(USA/D 2000) Regie: Tarsem Singh Drehbuch: Mark Protosevich Kamera: Paul Laufer Musik: Howard Shore Darsteller: Jennifer Lopez, Vincent D'Onofrio, Vince Vaughn, Dean Norris
„From visionary filmmaker...“ ist eine oft in Reviews benutzte Phrase und bezieht sich heutzutage zumeist auf Hollywoods Blockbuster Wunderkinder wie Zack Snyder oder Christopher Nolan, die sicherlich zu Beginn ihrer Karrieren noch wirklich originelle Ideen in ihre Filme einbringen konnten, denen ihre jetzigen Drehbücher aber auf ihren Stil zugeschrieben werden. Von wirklichen Visionen ist in durchproduzierter Big-Budget-Ware nicht mehr viel zu sehen, neue Ideen und mutige Entscheidungen beugen sich dem Diktat der Massenkompatibilität. Nun ist das allerdings nichts wirklich Neues, auch Ridley Scott wurde nach „Alien“, „Blade Runner“ und „Legend“ mit diesem Namensschild geschmückt, nach dem finanziellen Misserfolg des letzteren an den Kinokassen hingegen musste er sich seinen Namen erst wieder zurück verdienen und mit kleineren Budgets aber größeren Ideen arbeiten. Da ihm das gelang geniesst er jetzt die Narrenfreiheit des alten Genies und darf filmische Meisterleistungen wie „Alien-Cofefenant“ auf die Menschheit loslassen. Kommen wir jetzt aber zu Tarsem Singh (oder kurz Tarsem, wie er sich gerne im Vorspann bezeichnen lässt), dessen Karriere wir in den nächsten Wochen etwas näher beleuchten werden. Der 1961 in Indien geborene Regisseur begann seine Karriere in den 90ern mit Werbefilmen und Musikvideos und hinterliess in beiden Bereichen einen bleibenden Eindruck. Speziell seine Arbeiten für R.E.M. (und hier insbesondere das nebenstehende Video zu „Loosing my religion“) sorgten für Aufsehen, so daß es eigentlich nur eine Frage der Zeit war, bis er ins Filmgeschäft einsteigen würde. Die große Chance gab ihm dann New Line Cinema im Jahr 1999. Mit einem - für damalige Verhältnisse - riskanten Budget von 33 Millionen $ veranschlagt und mit – der damals gerade auf der obersten Leiter des Stardoms balancierenden – Jennifer Lopez und dem grandiosen Vincent D´Onofrio besetzt, sollte Tarsem einen Thriller im Stil des damals sehr erfolgreichen „Seven“ kreieren. Rein formell erfüllt der fertige Film diese Grundvoraussetzungen auch mit Bravour, aber er bietet halt so viel mehr als eine weitere massenkompatible „Silence of the lambs“-Variante. Zwar beginnt der Film, nach einer beim ersten Sehen verwirrenden Eingangssequenz, die deutlich Tarsems Hang zur außergewöhnlichen Bebilderung zeigt, mit einem typischen Serienmörder (Vincent D'Onofrio), der allerdings einem sehr seltsamen Modus Operandi fröhnt. Zuerst läßt er seine Opfer nämlich mehrere Tage mit wenig Nahrung in einem Glaskäfig darben, um sie dann in demselben jämmerlich ertrinken zu lassen. Die Leichen bleicht er dann aus und nutzt sie, zusammen mit den Videos ihres Todeskampfes, als Masturbationsvorlagen, während er an Haken aufgehängt über ihnen schwebt. Eine Sequenz, die dermaßen voller erotischer Perversion steckt, dass es bis zum BluRay-Release dauern sollte, bis unsere amerikanischen Freunde sie erstmals vollständig zu Gesicht bekamen. Kurz nachdem er ein weiteres Opfer entführt hat, kommt ihm das FBI unter der Leitung von Agent Novack (Vince Vaughn) auf die Spur und schafft es in sein Haus einzudringen, findet den Bösewicht aber leider im Koma vor. Um nun das gefangene Opfer noch retten zu können entschließt man sich zur Verwendung einer modernen Technik, die es einer Wissenschaftlerin (Jennifer Lopez) ermöglicht, in das Gehirn eines komatösen Patienten virtuell einzudringen und eine Art Kommunikation mit ihm aufzubauen. Ist der Film bis zu diesem Zeitpunkt noch ein „normaler“, wenn auch recht harter und unangenehmer, Thriller so landen wir ab der ersten von mehreren Reisen in das Hirn eines Psychopathen in Welten, in denen alles möglich ist. Der Zuschauer wird von nun an mit einer Bilderflut bombardiert, die, obwohl sich das Script fast schon zu sehr bemüht jedes Detail zu erklären, trotzdem noch genug Möglichkeiten zur Interpretation offen lässt. Immer wieder schafft es Tarsem den Zuschauer zu überraschen und immer wenn er denkt den Gipfel der visuellen Verwirrung und des Erfassbaren erreicht zu haben, setzt der Film noch einen drauf. Deutlich merkt man dabei auch die Prägung des Regisseurs durch den Bollywood-Film, oft erstrahlt alles in leuchtend bunten Farben, die Figuren und Kostüme werden genutzt wie Flächen auf einem Gemälde, schwebende bunte Stoffbahnen teilen die Bilder oder dienen gar als komplette Kulisse. Die Effekte bestehen hierbei zumeist aus Handgemachtem und werden nur wenn nötig minimal mit computergenerierten Bildern unterstützt, was gerade im surreal verschachtelten „Hirn“ des Serienkillers, all den unmöglichen Bildern eine gewisse „Echtheit“ verleiht. Man vergleiche hier einfach mit dem ein Jahr zuvor entstandenen „Star Wars Episode 1: The phantom menace“ und sieht sofort den Unterschied. Unterstützend wirkt hier ebenso die Musik von Howard Shore, der hier – kurz bevor er mit der „Lord of the Rings“-Trilogie endgültig in den Olymp der kommerziell erfolgreichsten Filmkomponisten aufsteigen sollte – nochmals einen an seine Frühzeit mit Cronenberg erinnernden, wenig eingängigen/schrägen, Soundtrack vorlegte. Zusammen mit der Art wie der Einstieg in das Killergehirn erfolgt, den irrsinnigen Bildern und der atonalen Musik ergibt sich somit ein ähnlicher Sog wie damals in Ken Russels „Altered States“ (1980), den ich dementsprechend als Double-Feature-Film empfehle. Zugeben muss man bei all der Freude über die visuelle Wirkung des Filmes auch, dass er gerade dadurch auch einige Probleme hat. Denn grundsätzlich gibt es bei der Motivation des Serienkillers keine großartigen Überraschungen – er wurde natürlich als Kind vom brutalen Vater geschlagen,ein Mißbrauchsverdacht hängt auch in der Luft und natürlich ist ein Trauma aus der Kindheit dafür verantwortlich, dass er gerne Mädchen ertränkt. Das hatte man auch im Jahr 2000 schon in allen möglichen Varianten zu Gesicht bekommen und dass „The Cell“ daraus erst einmal lange Zeit eine Art Geheimnis macht, sorgt nicht wirklich für Spannung. Außerdem ist das Detail, das letztendlich zur Auflösung des Falles führt, eines, das man mit vernünftiger detektivischer Arbeit schon Tage zuvor – und ohne die Hilfe von Frau Lopez wunderschönem Hintern - hätte entdecken können. Dann allerdings hätten wir auf die wunderschönen visuellen Ideen von Tarsem (und einige Einstellungen von Frau Lopez Hintern) verzichten müssen und das kann ja wirklich nicht der Sinn der Sache sein. Wo wir gerade bei JayLo sind, sie bietet eine erstaunlich solide Leistung, verblasst aber natürlich im direkten Vergleich mit Vincent D'Onofrio, der hier einen der fiesesten Serienkiller der Filmgeschichte spielen darf und komplett in der Rolle aufgeht. Vince Vaughn hingegen ist hier eine Art Mister Reaction-Shot und darf erst am Ende mal wirklich aktiv in die Handlung eingreifen. Somit entpuppt sich „The Cell“ als ein Erstlingswerk, dass zwar einige Schwächen, aber auch einen ganz eigenen Stil hat. Dass dies hauptsächlich Tarsems Verdienst ist, sollte sich sechs Jahre später bei seinem zweiten Langfilm „The Fall“ zeigen, den wir im Laufe der nächsten Woche an dieser Stelle besprechen werden.
Dia
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