Parasiten-Mörder / The Parasite Murders / Frissons / They Came from Within / Orgy of the Blood Parasites (Canada 1975) Regie/Buch: David Cronenberg Produzent: Ivan Reitman Make-Up-FX: Joe Blasco Darsteller: Paul Hampton, Joe Silver, Lynn Lowry, Barbara Steele
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Das erste was ich von Cronenbergs Langfilm-Debut jemals zu Gesicht bekam war das nebenstehende Foto – in gnadenlosem Schwarzweiss in einer 1976er Ausgabe von Vampir, im Zuge eines Festivalreports abgedruckt. Das war immerhin drei Jahre vor dem deutschen Kinostart und zeugt wieder einmal für die Relevanz dieses damals einzigen und bis heute besten aller deutschsprachigen Magazine für den phantastischen Film – und ja, ich kenne EVIL ED. Da meine komplette Sammlung bei der großen Abwasserkatastrophe von 1995 den Weg alles Irdischen gegangen ist und Einzelausgaben heutzutage nicht unter 10 € zu bekommen sind, kann ich da jetzt allerdings keine genaueren Infos geben. Auf alle Fälle faszinierte mich das Bild und im dazugehörigen Artikel las ich auch erstmals den Namen David Cronenberg und hatte somit die erste Begegnung mit einem der wenigen Regisseure, die mich bisher noch nie enttäuscht haben. Erstmals gesehen habe ich „Parasiten-Mörder“ dann tatsächlich erst Anfang der 80er Jahre, als ich die Glasbox von VMP bei unserem Telerent sah und für (schätzungsweise) 10 Mark ausleihen konnte. Trotz der hanebüchenen Billigsynchronisation, der verwaschenen Bildqualität und der deutlichen Schnitte (meine erwartete Szene war gar nicht vorhanden) packte mich die Geschichte irgendwie und die wirklich kontroversen Szenen waren ja enthalten, da sie nicht auf Gewalt beruhten. Kurz zusammengefasst geht es in „Shivers“ um einen künstlich erzeugten Parasiten der, nachdem er sich im Inneren des menschlichen Körpers entwickelt, vermehrt und die sexuellen Hemmschwellen seines Wirtes zum Fallen gebracht hat, seine Kinder losschickt um einen neuen Wirt zu suchen. Das Ganze spielt in einem noch nach Wandfarbe riechenden Hochhaus, dass auf einer Insel in der Nähe Montreals hochgezogen wurde und sämtlichen Komfort und Luxus bietet, den man sich Mitte der 70er wünschen konnte – so in etwa wie Köln Chorweiler plus Supermarkt und Ärzteetage. Durch das Auftauchen der Parasiten verändert sich logischerweise das Verhalten der Mieter und Mitarbeiter des Hauses ein wenig, das eigentlich schon fast autarke Gefüge dieser Kleinstadt in Hochbauweise bricht zusammen und stürzt ins Chaos. Streckenweise erinnert das Ganze schon frappant an J.G. Ballards Roman „High-Rise“, den Ben Wheatley dann schließlich im Jahr 2015 buchgetreu (und mit einer Menge Anspielungen an „Shivers“ versehen) nahezu genial in Filmform umsetzte. Wer hier wen beeinflusst hat ist allerdings eher unwichtig, denn auch wenn Cronenberg damals in Interview erwähnte, dass er Ballards Buch – damals gerade weltweit ein Bestseller - natürlich kannte und während des Drehs las, sind die Parallelen zwischen Handlung und Handlungsort zu weiten Teilen einfach Zeichen der damaligen Zeit. Denn das Leben in kleinstadtmässigen Betonklötzen wurde damals als die Lebensform der Zukunft angesehen und sowohl Ballard als auch Cronenberg prophezeiten einen späteren Zusammenbruch dieser erzwungenen Lebensgemeinschaften in ähnlicher Form. Was uns dann wieder zu Köln-Chorweiler und ähnlichen Projekten (die sogenannte „Papageiensiedlung“ in Ratingen wäre ein ähnliches Beispiel) bringt, die genau zu dieser Zeit aus dem Boden gestampft wurden und in denen heute ebenfalls das Chaos regiert. Aber Zukunftvisionen mal beiseite gestellt hat Cronenberg hier, nach seinen eher erfolglosen – dem Arthouse-Kino zuzuordnenden - langen Kurzfilmen[1] „Stereo“ und „Crimes of the Future“, den kommerziellen Schritt gewagt und den Film im Horrorgenre angelegt. Durch die Findigkeit seines Produzenten Ivan Reitman, der später mit „Meatballs“ und „Ghostbusters“ doch zwei recht erfolgreiche kommerzielle Filme drehen sollte, gelang es eine Lücke in der canadischen Filmfinanzierung auszunutzen, die Finanziers, die in canadische Produktionen investierten 100%-ige Steuerfreiheit für diese Gelder versprach. Somit kam eine Summe von - auch damals eher lächerlichen – 170.000 kanadischen Dollars zusammen, was allerdings ausreichte um mit Barbara Steele zumindest einen zugkräftigen Genrestar zu verpflichten. Das sorgte widerum dafür, dass Make-Up-Spezialist Joe Blasco schon alleine durch die Aussicht die Grande Dame des Horrors schminken zu dürfen, seine sonst bereits recht hohe Gage drücken liess. Zusätzlich reizte es ihn natürlich auch, dass er bei diesem Film viel experimentieren durfte, was er dann auch mit ganzem Herzen tat. Denn „Shivers“ bietet für seine Entstehungszeit erstaunlich drastische Bilder und nimmt speziell im Splatterbereich einiges vorweg, was später zum Standard wurde. Der Bauchplatzer in „Alien“, die blubbernden Verwandlungen in „The Howling“ oder „The beast within“ und selbst die Badewannenszenen aus „Deadly Blessing“/“A Nightmare on Elm Street“ haben dem Film sicherlich einiges an Inspiration zu verdanken. Alle Versuche ekelhaftere Parasiten, als die - wie eine Mischung aus einem Penis und einem Stück Kot erscheinenden - aus diesem Film, zu erschaffen scheiterten allerdings zumindest bisher. Die „kriechenden Kackwürste“, wie wir sie damals bezeichneten, sind einfach nicht schön anzuschauen und die Szenen, in denen sie aus dem Mündern ihrer Opfer krabbeln auch heute noch schön abstoßend. Cronenbergs Regie selbst weist hier zwar noch einige Schwächen auf, sein Drehbuch wirkt an manchen Stellen eher unfokussiert und seine Schauspielführung ungelenk, aber im gesamten funktioniert „Shivers“ sehr gut und zeigt schon seine Fähigkeit eine eher düstere Vision vom Zerfall der Gesellschaft und des menschlichen Körpers in packende Bilder zu packen. Am gelungensten finde ich persönlich die ersten 10 Minuten des Filmes, in denen in einer Parallelmontage gleichzeitig die Vermietung eines der Appartements im Haus und ein extrem grausamer Mord/Suizid präsentiert wird, bevor der eigentliche Protagonist des Filmes überhaupt eingeführt wird. Im Gegensatz zum genreüblichen „Teasermord“ werden beide Szenen aber im Laufe der Handlung noch wichtig. Ebenso interessant ist auch, dass nicht die eigentlichen Splattereinschübe am tiefsten schockieren, es sind eher die kleinen Momente in denen „Shivers“ richtig unangenehm wird, wie z.B. die Andeutung eines Inzests oder das in einigen – auch sexuell orientierten - Attacken deutlich Kinder und Senioren beteiligt sind. Auch die Wurzeln zu dem, was später als seine eigene Form des „Body Horrors“ bekannt wurde, werden hier bereits gelegt, was auch kein Wunder ist, hat er doch beim Schreiben des Drehbuches den qualvollen Krebstod seines Vaters vor Augen gehabt. Dieses traumatische Erlebnis verfolgt ihn noch bis heute und ist in all seinen Filmen mehr oder weniger herauszulesen, wobei es natürlich speziell hier, in „Rabid“ und „The Fly“ sehr deutlich wird, in denen die Zersetzung bzw. der Zerfall eines Körpers zum zentralen Element wird. Die mir vorliegende (und unten wie üblich verlinkte) ARROW BluRay präsentiert den Film in 1080p, unkomprimiertem Mono-Audio und natürlich komplett unzensiert. Bei den Extras ist – wie bei den Pfeilen aus England üblich – natürlich auch klotzen statt kleckern angesagt. So bekomen wir eine neue 45-minütige Dokumentation mit aktuellen Interviews mit unter anderem Barbara Steele, Lynn Lowry und natürlich Joe Blasco geboten. Ebenso gibt es eine Folge der canadischen TV-Sendung „On Screen“ über den Film, in der speziell auf die Schwierigkeiten bei Finanzierung und Dreh eingegangen wird und in der auch einige zeitgenössische TV-Auftritte von Cronenberg zu sehen sind. Eine weiteres interessantes Video-Essay beleuchtet die Anfänge von Cronenbergs Karriere von „Stereo“ bis hin zu „Videodrome“ und zeigt noch viele neue Querverbindungen in seinen ersten Werken auf. Zusätzlich runden die üblichen Trailer das Paket ab, wodurch ich – wenig überraschend – eine komplette Kaufempfehlung aussprechen kann, obwohl ich mir natürlich einen Audiokommentar von – nur als Beispiel – Tim Lucas oder Kim Newman sehr gewünscht hätte. Aber so hat man zumindest nochmal einen Grund in den nächsten Jahren zu updaten. dia
[1] Oder sind es eher kurze Langfilme?
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