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(GB 1962)

Sie sind verdammt / Hallucination / On the Brink / Malditos


Regie: Joseph Losey
Darsteller: Oliver Reed, MacDonald Carey, Shirley Ann Field
nach dem Roman „Kinder des Lichts“ von H.L. Lawrence

 

„Reden Sie ruhig weiter, ich höre gerne Menschen zu, die wissen, wovon sie reden.
Ich neige lediglich dazu, ihnen nicht zu glauben.“

 

 

these are 007Der herrische King macht mit seiner Motorrad-Gang den Bade-Ort Weymouth unsicher, die Bande nimmt gerne Touristen aus. Den Köder spielt dabei Kings jüngere Schwester Joan, über die er eisern wacht. Die junge Frau schmeißt sich dieses Mal an den frisch geschiedenen Amerikaner Simon Wells ran, führt den galanten Herren mittleren Alters in eine abgelegene Ecke des Hafens, wo ihn schon Kind samt Mannen erwarten, um ihn zu verprügeln und auszurauben. Die Herren, die Simon auflesen und sich als Offiziere in Zivil herausstellen, bringen ihn erst einmal in eine Bar, wo er den militärischen Berater Bernard, der einem Stützpunkt im Sperrgebiet außerhalb des Städchens vorsteht, und seine Geliebte, die schwedische Künstlerin Freya Neilson, kennenlernt, der er im Sommer immer ein leerstehendes Haus am Rande des Stützpunkts zum Arbeiten zur Verfügung stellt.

these are 009Sie unterhalten sich über den Vorfall, doch Simon hält es für eine Lappalie und will keine Angaben zu den jugendlichen Tätern machen. Freya gefällt die Einstellung des Amerikaners. Aber auch sie hat keine Vorstellung, was im Sperrgebiet, über das ihr Liebhaber gebietet, vor sich geht. Dort befindet sich ein Höhlensystem, in dem 11 Kinder, Mädchen wie Jungen, und alle gerade 11 Jahre alt, großgezogen und von Bernard unterrichtet werden. Sie sind hier hermetisch abgeschirmt, dürfen nie aus ihrer Behausung rauskommen, und haben keine Ahnung davon, wie es in der Welt aussieht.

Am nächsten Tag besucht Joan ihr Opfer Simon überraschend auf seinem Boot, der ihr sympathisch, aber auch wohl wissend, dass es King, der ihr keinen persönlichen Umgang mit Männern erlaubt, auf die Palme bringt. Und es dauert nicht lange, bis der große Bruder mit seiner Gang anrückt. Während Simon ablegt und schneller werdend aus dem Hafen schippert, kann er die unschlüssige Joan durch Zurufe überreden, an Bord zu springen, und King bleibt wutschnaubend im Hafen zurück. Joan hadert mit ihrer Entscheidung, und Simon setzt mit ihr wenige Kilometer weiter an der Felsküste zum Land über, wo das Haus steht, das Freya im Sommer bewohnt.

these are 026Sie machen es sich dort gemütlich, doch einige Zeit später entdeckt einer von Kings Schergen das Boot an der Küste und fährt zurück nach Weymouth, um die anderen zu holen. Am späten Abend werden Simon und Joan von Motorengeräuschen hochgeschreckt, und nehmen reißaus. Doch es ist nur Freya, die ins Haus zurückkehrt und feststellt, dass jemand in ihrer Abwesenheit ungefragt Küche und Bett genutzt hat. Just zu diesem Zeitpunkt erscheint King im Haus, will wissen, wo seine Schwester und ihr älterer Liebhaber hin verschwunden sind. Er fühlt sich von der selbstsicheren Art der Künstlerin bedroht und zerstört eine ihrer Skulpturen. Dann melden sich seine Kumpels, die das flüchtende Paar entdeckt haben. Sie treiben die beiden weiter aufs Land, mitten ins Sperrgebiet, wo Wachsoldaten die ganze Bagage mit Hunden verfolgen. King verfolgt Simon und Joan, die über den Zaun auf das Militär-Gebiet gelangt sind, bis an die Steilküste, wo sie alle drei im Handgemenge über die Klippe stürzen. Das Paar kann sich zu einem Vorsprung hangeln, unterdessen landet King unsanft am Wasser.

these are 016Durch eine Spalte in der Felswand kommen einige der Kinder und holen Simon und Joan in eine Höhle, ihr geheimes Versteck. Joan stellt erschreckt fest, dass die Hände der faszinierten Kleinen eiskalt sind. Auch King wird von einem Jungen aufgelesen und in die Höhle geführt. Er will sofort auf Simon losgehen, als er jedoch auch eines der Kinder an der Hand berührt, weicht seine Wut dem Schrecken, der ihn durchfährt. Simon verspricht den Kindern, sie an die Oberfläche zu bringen, doch King geht es schlecht, er ist fiebrig. Und Bernard stellt die Kinder zur Rede und schickt Wachleute, um das Höhlensystem zu durchsuchen...

Nach dem Erfolg von MGMs DAS DORF DER VERDAMMTEN/VILLAGE OF THE DAMNED (1960) legten die auf dem Horror-Sektor führenden Hammer Films Studios mit einem eigenen, ähnlichen Stoff nach. Eine passende Geschichte fanden sie im Roman KINDER DES LICHTS/THE CHILDREN OF LIGHT (1960) von H.L. Lawrence, das sich, hingegen zu Wyndhams Roman KUCKUCKSKINDER/THE MIDWHICH CUCKOOS, welches dem MGM-Erfolg zugrunde lag, mehr mit der Angst vor der nuklearen Verstrahlung beschäftigt, die sich Anfang der 60er Jahre auf einem vorläufigen Höhepunkt befand. these are 018Vor dem Hintergrund ist natürlich unschwer zu erraten, was mit den Kindern nicht stimmt und warum sie so isoliert aufgezogen werden. Die Schwerpunkte der Geschichte im Film und derer im Buch unterscheiden sich freilich sehr, geht es im Buch zentral um die Frage dreht, wie der (vor der Polizei) flüchtende Simon mit seinem Wissen um die Existenz der Kinder umgehen, ob er schweigen oder an die Öffentlichkeit gehen soll, setzte die Verfilmung von Hammer auf den Bruch in der Erzählung, sobald Simon, Joan und King mit den Kindern in Kontakt kommen, um so den Zuschauer zu verunsichern und dann an der Spannungsschraube zu drehen. Am Ende steht hier nicht die Frage nach der Verbreitung der Wahrheit, sondern ob man die Kinder, die gefährlich sind, aber nichts davon wissen, überhaupt aus der Isolation holen und auf die Menschheit loslassen darf. Wie ist das Recht auf ihre Freiheit mit dem Recht ihrer Mitmenschen auf Unversehrtheit zu vereinbaren?

these are 023Die Geschichte selbst beginnt eher melodramatisch; wir haben einen Fremden, einen älteren, geschiedenen Mann, der sich zu einer schönen, jungen Frau hingezogen fühlt, die sich nach Veränderung und männlicher Nähe sehnt, aber von ihrem herrischen Bruder an der Leine gehalten und sogar gezüchtigt wird, wenn sie sich mal losgerissen hat. So ist Simon (schwermütig: MacDonald Carey) für Joan (bezaubernd, aber zerbrechlich: Shirley Anne Field) mehr eine Vaterfigur als ein potentieller Liebhaber, auch wenn sie das mangels Erfahrung selbst nicht auseinanderzuhalten vermag. King (grandios: Oliver Reed) musste wohl schon länger für sich und seine Schwester, vermutlich sind sie Waisen, sorgen, er ist der Mann im Haus, schafft es aber nicht, Beziehungen zu Frauen, weder sexueller noch emotionaler Art, aufzubauen, diesen Frust lässt er an seiner Schwester aus, lässt nicht zu, dass sie ihrerseits ihm entwächst und sich emanzipiert. Die Flucht mit Simon ist für Joan so verheißungsvoll, weil sie ihn, obwohl sie sich erst kurz zuvor begegnet sind, als verletzlich, aber auch gutherzig und reif kennengelernt hat. Sie sehnt sich danach, Gefühle rauszulassen, die sie mit King nicht teilen kann, da kommt der Amerikaner, der ihr Vater sein könnte, sich aber zugleich auch als Liebhaber anbietet, ihr gerade recht. King prallt seinerseits bei Freya auf eine erwachsene, starke Frau, verhält sich ihr gegenüber dann wie ein trotziges Kind ignorant und gemein. Als er dann selbst merkt, wie grausam er sich ihr gegenüber verhält und ihr vor allem emotional Schmerzen zufügt, bricht er ein Stück weit auf, und gibt etwas von seiner inneren Leere und seiner Zerbrechlichkeit preis.

these are 021Und die Kinder auf dem Stützpunkt, die in einem Bunker unter Verschluss gehalten werden, sind hier, auch wenn sie alle um sie herum ins Unglück stürzen werden, nicht im geringsten böse oder aggressiv. Kurze Szenen aus dem Sperrgebiet, Gespräche zwischen Bernard und dem Major Holland, der ihm unterstellt scheint, wie auch seine Kommunikation mit den Kindern via Monitor, werden immer mal wieder eingestreut. Bernard scheint dabei immer der vernunftsbegabte, humane Fürsprecher der Kinder unter den Soldaten zu sein, die Vaterfigur der Kinder. Doch es wird einem immer klarer, dass er die Kinder hier gefangen hält, weil er sie zu instrumentalisieren gedenkt. Er unterrichtet sie nur in Dingen, die er für richtig hält. Für ihn sind sie nicht nur sein Erbe, sondern das Erbe der gesamten Menschheit. Denn Bernard ist nun kein ausgesprochener Optimist, was den Ausgang des nuklearen Wettrüstens angeht. Die Kinder selbst sind die Unschuld, sie können nichts für ihre Situation.

these are 012Und sie sind mit 11 Jahren in einem Alter, in dem sie kurz vor der Pubertät stehen, sie sind wissbegierig und stellen andauernd Fragen, z.B. ob denn einer von ihnen, wenn sie irgendwann untereinander heiraten werden, alleine bleiben muss, da bei 5 Paaren einer von ihnen 11 übrige wäre. Als sie dann zum ersten Mal mit Simon und Joan, und dann auch King, Menschen von außerhalb, in Kontakt kommen, sind sie völlig aus dem Häuschen, glauben, dass die beiden die Eltern sein könnten, nach denen sie sich schon so lange sehnen. Sie erweisen sich dabei als intelligent, hilfsbereit, aber auch nicht sehr mitfühlend, da sie die Erwachsenen nicht deuten können, so etwas haben sie in der Isolation nie gelernt, weswegen sie auch etwas unbedarft agieren. Außerdem wissen sie gar nicht, was sie, rein körperlich, für Auswirkungen auf normale Menschen haben, dass sie ihren Mitmenschen alleine durch ihre Präsenz Schaden zufügen.

these are 010SIE SIND VERDAMMT/THESE ARE THE DAMNED!, der Titel ist im Zusammenhang des Films sehr passend, trifft eigentlich wie die Faust aufs Auge – die Assoziation von KINDER DES LICHTS/THE CHILDREN OF THE LIGHT im Buch mit Wahrheit/Atomkrieg dürfte ja auch schon gut gepasst haben. Den Atomkrieg und das Ende der Menschheit vor Augen sind King & seine Motorrad-Gang die No-Future-Generation ihrer Epoche, es gibt für sie kein Ziel im Leben, da gar keine Zeit scheint, es auch zu erreichen. Wozu sollte man sich Gedanken um eine Zukunft machen, die nie stattfinden wird? Simon und Joan flüchten einander in die Arme, weil sie vor etwas davonlaufen; er vor seiner Vergangenheit und die junge Frau eben vor einer Zukunft mit den nur der Gegenwart verhafteten Rumtreibern um ihren Bruder, die ihrer Entwicklung als Frau widerspricht.

these are 022Freya kommt jedes Jahr wieder über den Sommer nach England, in das kleine Steinhaus nahe Weymouth, obwohl sie und Bernard sich längst nichts mehr zu sagen haben, um an Kunst zu arbeiten, die nur für sie eine Bedeutung hat. Bernard hingegen glaubt an keine Zukunft, jedenfalls nicht für sich und alle anderen „normalen“ Menschen und setzt vollkommen auf die Kinder, die nach der Apokalypse die Erde eines Tages wieder bevölkern und das Erbe der Menschheit fortbestehen lassen. Er sieht sie schon als „seine“ Kinder, allerdings nur in einem zweckgebundenen Sinne, auf den ausgerichtet er sie in seinem Sinne erzieht. Und die Kinder sind freilich am schlimmsten dran, denn egal, wie die Sache letztendlich ausgeht, egal ob es einen Atomkrieg gibt oder nicht, sie werden in jedem Fall alleine sein. Für die Welt, wie sie gerade noch existiert, sind sie eine Gefahr. In einer Welt, in der sie sich frei bewegen könnten, würde sie nur Ödnis und Tod erwarten.

these are 015Regisseur Joseph Losey kannte sich damit aus, von anderen gemieden zu werden. Der Amerikaner war Mitglied der Kommunistischen Partei und wurde 1951 vor den Ausschuss für anti-amerikanische Untriebe geladen, entzog sich aber der Aussage und drehte unter dem Pseudonym Andrea Forzano einen Film in Italien. Er ging darauf nach England, nur kurz nachdem er in Staaten noch die US-Version von Fritz Langs Krimi-Drama M (1951) inszenierte. 1956 begann er für Hammer Films die Dreharbeiten zu XX – UNBEKANNT, wurde jedoch von Leslie Norman abgelöst, weil der Star des Films, Oscar-Preisträger Dean Jagger, sich weigerte, mit dem Regisseur wegen dessen Status zusammenzuarbeiten. Der Freund von Bertholt Brecht, den er bei einem Seminar von Sergej Eisenstein kennenlernte, wurde dennoch glücklich auf der Insel, hatte hier eine sehr erfolgreiche Karriere, für seinen Film DER MITTLER/THE GO-BETWEEN wurde er 1971 mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet. In SIE SIND VERDAMMT/THESE ARE THE DAMNED stellt er die Nichtigkeit der Bemühungen seiner Protagonisten, ihr Glück zu finden, den geheimen Forschungen der Regierung an den 11 Kindern, die für den Fortbestand der Menschheit in dieser unsicheren Zeit so wichtig erscheinen, gegenüber; erstere sind ziellos und von Emotionen gesteuert, letztere zielgerichtet und von unmenschlich kalten Kalkül.

these are 028Und als diese beiden Welten kollidieren, wird klar, dass alle für sich verloren sind, und am Ende niemand sein Glück finden wird. Und dieses Ende ist dann auch ein richtiger Downer, ein Schlag in die Magengrube, wie man sie sonst nur aus den Filmen des Paranoia-Kinos der 70er Jahre kennt.

So ist SIE SIND VERDAMMT/THESE ARE THE DAMNED ein Film, der trotz einer gewissen Fahrigkeit im Aufbau lange nachhallt.

Horny


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