(USA 2017) Regie: Marc Meyers Drehbuch: Marc Meyers, John Backderf Vorlage (Graphic-Novel): John Backderf Darsteller: Ross Lynch, Alex Wolff, Anne Heche, Dallas Roberts
“I have to pick up road kill, but I'm trying to quit.”
Jeffrey Dahmer war mit Sicherheit der erste Serienmörder, dessen Verhaftung man auch hierzulande sozusagen „live“ mitverfolgen konnte. Dank Privatfernsehen und Newsnet (die Tatortphotos waren im August 1991 in nahezu jeder Binary-Gruppe zu finden) war man als Vorstufe eines digitalen Menschen immer recht nahe dran am gesamten Fall und durfte – vorausgesetzt man hatte Zugriff auf ausländisches Fernsehprogramm[1] – sogar Auszüge aus dem Prozeß sehen. Ähnlich wie unser deutsches Serienkilleridol Fritz Haarmann (siehe hierzu auch unser Review zu Uli Lommels Meisterwerk „Die Zärtlichkeit der Wölfe“) lebte auch Dahmer seine unterdrückten homosexuellen Neigungen am liebsten am toten Objekt aus und zerstückelte seine Liebenspartner nach dem Akt, anders als der „Fritze“ verkaufte er das Fleisch seiner Opfer allerdings nicht sondern hob sich nur ein paar Premium-Cuts zum (kulinarischen und sexuellen) Eigenbedarf auf. Dahmer wurde im Prozeß, nachdem er 17 Morde gestanden hatte, für voll zurechnungsfähig erklärt und zu insgesamt 15 lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Im Jahre 1994 bereits wurde er von einem Mithäftling zu Tode geprügelt. Im Jahr 2012 erschien in den USA erstmals die Graphic-Novel „My friend Dahmer“ in der John „Derf“ Backderf, der zusammen mit Jeffrey die Highschool besuchte hatte, seine Erlebnisse mit der späteren Berühmtheit niederzeichnete und der dieser Film zu Grunde liegt. Derfs Comic ist grandios, in einer Art 60er Jahre Underground-Stil mit deutlichen Anleihen bei Mad) gezeichnet und in keinster Weise beschönigend, selbst wenn Derf und seine Clique dabei nicht sonderlich gut wegkommen. Die filmische Umsetzung steht der Vorlage hier allerdings inkeinster Weise nach. Jeffrey Dahmer (Ross Lynch) entspricht halt nicht dem Klischee, dass man beim Begriff Serienkiller vor Augen hat. Seine Kindheit verlief eigentlich recht normal, wenn man mal davon absieht, dass seine Mutter nach der Geburt seines jüngeren Bruder mit starken Depressionen zu kämpfen hatte. Diese führten zu Medikamentenmissbrauch und später zu Trennung von ihrem Mann Lionel (Dallas Roberts). Die Streitigkeiten, die dieser Trennung vorangingen zogen sich nahezu über Jeffreys gesamte High School Zeit und sorgten dafür, dass er und seine Probleme in der Familie ziemlich hintenanstanden. Aber auch in der Schule war Jeffrey eher eine sogenannte Wallflower, also jemand, der versuchte eher unsichtbar zu sein. Nicht wirklich das Opfer der schulbekannten Bullies, aber auch nicht der Mittelpunkt des schulischen Geschehens. Das schlug sich auch in seinen schulischen Leistungen wieder, die – obwohl dem Jungen ein sehr hoher IQ attestiert wurde – eher im Mittelmaß lagen. Einzig und alleine sein Hobby, das einsammeln von „flachen Freunden“ und deren Zersetzung mittels Säuren und Laugen, die ihm sein Vater, ein Chemiker, besorgte konnten ihm wirklich Freude bereiten. In einem verzweifelten Versuch in den Mittelpunkt des Interesses zu geraten imitiert Jeffrey eines Tages im Schulkorridor einen epileptischen Anfall, was tatsächlich dazu führt, dass er sozusagen als Schulclown akzeptiert wird und sich um ihn herum eine Art Fanclub bildet, zu dem auch der Zeichner/Autor Derf gehört. Diese Clique macht es sich nun zur Aufgabe mehr oder weniger originelle Pranks durchzuführen, die zumeist immer auf Jeffreys Talent zur Imitation schwerer Anfälle beruhen. Als diese Masche allerdings durch ständige Wiederholungen langweilig wird verlieren sie das Interesse, lassen den Clown fallen und Dahmer stürzt in eine Depression und gibt sich dem Alkohol hin. Der Film endet – wie auch die Vorlage – bereits vor dem ersten Mord Dahmers und bietet dementsprechend dem rein blutgeilen Zuschauer wenig Schauwerte. Wer allerdings auf psychologisch ausgefeilte Dramen steht, der wird hieran seine Freude haben. Speziell die Performance von Ross Lynch ist dabei atemberaubend. Mit bis über den Nabel hochgezogenen Hosen, einem unaufälligen Hemd und hängenden Schultern schlurft er durch den Film und scheint einfach nirgendwo wirklich hinein zu passen. Erst durch den Kontakt mit seinem „Fanclub“ scheint er kurz aufzublühen und zu „funktionieren“, eine echte Freundschaft zu irgendeinem anderen Schüler kann er aber tatsächlich trotzdem nicht aufbauen. Er bleibt – auch wenn er vordergründig im Mittelpunkt steht – immer das Mauerblümchen und in seiner, teilweise selbst erwählten, Unsichtbarkeit versteckt, was sicherlich auch mit ein Grund war, warum es so lange gedauert hat, bis man ihm endlich etwas nachweisen konnte obwohl massig Hinweise von entkommenen Opfern vorlagen. So bleibt nach dem Sehen des Filmes – ebenso wie in der Vorlage – die Frage im Raum stehen, ob man seine später ausbrechenden Neigungen erkennen und eventuell verhindern hätte können und somit ein erstaunlich unangenehmes Gefühl zurück. Wie üblich nun noch die Warnung, dass „My friend Dahmer“ mit Sicherheit nicht jedem gefallen wird. Es handelt sich – wie gesagt – um ein reines Drama ohne thriller- oder gar horrormäßige Höhepunkte. Dahmer selbst ist hier noch kein Killer sondern eher eine bedauernswerte Kreatur, die nicht in der Lage ist sich in das sogenannt „normale“ Leben einzufügen. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht so, dass ihm keine Chancen geboten worden wären. So wird der Zuschauer zwischen Abscheu im Gedanken an seine späteren Untaten und Mitleid mit Jeffrey hin- und hergerissen, eine Erfahrung also, die nicht jedem als erstrebenswert erscheinen wird. Jedem, der Interesse am Phänomen des Serienkillers hat und auch mal etwas genauer hingucken möchte sei der Film aber ans Herz gelegt. DIA [1] Hier bei uns BBC und AFN (ein britischer Soldatensender)
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