Stereo (Tile 3B of a CAEE Educational Mosaic) (Canada 1969) Darsteller: Ronald Mlodzik "Bei psychischer Forschung wird der Abstand zwischen dem Forscher und dem Patienten kleiner,
In einer näheren Zukunft führt die Academy of Erotic Inquiry ein Experiment zur Stimulierung von Telepathie durch, streng nach den Theorien eines Dr. Stringfellow. Die Probanden werden in einer Forschungseinrichtung isoliert. Ihnen wurde dafür die Fähigkeit zu sprechen genommen, um sie für anderweitige Reize empfänglicher und telepathischer Kommunikation gegenüber offener zu machen. Einige haben durch einen operativen Eingriff in ihr Gehirn sogar die Fähigkeit verloren, in sprachlichen Mustern zu denken. Stimuliert werden während des Experiments vor allem sexuelle Reize, um die Hemmschwelle für die nonverbale Kommunikation abzubauen. Um dies zu verstärken, kommen auch zunehmend luststeigernde Drogen zum Einsatz. Doch entgegen der im Vorfeld formulierten Erwartungen werden die Teilnehmer zunehmend depressiv, entwickeln sogar Suizidgedanken… Ein Test der intellektuellen wie sinnlichen Wahrnehmung und ein Diskurs über soziale Kommunikation - die Schwierigkeiten, diese zu etablieren und zu kanalisieren - und die Rolle, die die menschliche Erotik dabei spielt. – Dies war der erste Gedanke, den ich zu diesem Film formuliert habe. Er trifft, wie ich immer noch finde, den Inhalt ganz gut, wobei dies jedoch nur die halbe Wahrheit ist. David Cronenbergs erster Langfilm ist eine wirklich sehr sperrige Angelegenheit. Wohl aus der Not heraus muss der Film an sich vollkommen ohne Ton auskommen, denn die von ihm verwendete Kamera soll höllisch laut gewesen sein. Aus dem Off erläutern monotone Stimmen die fiktionalen Theorien Dr. Stringfellows, erörtern sachlich den Versuchsaufbau und –ablauf sowie die erwarteten Ziele, bis zum Ende hin die tatsächlichen Resultate beschrieben werden. Dieses im gleichbleibenden Tonfall vorgetragene, pseudo-wissenschaftliche Gebrabbel entwickelt, sofern man sich darauf einlässt, schnell eine Sogwirkung und stimuliert die Fantasie der Zuschauer, mit den gegebenen Informationen die stummen Bilder aus dem Alltag der Probanden für sich zu interpretieren, mit Sinn zu füllen. Es werden dabei einige Menschen gezeigt, die in einem steril wirkenden, von jeglicher sonstigen Zivilisation verlassenen scheinenden Gebäudekomplex herumtollen; Personen streifen durch die Gänge, Menschen erkunden ihre Körper, physisch oder gedanklich, telepathisch. Wobei letzteres schon eine reine Interpretationsarbeit meinerseits darstellt, da nur die theoretische Möglichkeit gegeben ist, die Bilder dahingehend zu deuten. Während die Darsteller vorgeblich sinnlich stimuliert werden, tut Cronenberg dies durch die Fülle der Information mit dem Intellekt des Zuschauers, der nun dazu angehalten ist, diese Theorien gedanklich in Einklang mit den Bildern zu bringen. Er gibt das eine vor, um das Gegenteil in uns auszulösen, er gibt den Rahmen und die Begriffe, und es liegt an uns, dies alles anzuordnen, damit es zusammen Sinn ergibt. Das ist eine geschickte Manipulation des Zuschauers, der aufgrund einer reduzierten Narrative zwar glaubt, eine Geschichte zu erkennen, sich diese aber eigentlich selbst in seinem Kopf zeichnet – die Analogie in der fiktiven Theorie im Film ist das des Alpha-Individuums (Cronenberg), dass das schwächste Glied (den Zuschauer) bricht (und zwar durch die Erwähnung und Darstellung der Sexualität), um dann mit ihm als Einheit in eine neue Art des Sozialverhaltens vorstoßen zu können; ein wahrhaft transitives Erlebnis. Und so haben wir am Ende auf der einen Seite die Probanden im Film, die in dem Experiment der vom Intellekt losgelösten Sinneserfahrungen scheitert, weil sie intellektuell veröden, und auf der anderen Seite einen Zuschauer, der sich, wenn Cronenberg es gelingt, ihn zu stimulieren, auf eine unterbewusste Ebene der Erzählung einlässt und dies, sollte das alles ein stimmiges Gesamtbild liefern, als Erfolgserlebnis verbucht und sich so das zugrunde liegende, intuitive Denkschema einprägt. Im Grunde genommen stellt dieser 60-Minüter den Schlüssel zu allen anderen Filmen Cronenbergs dar, eine Öffnung des Geistes zur freien Interpretation der gegebenen Informationen, die erst in Kombination mit der eigenen Fantasiebegabung wie auch der eigenen intellektuellen Leistung die (vermeintlich) eigentliche Geschichte freilegen. Cronenberg filmte seinen ersten, experimentellen Langfilm in schwarz/weiß, auf einer 35mm Arriflex. Als Schauplatz diente die University of Toronto Scarborough, wo er innerhalb von etwa drei Monaten einige Stunden Material ohne Ton drehte. Als Orientierungspunkt für den Zuschauer nutzte er die Ankunft des letzten Probanden, dargestellt von Ronald Mlodzik; der blonde Schauspieler war der erste Regular von David Cronenberg und begleitete ihn bis "Rabid – Der brüllende Tod". Das Spiel der Darsteller gleicht oftmals einem Ausdruckstanz, ihre Bewegungen sind meist langsam, expressiv. Die Erzählerstimme wechselt zwischen mehreren Personen, die die verschiedenen Studenten Dr. Stringfellows repräsentieren, die dieses Experiment durchführen und protokollieren. Durch den Wechsel der erzählenden Personen verhindert Cronenberg mitunter, dass sich trotz des gleichbleibenden Erzählflusses und der monotonen Stimme eine Ermüdung beim Zuschauer einstellt – sofern man sich, wie gesagt, darauf einlässt. "Stereo" ist gewiss kein Film für jedermann, doch er ist ein faszinierendes Experiment darüber, wie Film mehr sein kann, als nur Bilder und Töne zu einer vorgegebenen Narrative. Horny
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