fabulos

Vorwort von Christopher Derayes

Cover von Martin Trafford

168 Seiten im Selbstverlag

Seit Stephen King in den frühen 1980er Jahren die Horrorliteratur aus dem Ghetto befreit hat, hat sich viel getan. Autoren wie Dean Koontz, Clive Barker oder der 2018 verstorbene Jack Ketchum brachten den Verlagen gute Gewinne und das Spiel mit dem Grauen fand einen Weg in den Mainstream. Ja, im Endeffekt sind die beliebten und massentauglichen harten Thriller, die momentan die Regale der Buchhandlungen und die Taschen der Verleger füllen nichts anderes als Krimis, die mit den Zutaten der ehemaligen Schmuddellektüre verfeinert sind.

Das eigentlich Zielpublikum wandte sich derweil härterem Stoff zu. Die sogenannte Splatterpunk-Welle der späten 90er Jahre spülte Autoren wie Poppy Z. Brite, das Duo Skipp and Spector oder Joe Lansdale in die Regale der Horrorfans, aber nach einem kurzen Hoch ebbte auch die wieder ab.

Der wirklich harte Stoff verschwand wieder in den Untergrund und lotete dort nahezu ungeahnte Tiefen aus Sex und Gewalt aus. Und selbst wenn ein großer Verlag wie Heyne in seiner „Hardcore“-Reihe einige ausgewählte Werke härterer Gangart verlegte, muss der Leser für den wirklich unangehmen Stoff schon auf die Bände diverser Underground-Verlage zurückgreifen, die aber leider auch gewisse seltsame Forderungen (mehr Sex, mehr Gewalt – sonst kriegen wir das nicht verkauft) an ihre potentiellen Autoren stellen. Das lässt natürlich auch Rückschlüsse darüber zu, wie diese Verlage ihre Leser einschätzen.

So ist es auch kein Wunder, dass sich deutsche Horrorautoren immer mehr dazu entschließen ihre Werke im Selbstverlag zu veröffentlichen, was widerum dafür sorgt, dass es dem potentiellen Leser sehr schwer gemacht wird, die Spreu vom Weizen zu trennen, denn für jedes versteckte Horror-Meisterwerk gibt es mindesten fünf Bigfoot-Pornos (kein Witz).

Kommen wir nach dieser überlangen Einleitung also zum Fleisch dieser „Knochen und Blut-Geschichten“ (Sorry falls das nicht 100%-ig richtig sein sollte, aber mein kleines Latinum ist schon lange her) in dem drei neue Autoren uns ihre Werke präsentieren.

Verpackt ist das Ganze mit einem schönen Cover des Berliner Horrorkünstlers Martin Trafford, das im Stil der E.C.Comics gehalten ist und – soviel vorab – ein wenig falsche Erwartungen weckt.

Nach einem Vorwort von Christopher Derayes (ein Interview mit ihm findet ihr hier) beginnt die Kurzgeschichtensammlung mit vier Splatterstories aus der Feder von Marcel Hill.

„Das Fort“ ist eine Art Friday the 13th mit viel Sex und Gewalt, die dem Leser aber außerdem wenig zu bieten hat. Die Figuren sind – bis auf die Brüste der weiblichen Protagonisten – flach, Spannung kommt nicht auf und der obligatorische Schlußgag entpuppt sich als Rohrkrepierer.

fabulos coverMit „Backwood Fairytale“ präsentiert Hill dann eine moderne Hänsel und Gretel-Variante, die zumindest vom Setting her etwas anspruchsvoller ist, aber leider auch unter flachen Figuren leidet.

Besser gelungen ist dem Autoren dann „Vienna Hate“ – ein brutal pornographisches Highlight der ekligen Art, das allerdings dann aufhört als es beginnt interessant zu werden. Als Finale der Hill Geschichten gibt es in „Tentacles“ eine detaillierte Beschreibung eines Bukake-Drehs mir einer unerwarteten Wendung am Ende.

Alles in allem sind Marcel Hills Kurzgeschichten leider nichts, was länger in Erinnerung bleibt. Sicherlich sind die Beschreibungen der diversen sexuellen und brutalen Handlungen teilweise recht variantenreich, aber man merkt ihm deutlich sein Desinteresse an den eigenen Figuren und seine Schwierigkeiten bei der Gestaltung einer glaubhaften Handlung an. Splatterfans kommen kurzfristig auf ihre Kosten – für Genre-Geniesser gibt es leider wenig neues zu entdecken.

Als zweiter Autor stellt sich Dominik Heit, dessen Karriere als Filmemacher und Chef eines Kleinstlabels Evil Ed ja bereits seit einigen Jahren verfolgt, vor. In „Brainfucker“ beschreibt er wie das Böse in Gestalt eines verrückten Professors die Welt übernimmt. Ja, das Ganze ist komplett surreal und absurd, aber gerade dadurch gewinnt diese kleine fiese Geschichte. Dank Heits Fingerspitzengefühl gelingt es ihm zum Schluss hin sogar in einer Sequenz beim Leser ungeahnte Emotionen zu wecken, in dem er eine unerwartet reale Situation in das absurde Setting eindringen lässt.

In der „Club der dichten Töter“ wiegt uns Heit erst mit einer Art „Stand by me“ in Sicherheit, um uns dann immer mehr den Boden unter den Füssen wegzuziehen. Statt einer netten Coming of Age-Story wird die Geschichte in wenigen Zeilen zu einer fiesen Moritat aus Hass und Gewalt.

Auch „Redneck Paradise“ schließlich spielt mit unseren Erwartungen und präsentiert uns eine Gruppe junger Leute, die in einen Blutkult irgendwo im texanischen Hinterland geraten. Gerade wenn man als Leser denkt man wisse wie das alles aus geht, dreht er den Spieß um und rammt ihn uns tief in den After.

Als letztes stellt sich die Autorin Alida Gersonde mit ihrer Geschichte um die „Katzenmimi“ vor. Eine schöne atmosphärische Story aus einem kleinen Dorf, in dem Legenden Wirklichkeit werden, die allerdings darunter leidet, das Gersonde sich nicht auf ihre vorhandenen Fähigkeiten verlässt sondern versucht Gewalttätigkeiten einfliessen zu lassen, die sicherlich einfache Gemüter befriedigen ihren Stil aber stören.

Alles in allem ist „Et os fabulas sanguinis“ somit eine Anthologie mit einigen Höhen und Tiefen, die sich recht einfach an ihren Autoren festmachen lassen. Marcel Hill hat ein Talent für die Beschreibung sexueller und gewalttätiger Perversionen, weist aber erhebliche Defizite in Bezug auf Story und Figuren auf.

Alida Gersonde ist rein was die Atmosphäre und den Storyaufbau betrifft vielleicht die größte Entdeckung dieses Buches und sie braucht die übertriebene Gewalt nicht wirklich.

Und Dominik Heit überrascht ein weiteres Mal mit einer neuen kreativen Linie. Sein Hang zum gut verpackten schwarzen Humor gibt auch seinen Geschichten den besonderen Pfiff.

Als Highlight der Sammlung würde ich dementsprechend tatsächlich Heits „Brainfucker“ sehen, speziell wegen des krassen Wechsels zwischen absurder Splatterstory und echten Drama, der auf diesen wenigen Seiten stattfindet und dem Leser somit den Boden unter den Füssen wegzieht.

Jeder der Interesse an Hardcore-Splatter hat, wird in diesem Buch auf alle Fälle auf seine Kosten kommen, wer mehr erwartet, der kann die ersten vier Story beiseite lassen. Kaufen solltet ihr es auf alle Fälle – denn junge Autoren gilt es zu unterstützen.

dia

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