Regie: David Cronenberg Vorlage: William S. Burroughs Drehbuch: David Cronenberg, Bill Strait Darsteller: Peter Weller, Judy Davis, Ian Holm, Julian Sands
-Kartographie des Wahnsinns-
Ein Fiebertraum gehört zu den unangenehmsten Erfahrungen, die ein geistig gesunder Mensch sammeln kann. Die uns bekannte Logik löst sich auf und wird durch ein furchterregendes System ersetzt, dessen einziger Sinn darin bestehen zu scheint, sich durch immer neue Bilder des Wahnsinns zu reproduzieren. Diese Bilder sind so entrückt, dass es unmöglich ist, unseren Mitmenschen von der Traumlogik zu berichten. An jene Unmöglichkeit nähert sich David Cronenberg mit der Verfilmung des Beatnik-Werkes Naked Lunch an und übersetzt eine fremdartige Welt in die unsere; eine, die Abscheu und Ekel, aber vor allem Faszination hervorruft. Während der verhinderte Autor William Lee (Peter Weller) sein Geld als Kammerjäger verdient, genießt seine Frau die ungewöhnlichen Vorzüge dieses Berufs: den ungehinderten Zugang zu berauschendem Insektizid. Mit ihren Schriftstellerfreunden experimentieren die Bohemiens mit der Droge, bis Williams Verstand schließlich von Halluzinationen zerfressen wird. Seine Schreibmaschine verwandelt sich in einen Käfer, der ihm den Auftrag gibt, seine Ehefrau zu töten, da diese in Wirklichkeit die Agentin einer mysteriösen Organisation namens Interzone Incorporated sei. Wütend zerschmettert er das schleimige Insekt, nur um seinen Auftraggeber post mortem zufrieden zu stellen. Denn bei einer alkohol- und drogengeschwängerten Wilhelm-Tell-Nachstellung verfehlt er das auf dem Kopf seiner Frau platzierte Glas und wird zum Mörder. Die Flucht treibt ihn schließlich an den exotischen Ort Interzone, der das perfekte Setting für einen fiebrigen Horrortrip bietet, der literarisch festgehalten werden will. „Ein widerlicher Gifthauch ununterbrochener Perversion, literarischer Abschaum“, ist zu lesen im Verbotsurteil von 1965 über William S. Burroughs Skandalroman. Wer mit dem Werk vertraut ist, kann bestätigen, dass es sich um ein unverfilmbares handelt, wird dem Autor doch nachgesagt, er hätte es im Heroinrausch verfasst. Dessen bewusst, erzählt David Cronenberg „nur“ die fiktive Entstehungsgeschichte des Buches und so verwundert es nicht, dass die Hauptfigur mit „William Lee“ eines der Pseudonyme Burroughs´ zum Namen hat. Auch die Schriftstellerfreunde sind angelehnt an zwei Weggefährten des Autors: Jack Kerouac und Allen Ginsberg. Dieser Ansatz ist jedoch kein feiger Kompromiss. Gegen Naked Lunch erscheinen sogar Mindfuck-Filme wie Donny Darko oder Lost Highway als einfach zu entschlüsselnde Rätsel, so obskur sind die Ereignisse, die William Lee erwarten. Eine klassische Handlung weicht kaleidoskopartigen Einblicken in die Welt eines Wahnsinnigen. Unsere Dimensionen lösen sich auf und weichen psychotischer Diktatur, in der der Mensch nur noch Spielball höherer Mächte ist, die auf seine Entmenschlichung aus sind. Diese Entmenschlichung stellt Cronenberg, wie für ihn typisch, äußerst plastisch dar, was den Zuschauern einige der besten handgemachten Splatter- und Horroreffekte der Filmgeschichte beschert. Nicht nur wenn es zu Verwandlungen kommt, erinnert der Film an die Bücher von Franz Kafka. Die Schattenorganisation Interzone Incorporated, ihre Ungreifbarkeit und dunklen Motive erinnern stark an den Prozess und rufen das drückende Gefühl hervor, das so stark mit dem Prager Autor verbunden wird, dass ihm dafür ein eigenes Adjektiv zuteilwurde, das gerne von klugscheißerischen Deutschleistungskurslern in der Oberstufe bemüht wird, hier aber einfach passt: kafkaesk. Bedrückung, Gewalt und Sex formen schließlich ein Kunstwerk, das genau wie die Romanvorlage, kontrovers diskutiert werden kann und viele abstoßen wird; eine Collage aus Blut und Sperma, die zeigt, zu welchen seelischen Angriffen Film fähig ist.
Christopher
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