hemoglobin

diemonsterquer cthulhuquer hpquer

Bleeders / Hämoglobin / Blodsoffer / The Descendant

(USA 1997)

Regie: Peter Svatek

Drehbuch: Charles Adair, Dan O'Bannon, Ronald Shusett

 Basierend auf „The Lurking Fear“ von H.P. Lovecraft

Musik: Alan Reeves

Darsteller: Gillian Ferrabee, Pascal Gruselle, Roy Dupuis, Rutger Hauer

hemoglobin 002

"You know, for a doctor, you really are not very helpful."
"Who says I'm a good doctor?"


Die bisher letzte filmische Bearbeitung von H. P. Lovecrafts Geschichte „The Lurking Fear“ kann in gewissem Sinne als Abschluss einer rein zufällig bzw. unbewusst entstandenen Trilogie betrachtet werden. Denn obwohl „Dark Heritage“, „Lurking Fear“ und „Hemoglobin“ vollkommen unabhängig voneinander von unterschiedlichen Produktionsfirmen und Filmteams verwirklicht wurden, tasten sich diese Filme doch immer weiter in zyklischen Schleifen ins Zentrum des lovecraftianischen Grauens vor, wobei jede neue Variation einerseits freier mit der literarischen Vorlage umgeht, andererseits aber gerade dadurch der künstlerischen Intention Lovecrafts gerechter wird.

Kurz zusammengefasst zeigte der erste Anlauf („Dark Heritage“) einen wissbegierigen Journalisten, der mit der Macht des uralten Bösen in Form einer degenerierten Sippe und ihren schauderhaften Abkömmlingen konfrontiert wurde. Im zweiten Schritt wurde die Trennung von Innen und Außen aufgehoben, der Protagonist von „Lurking Fear“ musste zähneknirschend seine Verwandtschaft mit diesen fiesen Unterweltbewohnern eingestehen und antwortete darauf mit Feuer und Schwert bzw. Pistole. Unter der Regie von Peter Svatek schließlich nimmt diese Entwicklung eine weitere Drehung, die den kanadischen Beitrag „Hemoglobin“ zum Höhepunkt und auch Abschluss der grausigen Familienchronik macht.

hemoglobin 0111652 malt Jan Vermeer ein den Kunstexperten bisher unbekanntes Gemälde, das Portrait der exzentrischen Eva Van Daam. Selbige ist so dermaßen narzisstisch veranlagt, dass sie ausschließlich ihren Zwillingsbruder als Bettgefährten akzeptiert, und da der holländische König gerade frisch den Inzest untersagt hat, weil er sich durch diese Maßnahme eine Eindämmung der in Adelskreisen kursierenden Erbkrankheiten erhofft, sehen sich die Van Daams gezwungen, nach der Fertigstellung des Gemäldes in die Neue Welt Amerika auszuwandern um weiterhin ihrer Lasterhaftigkeit frönen zu können. Dort wird ihr letzter Nachfahre dann Kickboxer, gewinnt das Kumite und tritt nach dem Atomkrieg gegen einen Cyborg an… und ich bin wie üblich im falschen Film und riskiere vermutlich gerade eine Tracht Prügel von Jean-Claude.

Tatsächlich wird Eva (ganz im Sinne ihres Namens) jedenfalls zur Urmutter einer langen Linie von Van Daams, die sich aber immer mehr auf ihren verrufenen Landsitz zurückziehen um schließlich der allgemeinen Vergessenheit anheimzufallen. Doch weil Vergessenes die Unart hat, irgendwann wieder in voller Hässlichkeit auf der Bildfläche zu erscheinen, erfolgt nach dem Vorspann der Sprung in die Gegenwart.

hemoglobin 004Hier verschlägt es den reichlich anämisch und aufgrund seiner exzentrischen Garderobe wie eine Mischung aus Musiker und verarmtem Aristokraten wirkenden John Strauss (Roy Dupuis) samt seiner Frau auf eine kleine Insel – gefilmt wurde auf Grand Manan Island vor der kanadischen Ostküste - die mit ihrem Leuchtturm und den schrulligen Bewohnern auch geradewegs aus einem Stephen King-Roman stammen könnte. Strauss (benannt nach dem Komponisten) leidet nämlich an einer degenerativen Blutkrankheit, ist deshalb gesundheitlich stark angegriffen und erhofft sich nach einem langen Aufenthalt in Europa Linderung durch die Rückkehr an den Ort, an dem er seine Kindheit verbrachte. Zumal er von dieser Kindheit nicht viel weiß und einige Flashbacks nebst epileptischen Anfällen das Schlimmste erwarten lassen. Auftritt Dr. Marlowe (Rutger Hauer), denn auch wenn versoffene Inselärzte wohl das Klischee schlechthin sein dürften, braucht es einfach einen Mann der Wissenschaft wenn man Licht ins Dunkel von dubiosen Abstammungslinien und wunderlichen Siechtümern bringen will.

Und obwohl es in „Lurking Fear“ einen nicht minder trinkfesten Arzt gab, macht sich nun der Wechsel in der Perspektive bemerkbar, den „Hemoglobin“ vollzieht. Bereits der Titel klingt ja schon verdächtig nach einem alten Biologie-Schulbuch[1] und die Vorspannsequenz zeigt (gemalte) Mikroskopaufnahmen des roten Lebenssaftes, weshalb es nicht verwundert, dass die Geschichte vom verlorenen Sohn diesmal trotz der religiösen Anklänge aus aufgeklärter und beinahe neutraler Sicht erzählt wird. Eine Schlüsselszene ist dabei die vordergründig eklige Autopsie an einem Van Daam, der kurz zuvor Bekanntschaft mit einer Schiffsschraube gemacht hat: dadurch, dass diese Autopsie relativ früh im Film erfolgt werden die Van Daams gewissermaßen entmystifiziert. hemoglobin 005Zwar entstammen sie einer „Erbsünde“ (Inzest ist nun mal eines der ältesten Tabus der Zivilisation), die sich daraus ergebenden körperlichen Deformationen werden aber zu einem genetischen Defekt umdefiniert und haben damit nichts mehr mit der Willkürlichkeit einer göttlichen Vorsehung zu tun, wie sie „Lurking Fear“ durch die Bezüge zur Prädestinationslehre und die Kirche als Hauptschauplatz etablierte. Wodurch die Van Damms im eigentlichen Sinne nicht mehr „böse“ oder von Gott verworfen sind, sondern zu einer grotesken Laune der Natur werden.

Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Svatek den Konflikt zwischen dem menschlichen und dem nicht mehr ganz so menschlichen Inselvolk aufgrund einer Störung des ökologischen Gleichgewichts aufbrechen lässt. Zwar gab es in der Vergangenheit einige Reibereien zwischen den höchst unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfen, die in einem abgefackelten Herrenhaus endeten, doch danach zogen sich die Van Dammes in die Tunnel und Höhlen unter der Insel zurück und ernährten sich mittels Grabräuberei von den Leichen der Verstorbenen (wobei sie Geschmack an leckerem Formalin fanden). Dummerweise wird aber aufgrund von aus Geldscheffelei reichlich minderwertig ausgefallenem Sargholz gerade der Friedhof aufgelöst[2], weshalb sich die Grottenolme nach anderen Futterquellen umsehen müssen. Dies führt der Logik von Horrorfilmen gemäß zum einen oder anderen Fall von Kannibalismus, und Svatek ist konsequent genug, dabei auch vor Kindern nicht haltzumachen - doch gleichzeitig werden diese Attacken und ihre Ergebnisse als Fakten abgehandelt, ohne dabei auf ein Übermaß auf Schocks und Ekel zu setzen, aber auch ohne mildernde Beschönigungen. Im Grunde genommen ist „Hemoglobin“ nämlich trotz des grenzwertigen Themas ein sehr ruhiger und bedächtiger Film, der viel Zeit auf stimmungsvolle Inselaufnahmen und seine Charaktere verwendet. Selbst unbedeutende Nebenfiguren wirken bei aller Klischeehaftigkeit immerhin noch so, als hätten sie auch ein Leben außerhalb ihrer jeweiligen Auftritte anstatt lediglich als Stichwortgeber oder Monsterfutter zu funktionieren, was die bereits erwähnte Stephen King-Atmosphäre noch verstärkt.

hemoglobin 012Andererseits verstärkt dieser realistisch-nüchterne Stil aber auch die Zähigkeit des Films. Bis zum finalen Angriff der Van Daams auf die im Leuchtturm verbarrikadierten Insulaner vergeht viel Zeit, die das Drehbuch[3] größtenteils auf das Ehepaar Strauss bzw. auf Johns Suche nach seiner Identität verwendet. Dies ist vor allem deshalb aber ein wenig ungeschickt, weil man John aufgrund seiner Iris-Heterochromie schon in der ersten Szene als einen Van Daam erkennen kann, so dass das Ergebnis seiner genealogischen Nachforschungen keine allzugroße Überraschung darstellt. Deutlich interessanter ist da dann schon die Art und Weise, wie John am Ende mit seiner neugewonnenen Erkenntnis umgeht (weshalb an dieser Stelle eine Spoilerwarnung ausgesprochen wird):

John hat sehr viel mit Lovecrafts „The Outsider“ oder dem Protagonisten von „The Shadow over Innsmouth“ gemeinsam. Er weiß, dass er irgendwie anders ist als „normale“ Leute und zeigt dies nach Außen schon alleine anhand seiner Garderobe. Allerdings weiß er nicht, was genau ihm fehlt obwohl in seine Mangelerscheinungen körperlich krank machen. Die Lösung liegt im von Lovecraft allzu gerne beschworenen „verbotenen Wissen“ und Svatek bringt trotz des weitgehend rationalen Ansatzes trotzdem wieder ein gerüttelt Maß Mystizismus mit ins Spiel, indem er die (Selbst-)Erkenntnis an die Frau koppelt. John verschlägt es auf eine Insel, die fast nur von Frauen bewohnt ist, weil sich die Männer in ihren Fischkuttern auf hoher See befinden; die weise Alte (bzw. eine senile Flinten-Uschi) enthüllt ihm schließlich das Unaussprechliche und über allem schwebt die Stammesmutter Eva mit ihren zweifarbigen Augen, so dass scherzhaft gesagt der Daddschāl den Garten der Hesperiden behütet. Durch die weitgehend wertneutrale Regie bleibt es aber ganz im Sinne Lovecrafts letztlich ambivalent, ob der durch die unterschiedlichen Augenfarben ohnehin als innerlich zerrissen gekennzeichnete John einer satanischen Verführung nachgibt oder nicht doch viel eher einfach seinen Platz in der Weltordnung findet.

hemoglobin 001Seine „Transformation“, die mit der apokalyptischen Drohung eines aufziehenden Sturmes einhergeht, erfolgt ohne nennenswerte Abwehrreaktionen, im Gegenteil ist er ab dem Moment, an dem er seinen abseitigen Gelüsten folgt, zum ersten Mal kerngesund und bekommt eine Sexszene[4] spendiert, was „Hemoglobin“ zu einem Initiationsritual macht, in dessen Verlauf sich der „Held“ für die Nachtseite der Existenz entscheidet und dort, inmitten von zwergwüchsigen Hermaphroditen und anderen Freaks in einer tribalistischen Stammesgesellschaft sein Glück findet.

Für ein B-Movie fällt „Hemoglobin“ daher unerwartet sensibel und fair aus, was insgesamt recht gut zu Lovecrafts ambivalenten Erzählungen passt. Denn wäre es nicht vielleicht doch eine ziemlich coole Sache, als Deep One ozeanische Städte zu erforschen, gemeinsam mit den Mi-Go durch das All zu reisen oder in der Bibliothek der großen Rasse von Yith zu schmökern?

So gesehen ist es ein wenig bedauerlich, dass der Film inszenatorisch und technisch trotzdem nicht über besseres TV-Niveau hinauskommt. Im direkten Vergleich fallen beispielsweise die Masken der Van Daams zwar kreativer, gleichzeitig aber auch deutlich weniger bedrohlich aus als die der Martense-Sippschaft aus „Lurking Fear“; der Score (auch diesmal wird auf Synthesizer gesetzt) bleibt dezent im Hintergrund und setzt auf sphärische Klänge, was einerseits professioneller wirkt, andererseits aber den bedächtigen Erzählfluss noch mehr ausbremst weil auf der Tonspur keine Akzente gesetzt werden; und schauspielerisch ist bestenfalls Rutger Hauer nochmals hervorzuheben – das aber auch nur weil er früher mal in „Blade Runner“ und „The Hitcher“ mitgespielt hat.

hemoglobin 003Ähnlich wie Lovecraft bleibe ich darum abschließend ambivalent: „Hemoglobin“ ist aufgrund der sorgfältigen Konzeption nicht ohne Reiz – aber ohne eine Darth Vader-Tasse voll Kaffee verläuft man sich sehr schnell in seinen unterirdischen Schlünden und Grüften. Die qualitativ nicht gerade berauschende, dafür in einigen dunklen Passagen stark rauschende DVD ist deshalb nur mit Einschränkungen zu empfehlen.

Alexander

[1] Und evoziert damit den handfesten Horror meiner Schulzeit. Biologie bei „Frieda“ und „Bückfisch“ war… unbeschreiblich!

[2] Diese im Grunde genommen hirnrissige Aktion, die in keinem Verhältnis zur Kosten-Nutzen-Rechnung steht, muss man in „Hemoglobin“ eben hinnehmen.

[3] Immerhin von Ronald Shusett und Dan O’Bannon, der sich bereits in seinem „The Resurrected“ an Lovecraft versuchte.

[4] In der mit „Bleeders“ betitelten Version fehlt übrigens dieses Intermezzo, das einen Großteil seines Reizes daraus bezieht, dass Strauss kurz vorher einen in Formalin eingelegten Embryo verspeist hat. Echte Romantik eben.


diemonsterquer cthulhuquer hpquer

     ofdb logo      IMDb logo