze Actionszene zeigt uns nun wie unser Protagonist in Rom dem Zugriff eines SEKs entkommt und irgendwie gibt das dem alten Horrorfan ein wohliges Gefühl, glaubt man sich doch zurückgeworfen in die gute alte Zeit des Pasta-Splatters. Doch weit gefehlt, denn erstens handelt es sich tatsächlich um die einzige Actionsequenz des Filmes und zweitens spielt der Rest des Filmes in Prag wohin sich unser Verfolgter nun flüchtet. Von nun an lässt sich die eigentliche Handlung in wenigen Worten zusammenfassen, denn in der Folge begleiten wir Xavier, dessen Namen wir erst weit im zweiten Drittel des Filmes tatsächlich erfahren, durch seinen Alltag, der sich als wenig alltäglich entpuppt. Denn auch wenn er im Hauptberuf Waschlederer bei einer Autowaschanlage ist und sein Tagesablauf sich als eher langweilig darstellt, so zieht er allnächtlich durch die Straßen der goldenen Stadt und erlegt seine Opfer – meistens weiblich und meistens mit einer nahezu gnadenlosen Brutalität. In Rückblenden erfahren wir nach und nach was zu seiner Obsession geführt hat und wenig überraschend handelt es sich um einen mehr oder weniger klassischen Mutterkomplex. Zum Ende des Filmes hin wird der Zuschauer dann komplett in den Kopf des Protagonisten geführt. „Scars of Xavier“ entpuppt sich als ein gnadenloses und in keinster Weise beschönigendes Portrait eines Serienkillers, wie man es selten erleben durfte. Wo Filme wie „Henry – Portrait of a serial killer“ noch durch schwarzen Humor die Distanz wahrten oder diverse Dokudramen über John Wayne Gacey und Co. bei der Gewaltdarstellung zurückhaltend blieben oder sich gleich auf eine Abfolge von talking Heads und die Arbeit der verfolgenden Ordnungskräfte beschränkten, lässt „Xavier“ sämtliche filmischen Abstandsregeln links liegen. Kai E. Bogatzkis Langfilmdebut geht dahin wo es weh tut und bleibt durchgehend an – und über weite Strecken sogar mittels Rückblenden in - seinem Protagonisten. Es gibt keinerlei Reflektion über die gezeigten Taten, aber genau so wenig bietet der Film dem Zuschauer die Möglichkeit durch einen Perspektivwechsel – z.B. auf die sicherlich im Hintergrund stattfindende Polizeiarbeit – der allgemeinen Düsternis zu entkommen. Ich persönlich habe bisher nur einen einzigen Film erlebt, der auch nur ansatzweise diese Nähe zu einem Psychokiller durchgehalten hat und das war William Lustigs Meisterwerk „Maniac“, der ja bekanntlich aus dem Jahr 1980 stammt und heute noch umstritten ist (und hierzulande dementsprechend bis vor kurzer Zeit noch verboten war). Dass ich diesen Vergleich nicht leichtfertig ziehe dürfte auch jedem klar sein, der mich und meine unbändige Liebe zu Maniac kennt. Ja, ich gehe dementsprechend sogar noch weiter und würde sogar die Leistung von Hauptdarsteller Marc Engel mit der des eigentlich unvergleichlichen Joe Spinell nahezu gleichsetzen, denn beide gehen bis an ihre körperlichen und geistigen Grenzen um ihre Figuren darzustellen. Wie aus den Extras des Mediabooks ersichtlich führte das unter anderem dazu, dass Engel teilweise direkt am Drehort schlief, sich bis auf 52/53 Kilo herunterhungerte und zum Ende hin bewusst selbst verletzte. Ebenso vergleichbar ist die Qualität und der Schockfaktor der Makeup-Effekte, gestaltet von Latexzauberer Philipp Rathgeber, die tatsächlich ähnlich realistisch rüberkommen wie die mittlerweile klassischen Tricks von Tom Savini. Zusätzlich werden diese Setpieces auch noch von Kameramann Philipp Peißen perfekt eingefangen ohne in den „wir halten drauf bis auch der letzte noch den Blutschlauch und die Makeup-Ränder sieht“-Modus sonstiger deutscher Splatterepen zu verfallen. Generell ist der Film, so fern das bei diesem Sujet möglich ist, äußerst ansehnlich gestaltet. Eine geschickte und unauffällig eingesetzte Farbdramaturgie sorgt dafür, dass die Szenen aus Xaviers „normalen“ Leben kalt und abweisend wirken während sich seine Taten teilweise in fast schon argentoesquen Farbräumen abspielen. Womit wir auch einen eleganten und unaffälligen Schwenk zur Musik des Filmes gemacht haben. Beginnend mit einem Titelthema von Electromusiker Jan Loamfield, dass deutlich an italienische Ware aus den 80ern erinnert, webt dann Klaus Pfreundner einen darauf basierenden Soundteppich, der das Giallo-Feeling in einigen Szenen stark unterstützt. Ein weiteres Highlight des Filmes ist natürlich auch der Schnitt, den Regisseur Kai E. Bogatzki, der diesen Job ja unter anderem auch bereits beim Blood Feast-Remake inne hatte, auch selbst übernommen hat. Speziell eine Tötungsequenz, die ich im Gegensatz zu anderen Publikationen nicht spoilern werde, hat das Zeug zum Klassiker zu werden und gibt dem Film ein weiteres Alleinstellungsmerkmal – „Scars of Xavier“ ist der Film mit dem *********-Mord. Haben wir es nun also tatsächlich mit einem perfekten Film aus deutschen Landen zu tun? Natürlich nicht, denn eine Sache hat mich immer wieder kurzfristig aus dem Sog herausgerissen und das war die Entscheidung, den Film in englisch zu drehen. Sicherlich bietet sich ein derartiges Vorgehen in Hinsicht auf den internationalen Markt an und das Team hat sich auch weitgehend Mühe gegeben, die Dialoge mit der nötigen osteuropäischen Färbung zu versehen, aber leider merkt man bei einigen Schauspielern deutlich, dass sie nicht in ihrer Muttersprache spielen und teilweise ihre Dialoge phonetisch gelernt haben. Ironischerweise fällt hier zuerst Constanze Wetzel, die in den Rückblenden Xaviers Mutter spielt, besonders negativ auf. Dank der düsteren und mitreissenden Gesamtatmosphäre des Filmes ist das aber nur ein kleiner Wermutstropfen. „Scars of Xavier“ ist sicherlich kein Film für jedermann. Splatterfans ohne höheren Anspruch werden sich wahrscheinlich im Gesamten eher langweilen, Horrorfans, die leichte Unterhaltung suchen sollten ob der düsteren Gesamtwirkung des Filmes die BluRay lieber meiden und sich den 1000sten Billigslasher ansehen. Echte EDdies hingegen werden ihn, trotz der angesprochenen Schwächen, lieben. ZUM MEDIABOOK VON WICKED-VISION Wicked spendiert dem Film ein überaus angemessenes Release mit drei verschiedenen Coverversionen. Der Film liegt hierbei – labelüblich - als BluRay und DVD vor. Im 24-seitigen Booklet geht Dead End Chefredakteur Mike Blankenburg sehr auf die psychologische Seite des Filmes und auf die vielen kleinen Anspielungen auf andere Genreklassiker ein, die sich bei genauerem Hinsehen entdecken lassen. Es empfiehlt sich daher für genreaffine Zuschauer es erst nach dem Filmgenuss zu lesen. Als Extra findet sich zuerst einmal ein 45-minütiges Making Of, bei dessen Sehen man bemerkt mit wieviel Herzblut und Engangement jeder der Beteiligten an diesem Projekt gearbeitet hat und welche Hürden es zu überwinden galt. Einige längere Einzel-Interviews vertiefen diese Eindruck noch. Zusätzlich finden sich noch einige höchst interessante Deleted Scenes, ein Musikvideo und ein Making of der deutschen Synchronisation auf der Scheibe. Alles in allem hat Wicked hier wieder ein Paket zusammengeschnürt, dass den Kauf lohnt. Ein besonderer Dank auch dafür, dass ein doch eher kleiner Film wie „Scars of Xavier“ eine solch tolle VÖ bekommt. dia P.a.: Regisseur Kai E. Bogatzki wird mir in der August-Ausgabe unseres Podcast-Formats „EVIL ED SPECIAL“ in einem 1:1 Interview zur Verfügung stehen und dort auch über seine aktuellen und geplanten Projekte, sowie natürlich über seine Genreaffinität reden. Unsere aktuellen Podcasts: |
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