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The golden Glove

(Deutschland 2019)

Buch & Regie: Fatih Akin

Kamera: Rainer Klausmann

Produktionsdesign: Tamo Kunz

Artdirector: Seth Turner

Mit: Jonas Dassler, Margarete Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong, Dirk Böhling, Hark Bohm

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Serienkiller.

Eine unerschöpfliche Inspiration für Autoren, Filmemacher und Journalisten jeglicher Couleur. Ohne sie wäre die Bücher- und Kinowelt um so einige Figuren ärmer. Als faszinierende und zumeist komplexe Figuren bieten sie geradezu unendliche Möglichkeiten sich erzählerisch an ihnen zu reiben, so dass man schnell vergisst, dass diesen Figuren oftmals reale Vorbilder zugrunde liegen.

handschuh 002Tatsächlich hat wohl jedes Land so einige dieser Zeitgenossen hervorgebracht, die dann regelmäßig von der Boulevardpresse bis hin zum, wie auch immer gearteten, Fan gehuldigt werden. Hierzulande ist wohl Friedrich Haarmann der Serienmörder mit dem größten Bekanntheitsgrad. Ein ganzes Stück dahinter hat in den letzten Jahren allerdings Fritz Honka ordentlich aufgeholt. Ursache hierfür dürfte die in einer Seitenstraße der Hamburger Reeperbahn gelegene klassische Kiez Kaschemme „Zum Goldenen Handschuh“ sein, die Honka zum Stammlokal auserkoren hatte und wo er sogar spätere Opfer kennenlernte. Der Fall Honka wurde damals in der Klatschpresse breit ausgetreten und sogar mit einem fetzigen Clubhit bedacht.

Die Kneipe besteht bis heute. Das damals prägende Klientel wurde zwar zwischenzeitlich zum großen Teil aus St. Pauli herausgentrifiziert, aber das Lokal versprüht immer noch viel Charme und so wundert es auch nicht, dass es sich immer mehr zum Ziel von geführten Touristen wandelt, die ihre Welt der hippen Szenekneipen kurzfristig verlassen, um dort etwas morbide Luftveränderung zu genießen.

handschuh 012In diese Kerbe schlägt auch das Buch „Der goldenen Handschuh“ von Heinz Strunk. Dieser spinnt um Handschuh und Honka eine schöne Geschichte, die dem Mörder und seinen Opfern zwar ein menschliches Antlitz verleiht, aber gleichwohl das Thema in eine Art sozialromantische Watte packt. Bukowski lässt grüßen. Den Touristen soll es recht sein.

Fatih Akin hat sich nun angeschickt, das Buch zu verfilmen und geht dabei im wahrsten Sinne des Wortes gnadenlos zu Werke. Er entnimmt dem Buch lediglich den roten Faden und komprimiert den Inhalt auf die Geschichte eines hässlichen Alkoholikers von minderer Intelligenz mit deformiertem Gesicht. Brachial und zutiefst schmucklos lernen wir das Leben von Fritz Honka kennen. Ausgestoßen aus der normalen Welt, ohne Anerkennung und zutiefst unzufrieden mit dem Erreichten, hat er durch seinen schäbigen Job zumindest ausreichend Geld um sich seine Welt erträglich zu saufen.

Doch selbst in dieser Welt ganz unten findet er keine Partnerin, und so besteht seine Sexualwelt aus Porno und weiblichen Gegenstücken, die für etwas Schnaps alles machen und natürlich auch mit sich machen lassen. An diesen armen Gestalten arbeitet Honka dann seinen Frust ab und geht dabei bis zum Mord. Und weil er die Entsorgung der Leichen nicht hinbekommt, lagert er diese zerstückelt in der Abseite seiner Mansardenwohnung ein. Gegen den Gestank der Verwesung helfen dann Wunderbäume und die Ausrede, dass die griechischen Nachbarn permanent Hammel und Knoblauch kochen.

handschuh 003Die große Stärke des Films liegt in seiner schonungslosen Inszenierung. Auch wenn die eigentlichen Taten zumeist nur verdeckt oder außerhalb des Bildes geschehen, so ist der Eindruck zutiefst realistisch und ziemlich verstörend. Zusammen mit den anderen Kabinettstückchen aus dem Sozialverhalten von Alkoholikern ergibt sich so ein wahres Potpourri männlicher Verkommenheit, welches sich mit den erwähnten Andeutungen im Kopf des Betrachters zu einem wirklich grausamen Gesamtbild steigert.

Ganz konträr dagegen die Szenerie im Goldenen Handschuh. Hell, sauber und mit knuffig-direktem Umgangston finden sich am Tresen durchaus sympathisch-skurrile Persönlichkeiten, die mit Witz und Esprit zu glänzen vermögen. Aber auch hier beweist Akin seine extrem gute Beobachtungsgabe und lässt die Fassade dieser nur durch Alkohol verbundenen Gemeinschaft nach und nach bröckeln und die Fratzen der darunter weilenden zerbrochenen Charaktere zum Vorschein kommen.

Musikalisch kontrastiert wird diese abscheuliche Szenerie durch sehr gewählt ausgesuchte Siebziger Jahre Schlagermusik. Und damit kommen wir zu einer weiteren Stärke des Films, nämlich sein fein eingesetzter hintergründiger Humor. Es ist wirklich großartig wie in den übelsten Situationen die Skurrilität auf die Spitze getrieben wird und es urplötzlich komisch wird. Angesichts des düsteren Grundtons war dieser Effekt den anderen Zuschauern aber anscheinend eher peinlich, denn ich war dann doch der einzige im Kino, der manchmal schallend loslachte. Ob deswegen die Dame in der Reihe vor mir früher ging, vermag ich nicht zu sagen, ich hoffe aber nicht.

handschuh 004Schauspielerisch ist der „Goldene Handschuh“ hervorragend besetzt. Insbesondere der Mut zur Hässlichkeit fasziniert zutiefst. Die realistische Darbietung der Nacktszenen bei denen die nun doch schon älteren Leiber ungeschönt präsentiert werden, nehmen dem Film jegliche Sozialromantik. Es sind Säufer, elende Gestalten, angekommen in einer schaurigen Welt aus der sie nicht entkommen können. Getrieben von der Sehnsucht nach längst vergangenen Zeiten enden alle Ausbruchsversuche in die heile Spießerwelt immer wieder an der Flasche. Ganz im Gegensatz zum anfangs erwähnten Assikneipen-Touristen, der jederzeit zurück in die heimelige Welt aus Craft Bier und Biolimo zurückkehren kann.

Bei Fatih Akin gibt es aber keine Flucht. Die Figuren entwickeln sich nicht weiter, sondern zeigen lediglich immer nur neue Facetten ihres Charakters. Dadurch ziehen sich leider auch einige Längen durch den Film. Trotzdem entsteht dramaturgische Spannung, in dem sich die Welt um den Protagonisten immer enger zieht. Die Opfer von Honka werden immer stärkere und kampferprobte Persönlichkeiten und auch die griechischen Nachbarn rücken ihm immer dichter auf die Pelle. Selbst seine Wohnung wird immer enger inszeniert, so dass das unvermeidbare Ende irgendwie schon einen katharischen Effekt hat, allerdings ohne jede Hoffnung.

handschuh 001Der Film wurde nach seiner Premiere von der Kritik mehr oder weniger zerrissen. Immer wieder kam der Vorwurf er würde im Gegensatz zum Buch den Charakteren keine Würde lassen, sondern deren Schicksal voyeuristisch ausschlachten. Solche Vorwürfe zeugen vor allem von einer gewissen Hilflosigkeit mit den Bildern des Filmes umzugehen. Diese Kritiker möchten Honka, genauso wie die Gaststätte selbst, nur aus einer sicheren Distanz erleben und vor allem in ihre eigene Welt einordnen können. Grundloses Morden passt da nicht ins Bild. Jeder erklärende Strohhalm, egal wie hanebüchen dieser auch ist, wird dankbar aufgegriffen. „Kindheit im KZ, entstellt durch Unfall, keine Schulbildung und dann noch Alkoholsucht, ja da kann man ja schon mal zum Serienmörder werden.“ mag sich so mancher denken, im Buch noch wunderbar ergänzt durch einen vergleichbaren Gegenpart aus der Oberschicht. Egal wie verschwindend klein die tatsächliche Menge der aus diesen Gruppen entspringenden Serientäter auch ist, mit dieser Erklärung hat alles seine Ordnung und der Grusel kann genossen werden.

handschuh 007Der Film lässt aber genau diesen Ansatz nicht zu. Brutal entlarvend wie Rainer Werner Fassbinder und mit einem Humor wie bei Jörg Buttgereit lässt er dem Zuschauer keine Chance auf Entkommen, sondern zwingt ihn mit dem Gezeigten klarzukommen. Genau wie einst die Bundesprüfstelle es gebetsmühlenartig wiederholte, sind traumatische Kindheitserlebnisse eben keine Rechtfertigung für spätere Gewaltexzesse. Nein, die Wahrheit ist nämlich viel schlimmer.

„Der goldene Handschuh“ ist nicht unbedingt ein Meisterwerk, aber ein wirklich starkes Stück deutsches Kino. Das in den Kulturredaktionen vorherrschende Unverständnis macht ihn darüber hinaus noch richtig sympathisch.


Sören

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