Örümcek / Ankaboot / Pók (Canada / UK / France 2002) Regie: David Cronenberg Buch/Vorlage: Patrick McGrath Musik: Howard Shore Kamera: Peter Suschitzky Darsteller: Ralph Fiennes, Gabriel Byrne, Miranda Richardson, John Neville
Clothes maketh the man; and the less there is of the man,
Zu Beginn von „Spider“ sehen wir einen leeren Bahnsteig – ein Zug fährt ein. Leute steigen aus und gehen, hetzen, schlendern an der Kamera vorbei. Suchend, getrieben, verwirrt, ins Gespräch mit dem Nachbarn vertieft oder zielstrebig. Als der Bahnsteig leer ist steigt unser Titelheld langsam aus dem Zug aus. Den Blick gesenkt, mit einem kleinen Koffer, nahezu versteckt in seiner Kleidung und dem schmierig und zu groß wirkenden Trenchcoat.
Diese führt eine Art Haus für betreutes Wohnen, in das Spider übergangsweise nach einem jahrzehntelangen Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt, eingewiesen wurde und dass sich an seinem Heimatsort befindet. Auch wenn das nicht näher ausgeführt wird, so scheint es, als versuche man hier den Traumaknoten mit einer Art Konfrontationstherapie zu lösen. Tatsächlich halluziniert sich Spider, der im übrigen immer vier Oberhemden gleichzeitig trägt und sich nach der Erwähnung von Gas mit Zeitungen umwickelt und diese mittels dicker Stricke an seinem Leib festzurrt, nun in Episoden aus seiner Vergangenheit, in der er nun als stummer und unsichtbarer Beobachter scheinbar unterdrücktes zu Tage fördert.
Ebenso stirbt mit diesem Film in seinem Oeuvre die Verbindung zur technisch-wissenschaftlichen Science Fiction, die tatsächlich ja auch mit der Jahrtausendwende und dem tatsächlichen Beginn des digitalen Zeitalters[1], sozusagen in der Gegenwart angekommen war. Diese somit startende zweite Hälfte von Cronenbergs Karriere wird einigen Horror- und Science-Fiction-Fans vielleicht nicht mehr so zusagen, gerade aber in Filmen wie „A History of Violence“, „A dangerous Method“ oder aber eben auch hier in „Spider“, erzeugt er dadurch, dass er uns die Fragilität unseres Bewusstseins vor Augen führt, teilweise einen größeren Schockfaktor als mit noch so guten Latexskulpturen.
Die schauspielerische Leistung von Ralph Fiennes kann man hier natürlich in wenigen Worten kaum richtig würdigen. Kurz bevor er als nasenloser Harry Potter Bösewicht Geld und Ruhm ansammeln durfte, spielt – nein besser IST – er hier eine Figur, die bei einem schlechteren Schauspieler schnell zur Karikatur hätte werden können. Aber ob Fiennes hier sein Zimmer mit Fäden „zuspinnt“, mit seinen nikotingelben Fingern krumme Zigaretten dreht oder in einer nur für ihn lesbaren Schrift unendliche Zeilen in sein Tagebuch schreibt - nichts davon wirkt überzogen oder gar falsch.
Wenig überraschend ebenso überzeugend spielt Gabriel Byrne, der in den Erinnerungen/Rückblenden/Halluzinationen Spiders Vater darstellt, der vom Sohn halt grundsätzlich in verschiedenen Sitruationen auch verschieden wahrgenommen wird. Auch hier hätte ein schwacher Schauspieler durch übermäßige Betonung solcher Momente viel kaputt machen können, aber wie ich immer so schön sage: „Stellt mir einfach den Byrne irgendwo 5 Minuten stumm in die Ecke und jeder Film hat gewonnen!“.
Natürlich ist „Spider“ kein Unterhaltungsfilm und deutlich sperriger und schwerer zugänglich als selbst spätere Werke Cronenbergs. Als ich ihn das erste Mal im Zuge einer Cronenberg-Retrospektive nachmittags im Kino sah, war der Weg nach Hause eine Erfahrung. Es ist ein Film, der den Zuschauer sicherlich nach dem ersten Sehen noch einige Tage beschäftigen wird, der aber auch den Blick öffnen kann für eine andere Sichtweise auf seelisch kranke Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten.
dia
[1] Die Veränderung zu Web2.0 wird in diesen Hinsicht immer wieder unterschätzt.
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