Geschichten, die zum Wahnsinn führen / Las orgías de la locura / Mardrömskliniken (UK 1973) Regie: Freddie Francis Drehbuch: Jennifer Jayne Produzent: Norman Priggen Darsteller: Donald Pleasence, Jack Hawkins, Suzy Kendall, Joan Collins, Kim Novak, Charles Gray (nur Stimme) "Lastly in the ceremony you must eat the flesh..." Wenn man an britischen Anthologiehorror denkt, dann schwirrt einem sofort der Name Amicus im Kopf herum. Mit „Dr. Terror's House of Horrors“ (1963, Die Todeskarten des Doktor Schreck) hatte sich das Produzententeam um Milton Subotsky eine Nische geschaffen, in der sie sich einerseits gut von den damals populären Gothik-Horrors der Hammer Studios abhoben und die sie bis Mitte der 70er Jahre (unter anderem mit den EC-Comic-Verfilmungen „Tales from the Crypt“ (1972) und „The vault of Horror“ (1973)) dominierten. Da war es nur logisch, dass auch andere findige Produzenten sich ein Stück von dem Kuchen abschneiden wollten. Produzent Norman Piggen holte also zuerst einmal die Kamera- und Regielegende Freddie Francis mit ins Boot, liess eine TV-Schauspielerin ein Drehbuch verfassen, dass sich deutlich an die EC-Filme anlehnte und besetzte den Film mit namhaften englischen Schauspielern. Trotzdem war dem fertigen Werk nur ein mässiger Erfolg beschienen – Zeit also mal nachzuforschen, warum dem so war. In der Rahmenhandlung informiert der „Irrenarzt“ Dr. Tremayne (Donald Pleasance) einen seiner Geldgeber (Jack Hawkins in seiner letzten Rolle) über die Fortschritte, die er bei der Erforschung des Wahnsinns gemacht hat und leitet somit in die folgenden vier Geschichten ein. Für mich war schon die Einleitung des Filmes mit Verwirrung verbunden, denn obwohl ich im Bild immer den großen Charakterschauspieler Hawkins sah, reizte es mich in meinem Inneren immer wieder dazu „Boring“ zu rufen. Das lag nun nicht etwa daran, dass seine Leistung niederschmetternd schwach war, sondern an seiner Stimme. Wie ich dann im Audiokommentar von Dr. Rolf Giesen (siehe auch unser großes Interview hier) erfuhr, spielte Hawkins diese Rolle, obwohl er erst kurz zuvor eine schlimme Kehlkopfoperation hinter sich und dementsprechend keine Stimme hatte. Diese wurde dann durch die von Charles Gray ersetzt und der ruft bei mir als altem Fan der „Rocky Horror Picture Show“ nunmal die erwähnte Reaktion hervor. Die erste Geschichte namens „Mr. Tiger“ handelt von einem kleinen Jungen, dessen Eltern sich ständig streiten und der sich – sozusagen zur Abwehr – einen Freund in Form eines Tigers einbildet. Wenig überraschend entpuppt sich der Tiger zum Ende der kurzen Episode als real und der Junge darf als Waisenkind weiterleben. Das Ganze ist nett anzusehen, teilweise schön gruselig und am Ende auch erfrischend blutig, leider aber hält sich der Überraschungseffekt sehr in Grenzen. In Episode 2 („Penny Farthing“) erbt ein Antiquitätenhändler ein altes gerahmtes Foto eines Vorfahren und das wunderschöne titelgebende Hochrad. Das Foto zwingt ihn dazu sich auf das Rad zu steigen und befördert ihn mittels dessen in die Vergangenheit. Auch hier ahnt man das Ende bereits nach wenigen Minuten, allerdings gibt es ein paar wirklich schöne Aussenaufnahmen in einem Park voller Menschen, die in Kleidung der Jahrhundertwende herumlaufen und einen kurzen Auftritt der großartigen Suzy Kendall, die man aus einigen Gialli (u.a. Argentos Erstling und Torso) kennt. Die dritte Geschichte „Mel“ ist ein nettes Zweipersonen-Stück, in dem ein kunstaffiner Mann einen fast menschengroßen seltsamen Baumstamm in sein Haus schleppt, in dem er etwas besonderes sieht. Seiner Frau (Joan Collins) gefällt das weniger und im Laufe des Filmes entwickelt der Baumstamm sogar noch ein Eigenleben und stellt sich als ziemlich eifersüchtig heraus. Eine herrlich absurde Idee, der visuell wirklich interessante Baum und eine unterschwellige erotische Stimmung macht diese kurze Story recht interessant, allerdings zeigt sich auch hier wieder eine Schwäche im Abschluß und sie hört genau so auf, wie man es als Zuschauer erwartet. Richtig fies – zumindest inhaltlich – wird es dann in der abschliessenden Geschichte, in der ein Hawaiianischer Medizinfrauensohn und Schriftsteller ein grausiges Ritual ausführen will und sich dazu die Tochter seiner Verlegerin (Kim Novak) ausguckt. Hier gibt es einiges an Schauwerten und eine richtig eklige Schlussequenz, allerdings leidet die Episode stark darunter, dass alle ausser Frau Novak total overacten und nicht wie echte Menschen sondern wie Comicfiguren wirken. Und – wie nicht anders zu erwarten – ist das Ende nicht nur meilenweit vorhersehbar sondern wird dem Zuschauer in der Mitte der Episode sogar noch in einem Extra-Dialog nochmal erklärt. Der Film endet dann mit der Auflösung der Rahmenhandlung und somit wie fast jeder Horrorfilm, der in einer psychiatrischen Klinik spielt. Das kann man ihm allerdings nicht vorwerfen, das ist die Schuld von Edgar Allen Poe, der das ja als Pflicht in seiner Geschichte von „Dr. Tarr and Professor Feather“ so festgelegt hat. Im Gegensatz zu Donald Pleasance, dessen Forschungsergebnisse ich trotz der Auflösung demnach nicht nachvollziehen kann, kann ich zumindest das Ergebnis meines Experimentes darlegen. Der unvorhersehbare Mißerfolg des Filmes hat deutlich belegbare Gründe. Sicherlich ist er gut inszeniert und visuell durchaus ansprechend, dafür steht schon der Name Freddie Francis und auch die Besetzung ist über weite Strecken wirklich toll (wenn man mal von der finalen Episode absieht), aber ansonsten hakt es an allen Ecken und Kanten und hier ganz speziell am Drehbuch. Deutlich wurde hier versucht einen EC-Stil zu imitieren, aber der besteht halt tatsächlich aus mehr, als nur einem überraschenden Ende und einer absurden Grundidee. Was allen Episoden nämlich – abgesehen von den durchweg vorhersehbaren Schlußgags – fehlt ist erstens ein Hang zur Ironie und zweitens die geschickt verpackte Moral. Denn bei allem Sadismus, den die amerikanischen Kultcomics auszeichnete, hatten sie doch immer einen erhobenen Zeigefinger, selbst wenn der noch mit Massen aus Ironie überschüttet war. Die Geschichten in „Tales that witness madness“ nehmen sich hingegen durchweg komplett ernst und keines der letztendlichen Opfer hat sein Schicksal auch nur im Entferntesten verdient. Schade, aber da wäre mehr drin gewesen. ZUM RELEASE VON WICKED-MEDIA Das Mediabook präsentiert sich mit 3 scicken Covermotiven zur Auswahl, in der üblichen tollen Optik und Haptik und kommt mit einer BluRay und einer DVD daher. Der Film ist offensichtlich aufwendig restauriert worden und nicht überfiltert, so dass man kleinere Fehlerchen noch sehen kann und den Eindruck behält einen Film zu sehen. Der Originalton klingt sauber und „echt“, die vermutlich für den Videostart in den 80ern erstellte, Synchronfassung hingegen hat die üblichen Probleme und überlagert die FX- und Musikspur. Im Booklet lässt sich Christoph M. Kellerbach über die Geschichte des Episodenhorrorfilmes aus und bietet Einsteigern wie Profis nette Informationen. Als Extras finden sich drei aktuelle Interviews mit Darstellern des Filmes, die extra für diese Veröffentlichung produziert wurden. Als unterhaltsames Highlight entpuppt sich wieder einmal mehr der Audiokommentar von Dr. Rolf Giessen, der ebenfalls die Geschichte des Anthologiefilmes als Grundlage nimmt und dort auch einiges von dem anspricht, was wir in unserer Podcast Episode 040 bereits besprochen haben. Zusätzlich gibt es noch den deutschen Videovorspann und einiges an Trailermaterial. Man kann unsere deutschen Kleinlabel gar nicht oft genug dafür loben, dass sie sich solche Mühe bei der Veröffentlichung solch „vergessener“ Filme geben, selbst wenn es sich wie im vorliegenden Fall nicht wirklich um ein vergessenes Meisterwerk handelt. dia Unsere aktuellen Podcasts: |
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