(D 1973) Regie: Ulli Lommel Buch, Idee, Ausstattung: Kurt Raab Produktion: Rainer Werner Fassbinder Darsteller: Kurt Raab, Jeff Roden, Ingrid Caven, Brigitte Mira, Rosel Zech, Rainer Werner Fassbinder
Hannover – eine Stadt, ähnlich bekannt wie Bielefeld, die - im Gegensatz zum in Wirklichkeit nicht vorhandenen Örtchen am Rande des Ruhrgebietes – zumindest einige Dinge zu bieten hat. Als da wären, das akzentfreieste und reinste Sprachdeutsch, die CeBit, einen Ex-Bundeskanzler und... Ein Serienkiller mit mehr als 20 nachgewiesenen Untaten an zumeist männlichen Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 – 22 Jahren. Naja, so wirklich stolz sind die Hannoveraner auf ihn natürlich nicht, vor allem, da sich die Polizei in speziell diesem Fall auch nicht gerade mit Ruhm bekleistert hat. Wer hier Genaueres und faktenorientierteres wissen will, sollte entweder die als Taschenbuch erwerblichen Haarmann-Protokolle lesen oder sich deren Verfilmung „Der Totmacher“ mit Goetz George zulegen. „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ erzählt die Haarmann-Geschichte zwar weitestgehend an den Fakten entlang, ist aber in erster Linie natürlich eine Produktion der Fassbinder-Familie (mit zusätzlichen Ensemble Mitgliedern von Peter Zadeks Theater) und dementsprechend was die Figuren betrifft eher frei interpretiert. Dazu aber später mehr, beginnen möchte ich mit einem kleinen Diskurs über den Regisseur des Filmes, Ulli Lommel (1944 – 2. 12. 2017), dessen Person mindestens genau so interessant ist wie seine Werke[1]. Dank eines schauspielernden Vaters sozusagen bereits auf der Bühne aufgewachsen, begann er bereits im Alter von 16 Jahren eine Karriere als Fernsehschauspieler und wechselte schnell ins Filmfach. Da er seit 1967 ein Engagement an einer Münchner Bühne hatte, kam er mit der dortigen Szene des „neuen deutschen Films“ in Berührung und ging darin auf. Er gehörte bald zum Stamm der Fassbinder-Schauspieler und als Fassbinder einmal noch 20.000 DM Fördergelder bis zum Ende des Jahres verprassen musste, aber keine Zeit hatte, kam es 1973 zu seiner ersten Regiearbeit, dem hier zu besprechenden Film, den man ohne weiteres als einen Geniestreich bezeichnen kann. Auch sein Beitrag zum Slasher-Genre, der bereits 1980 entstandene „The Boogey Man“, zählt tatsächlich zu den besseren Vertretern des Genres und ist auch heute noch ansehnlich, aber über den Rest seines dem folgenden Outputs (immerhin alleine 22 Dokumentationen über Serienkiller) decken wir lieber mal das Mäntelchen des Schweigens. Da man über Tote nicht schlecht reden soll, erwähnen wir den Daniel Küblböck Werbefilm „Daniel der Zauberer“ erst gar nicht. „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ beginnt mit einer Kamerafahrt, bei der der Schatten eines Mannes an einer Ziegelmauer entlang verfolgt wird und somit mit einer offensichtlichen Hommage an Fritz Langs Klassiker „M-eine Stadt sucht einen Mörder“ aus dem Jahr 1931. Auch im weiteren Verlauf findet man viele solche Verbeugungen vor den alten Meistern, offensichtliche, bei die nebenstehend abgebildete Szene aber auch im gesamten Stil des Filmes, der mittels seiner außergewöhnlichen Beleuchtung – anstatt großer Studioleuchten wurden zumeist mehrere kleine Spots verwendet um Details hervorzuheben – an die alten expressionistischen Filme der Vorkriegszeit erinnert. Im Gegenteil zu Langs Film aber, der den Serientäter Peter Kürten zum Vorbild hatte, konzentriert sich das von Kurt Raab geschriebene Drehbuch nahezu komplett auf den Täter – die Polizeiarbeit und das Leben der Opferfamilien bleibt eher im Hintergrund. Raab selbst spielt die Hauptfigur, mit einer extra für den Film frisch geschorenen Komplettglatze, als eine verstörte und – trotz seiner Taten – paradoxerweise nicht wirklich unsympathische Figur. Ebenso werden Haarmans Taten, im Gegensatz zu allem, was die plakative Vermarktung einen glauben lassen will, nicht unbedingt explizit gezeigt. Sicherlich „darf“ der Zuschauer einem Mord beiwohnen und zusehen, wie sein letzter Mordversuch buchstäblich in letzter Sekunde verhindert wird, die wirklichen grausamen Details der Zerstückelung seiner Opfer werden ihm aber glücklicherweise erspart. In dieser Beziehung fühlt man sich als Zuschauer fast wie die Nachbarn und das Umfeld Haarmanns, denen man ihre „Ich habe von nichts gewusst“-Einstellung, die sie in der Gerichtsverhandlung immer anklingen liessen, nicht wirklich glauben mag. Ebenso wie diese ist man beim Sehen des Filmes auch in der „Er war doch so ein netter Mann“-Situation, wenn man zusieht wie sich Haarman mit kleineren Gaunereien und mit Spitzeldiensten für die Polizei am Leben erhält und seine Umgebung relativ günstig mit großen Fleischmengen versorgt. Da ist man fast schon versucht, den von ihm geliebten Zuhälter und Ganoven Grans, herrlich schleimig gespielt Jeff Roden, der Haarmans Gutmütigkeit ausnutzt und ihn mit seinem Wissen erpresst, als eigentlichen Bösewicht des Filmes zu sehen. So verpackt der Film, in der typischen Art des deutschen Autorenfilmes, gleichzeitig auch noch seine soziale Botschaft, eine Anklage der Nachkriegsgeneration, die ja weder etwas gewusst noch sich am Nationalsozialismus beteiligt hat und nutzt zur Verdeutlichung derselben den Kunstgriff, die Geschichte, die ja eigentlich in den 1920er Jahren spielt in eine Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg zu verlagern, bringt ihn also zeitmässig näher an sein 70er Jahre Publikum. Das mag jetzt für „Tru Crime“-Fetischisten ein Affront sein, entspricht aber der Art und Weise des deutschen Filmes der damaligen Zeit, der gerne mal zugunsten einer Botschaft die Realität verbog. Auch in anderen Bereichen des Filmes befinden wir uns deutlich im „Neuen deutschen Film“. Da ist zuerst einmal natürlich die Besetzung zu nennen, die eine Art „Who is Who“ der Fassbinder-Generation darstellt. Da Fassbinder zur Zeit der Dreharbeiten mit seinem „Antiteater“ (das ist die richtige Schreibweise) ein Gastengangement bei Peter Zadek, damals Chefintendant am Schauspielhaus Bochum, hatte konnte Lommel sich hier zusätzlich auch noch aus dessen Pool bedienen. Dadurch hat der Film selbst in den kleinsten Nebenrollen noch großartige Schauspieler versteckt, die teilweise – wie zum Beispiel Jürgen Prochnow – noch nicht einmal mit einer Großaufnahme oder gar einem Dialog bedient werden. Trotzdem leidet der Film aber auch unter dem, was den „Neuen deutschen Film“ halt so sperrig machte. Dialoge werden zumeist eher emotionslos vorgetragen, Realismus ist wichtiger als dramaturgische Konstruktion, was natürlich sämtliche potentielle Horror-Elemente direkt von vorneherein zu Nichte macht. Da hier, ebenso wie bei allen Filmen aus dem Fassbinder-Umfeld auch ohne Liveton gearbeitet wurde, ist zusätzlich auch noch eine eher kalte Synchronisation eine weitere Schwelle, die es zu überwinden gilt. So ergibt sich eine beobachtende Kälte, die nur ab und an – durch die großartige Leistung von Raab und eine wirklich tolle Rolle von Brigitte Mira – mal etwas positives und Warmes ausstrahlt. Somit ist offensichtlich, dass „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ nicht für jedermann geeignet ist. Horrorfans, die sich vom tollen Cover des Mediabooks verführen lassen, werden eher enttäuscht sein und anderen werden die vielen homsexuellen Szenen im Film sicherlich nicht sonderlich zusagen (Lommel und Raab zeigen hier keinerlei Zurückhaltung, es gibt sogar einige männliche Nacktszenen und ein schwuler Kuss war damals sicherlich noch ein Schock für das Publikum). Trotzdem hat er einen ganz eigenen visuellen Stil und viele Momente, die mit zum besten zählen, was es aus dieser Zeit in deutschen Landen zu sehen gab. Das angesprochene – und unter diesem Text wie üblich verlinkte – auf 999 Exemplare limitierte Mediabook von CMV wird dem Klassikerstatus des Filmes dann auch wirklich gerecht. Neben einer interessanten Dokumentation über die Dreharbeiten, in der viele Überlebende interviewt werden ist hier vor allem der Audiokommentar von Ulli Lommel und Uwe Huber interessant, der auch tief in die Geschichte der Dreharbeiten einsteigt und einige Details des Filmes doch in einem anderen Licht dastehen lässt. Die Bild- und Tonqualität der BluRay ist tatsächlich atemberaubend, so dass man diese Version tatsächlich als die ultimate Edition bezeichnen kann. Ob man sich den Film nun in seine Sammlung stellen muss, ist allerdings eine schwere Entscheidung, denn so gerne ich ihn auch mag, wirklich häufig wird er sicherlich nicht im Player landen.
Dia [1] Hier verweise ich gerne auf seine äußerst kurzweilige Auto-Biographie
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