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livide 006  eyespecialsklein auch auf NdlT 

(France / Canada 2018)
Incident in a Ghostland, Pesadilla en el infierno, Ghostland – La casa delle bambole


Buch/Regie: Pascal Laugier
Darsteller: , , , ,

 

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„Hör nicht auf Sie, Beth! Dort gibt es nichts mehr für Dich, nur böses.“
„Aber sie ist meine Schwester, Mom. Ich muss wieder gehen.“

 

Die junge Elizabeth zieht mit ihrer Mutter Pauline und ihrer gehässigen Schwester Vera in das verlassene Haus ihrer toten Tante Clarice. Die ältere Vera lässt ihren Frust über den Umzug und den Verlust ihres Freundeskreises dahingehend ab, dass sie gegen ihre fantasiebegabte Schwester, die gerne Horror-Geschichten schreibt, ätzt.

ghostland 015Sie fühlt sich zurückgesetzt, weil Mutter Pauline Beth immer wieder zum Schreiben ermutigt, sie teilen auch eine Vorliebe für alte Dinge. Und so können sich die beiden auch mehr für das alte, mit Puppen und anderen Tüneff vollgestopfte Haus begeistern. Die Freude wird etwas getrübt, als die junge, irritierte Beth gerade jetzt ihre erste Periode bekommt, was Vera nur mit einem fiesen Spruch quittiert. Doch der Abend findet ein grausames Ende, als zwei psychopathische Serienmörder in das Haus eindringen. Einer von ihnen, ein riesiger, scheinbar zurückgebliebener Kerl, der kein Wort spricht, verschleppt sogleich Vera und lässt Beth links liegen. Pauline kämpft wie eine Löwin für ihre Töchter, kann den ersten Angreifer in der Küche überwältigen und dann Vera aus den Klauen des anderen befreien. Doch der Schock sitzt tief.

ghostland 004Einige Jahre später hat Beth den Schrecken dieser Nacht nicht wirklich hinter sich lassen können, ist aber eine erfolgreiche Horror-Autorin. Just in ihrem neuesten, teils autobiografischen Buch namens „Incident in a Ghostland“ hat sie, quasi als Selbsttherapie, diese schrecklichen Ereignisse verarbeitet. Da klingelt eines Abends das Telefon und am anderen Ende der Leitung hört sie eine panische Vera, die sie inständig anfleht, dass sie zurück zu ihr kommen solle. Und so macht sie sich auf den Weg in das alte Haus von Tante Clarice, wo ihre Mutter sich um Vera kümmert, die seit dieser einen verhängnisvollen Nacht traumatisiert ist, sie immer wieder aufs neue durchlebt. Andauernd schließt sie sich in ihrem Zimmer ein und fesselt sich selbst ans Bett. Doch nicht nur die Gebaren ihrer Schwester lösen in Beth ein ungutes Gefühl aus, denn das Haus und die Erinnerungen, die damit verbunden sind, halten noch einige unangenehme Überraschungen für die junge Frau bereit...

ghostland 018GHOSTLAND ist der neueste Streich von Pascal Laugier, es ist erst sein vierter Film in vierzehn Jahren; ein Vielfilmer wird der Franzose damit wohl nicht mehr. Zumindest weiß man bei ihm, woran man ist, nämlich, dass man eben nicht weiß, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Laugier hat in seinen vorangegangenen Filmen THE TALL MAN (2012) und MARTYRS (2008) nachhaltig bewiesen, dass er ein großartiger Manipulator ist und seine Geschichten Haken schlagen, die einen überraschen, aber im nachhinein meist klar nachvollziehbar sind. Und hier macht sein neuer Film natürlich keine Ausnahme. Der Filmemacher bleibt sich auch dahingehend treu, dass seine Protagonisten weiblich sind und im Laufe des Films in gewisser Weise ihre Rollen tauschen. Die Triebfeder für das Voranschreiten des Geschehens bildet wieder einmal ein entsetzliches Ereignis in der Vergangenheit, jedoch variiert er genau diesen Punkt im besprochenen Fall besonders pfiffig. Ich kann hier aber nicht weiter darauf eingehen, ohne etwas entscheidendes zu verraten und euch die Freude am Film gravierend zu schmälern. Die Story ist, wie man es von Laugier eben kennt, durchsetzt mit einigen Twists und Wendungen, auch wenn inzwischen ersichtlich ist, dass er sich seit MARTYRS in der Struktur seiner Drei-Akter treu bleibt.

ghostland 006Die weiblichen Protagonisten sind bei Pascal Laugier immer stark, es ist sogar so, dass sie im Laufe seines filmischen Schaffens, SAINT ANGE (2004) über MARTYRS (2008) bis hin zu THE TALL MAN (2012), immer stärker zu werden scheinen. In THE TALL MAN und auch im vorliegenden GHOSTLAND, soviel sei verraten, gelingt es den Antagonisten bei allen Bestrebungen nicht mehr, seine Frauenfiguren letztendlich doch zu brechen, hier ist jetzt sogar das Gegenteil der Fall. Ein Casting-Coup ist gewiss die Sängerin Myléne Farmer, in Frankreich ein großer Star, die ihre Rolle bravourös meistert. Dabei war sie sonst noch nie als Schauspielerin für einen Spielfilm aktiv, wenn sie auch ihre Musik-Videos gerne mal als Kurzfilme aufzieht; sie hat hier schon mit Regisseuren wie Abel Ferrara (CALIFORNIA, 1997), Ching Siu-Tung (L'AME-STRAM-GRAM, 1999) und eben Pascal Laugier (CITY OF LOVE, 2015) zusammengearbeitet. Die große Entdeckung des Films ist aber Emilia Jones, die zum Zeitpunkt des Drehs erst 14 Jahre alt war und einigen bestimmt schon im düsteren Western BRIMSTONE (2016) an der Seite von Dakota Fanning auffällig geworden ist, als junge Beth.

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Sie spielt ein Mädchen am Rande zum Frausein, das zuerst noch kindlich ihrer Begeisterung für Lovecraft und den Träumen an eine Zukunft als Autorin von Gruselgeschichten nachhängt, aber schon, kurz nach Auftreten ihrer ersten Periode, sich und ihre ältere Schwester mit zwei grausamen und brutalen Sexualverbrechern konfrontiert sieht. Die jungen Darstellerinnen mussten während der Dreharbeiten einiges einstecken, wovon Taylor Hickson, die als die junge Vera genauso eine wirklich großartige Vorstellung bietet, wohl ein Lied singen kann; während des Drehs, in einer Szene, in der sie mit Händen gegen eine Glasscheibe hämmert, gab das Glas nach, und sie fiel hindurch, wobei sie sich einige schwere Schnittwunden zugezogen hat, die genäht werden mussten. Als Souvenir blieb dabei eine Narbe, weswegen Hickson vor Gericht zog und die Produktionsfirma wegen Fahrlässigkeit verklagte. Kein Wunder, dass ein Interview mit ihr zum Film fehlt, doch Emilia Jones hat nur gutes von der Zusammenarbeit mit ihr zu berichten. Crystal Reed, die die erwachsene Elizabeth spielt, hat der Dreh auch ziemlich zugesetzt, allerdings eher psychisch, und so erzählt sie im Interview, dass sie Schwierigkeiten damit hatte, abends im Hotelzimmer ihre Rolle abzulegen, und deswegen ein paar Tage Auszeit brauchte und zurück nach L.A. fuhr. Anastasia Phillips, die die erwachsene Vera spielt, fehlt auch bei den Interviews, ihre Rolle war aber auch nicht so sehr groß, was nicht heißt, dass sie nicht auch in guter Erinnerung verblieben wäre.

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Die Veröffentlichung des Films von Capelight Pictures ist wieder einmal vorbildlich; die Blu-ray enthält den Hauptfilm in Deutsch und Englisch, die deutsche Synchronisation ist gut gelungen. Ich habe in einigen Reviews gelesen, dass die Dialoge im O-Ton etwas platt und wenig dramatisch rüberkommen sollen, was man jedoch über die deutsche Sprachfassung nicht sagen kann. Verglichen habe ich die Tracks allerdings nicht. Im Bonus-Material gesellt sich zu dem Trailer in Englisch und Deutsch noch eine mehr als einstündige Dokumentation mit dem Titel L'IMAGE FANTOME – SUR LE TOURNAGE DE GHOSTLAND von Thierry Sausse – im Deutschen schlicht MAKING-OF – über die Dreharbeiten, in der Laugier seine Beziehung zum Film und seine Art der Erzählung erläutert, seine Verehrung für Myléne Farmer zum Ausdruck bringt wie auch die Arbeit mit der sehr intuitiv agierenden Emilia Jones lobt. Man wohnt hier auch der Entstehung einiger Schlüsselszenen bei. Dazu gesellen sich die bereits erwähnten Interviews mit Crystal Reed und Emilia Jones (die ist so sweet, die möchte man knuddeln!), und eines mit Regisseur Pascal Laugier. Neben der günstigen Variante erscheint der Film auch in obligatorischen Ausführungen im Steelbook und als Mediabook in schicker Leder-Optik, das ein Booklet von Prof. Dr. Marcus Stiglegger enthält.

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GHOSTLAND sieht toll aus, jede Einstellung ist durchdacht, der Schnitt sitzt perfekt, um in jedem Moment die volle Wirkung der Szenerie entfalten zu können. Auch die dezente Klaviermusik hilft dabei, eine alptraumhafte Atmosphäre zu erschaffen, in der Laugier sein Spiel mit Schein und Sein entfalten kann. Der einzige Kritikpunkt ist gewiss die Bemühung der motivationslosen Verbrecher, deren Hintergrund komplett ungeklärt bleibt. Doch man muss einräumen, dass sich der Zuschauer so voll und ganz auf die Torturen konzentrieren kann, die die beiden Schwestern durchleiden, denn hier legt es Laugier ganz klar darauf an, dass man sich mit den beiden Schwestern, besonders Beth, identifizieren kann.

Es ist für mich, und da höre ich jetzt schon die Fans von MARTYRS keifend im Kreis springen, der bisher beste Film Laugiers, da er am zielstrebigsten inszeniert ist, weil hier jeder Schock und jeder Twist perfekt sitzt, und er sich nicht in irgendeinem, wieauchimmer gearteten ideologischen Subtext verhaspelt.

Er ist vielleicht nicht dazu geeignet, wie eben MARTYRS, Diskussionen anzuregen, aber dafür im besten Sinne pure, mitreißende Terrorfilm-Unterhaltung.


Horny

 

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