(USA, NL, D, B, S, GB 2016)
Regie/Buch: Martin Koolhoven Kamera: Rogier Stoffers Darsteller: Dakota Fanning, Guy Pearce, Kit Harington, Emilia Jones
Der Film beginnt mit einer Texteinblendung, die uns darauf hinweist, dass nun das erste Kapitel namens „Revelation“ folgt... Liz (Dakota Fanning) ist Hebamme und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern auf einer Farm irgendwo im mittleren Westen zum Ende des 19ten Jahrhunderts hin. Die stumme junge Frau ist dementsprechend ein wichtiges Mitglied der kleinen Dorfgemeinschaft und gut angesehen. Doch ihr Glück wird schwer gestört, als plötzlich ein neuer Priester mit einem schrecklich vernarbten Gesicht (Guy Pearce) im Ort auftaucht und sie gleichzeitig bei einer komplizierten Geburt eine schreckliche Entscheidung treffen muss. Die Dorfbewohner sind fortan gegen Liz aufgebracht und der unheimliche Priester droht ihr damit ihr gemeinsames Geheimnis zu verraten, sollte sie ihm nicht gefügig sein und schreckt zur Untermalung dieser Drohungen auch nicht vor kaltblütigem Mord zurück, was dafür sorgt, dass Liz irgendwann mit ihrer Familie bei Nacht und Nebel aus ihrer Heimat fliehen muss. Dann beginnt das Kapitel 2, dass „Exodus“ betitelt ist und einige Jahre früher spielt. Nun braucht mal kein Theologiestudent zu sein um zu erkennen, dass alleine die Titel der Filmteile deutlich machen, dass die Geschichte des Filmes sozusagen rückwärts erzählt wird. Um genau zu sein ist der Film in 5 etwa 30-minütige Teile gesplittet, die jeweils einen Aspekt in der „Beziehung“ zwischen Liz und den Priester beleuchten und die – obwohl man es nach der ersten halben Stunde kaum für möglich hält – immer düsterer und unangenehmer werden. Denn was weder Plakat noch Trailer wirklich verraten ist, dass es sich bei „Brimstone“ weder um einen klassischen Western noch um eine weitere einfache Neubelebung des Genres handelt. Natürlich sind die Kulissen schön detailgetreu, die Beleuchtung gibt sich Mühe die Bilder in ein natürliches Licht zu tauchen und scheut auch vor dunklen Innenräumen nicht zurück und der holländische Kameramann Rogier Stoffers zeigt seine Liebe zu den klassischen Vorbildern und wählt vorwiegend eine fast Howard Hawks-sche Bildsprache wenn der Film in seinen Westermotiven schwelgt, aber all das ist eine bewusste falsche Fährte für den Zuschauer. Ebenso verhält es sich mit bekannten Figuren des Genres. Wenn man mal von der mutigen Farmersfrau mit der unschönen Vergangenheit und dem Gottesmann mit den Geheimnissen unter der Soutane absieht, findet man hier natürlich auch die Prostituierte mit dem Herzen aus Gold, den über Leichen gehenden Bösewicht und den eigentlich ganz sympatischen Räuber/Kopfgeldjäger (Kit Harington mal nicht im Winter) – all diesen Figuren ist aber gemein, dass sie komplett anders als in unseren Westerngeprägten Hirnen verankert daherkommen oder aber zumindest ihre Geschichte erheblich anders als erwartet verläuft. Der Western ist also tatsächlich nur Kulisse für etwas anderes. Ein Drama vielleicht? Ein Thriller? Beides. Die Geschichte von Liz ist natürlich das Drama einer starken Frau, die sich in der männerdominierten Welt des „Wilden Westens“ durchsetzen muss und dabei an den Rand ihrer Fähigkeiten gerät. Es gelingt ihr – so viel darf man wohl verraten – am Ende nicht, jeden ihrer Lieben vor dem Priester zu retten und so darf man Dakota Fanning mehrmals am Boden zerstört bewundern. Generell ist es sehr erfreulich zu sehen, dass der ehemalige Kinderstar mit den unvergleichlichen Augen es langsam schafft ins Charakterfach zu wechseln – scheinbar ohne einen Umweg über die Betty Ford-Klinik. Ebenso hervorheben sollte man aber auch die Leistung von Emilia Jones, die die Hauptfigur in ihren Kinderjahren spielt und dadurch fast die Hälfte des Filmes tragen muss. Zusätzlich ist natürlich schon alleine dadurch, dass das Drehbuch einige Zeitsprünge macht und uns die Vergangenheit unserer beiden Hauptcharaktere erst langsam bewusst werden lässt, eine deutliche Thrillerkomponente gegeben und in jedem Teil des Filmes ist die Bedrohung durch den Priester vorhanden und treibt die Spannung an. Guy Pearce ist es hier gelungen ein wirklich abgrundtief verachtenswertes menschliches Wesen darzustellen, speziell in den beiden mittleren Episoden möchte man ihn mit blossen Händen erwürgen. All das – und noch viel mehr – ist natürlich vorhanden aber das verbindende Element ist, dass sich Regisseur Martin Koolhoven (wenig überraschend auch ein Holländer) deutlich bei den Werkzeugen des Horrorfilmes bedient, um all das unter einen Hut zu bekommen. Dabei verlässt er sich zwar auch ab und an auf altbewährtes und lässt den Priester wie eine Art Western-Michael Myers zu einer fast unstoppbaren Killermaschine werden, der auch schon einmal jemanden Jason-mässig mit den eigenen Gedärmen fesselt; er findet aber auch neue und ungewohnte Wege um den Zuschauer mit der gewünschten Gänsehaut zu versorgen. So ist von einem Filmbesuch mit der schwangeren Freundin/Ehefrau schon wegen der ersten zehn Minuten des Filmes dringlichst abzuraten. „Brimstone“ ist schlicht und einfach einer der unheimlichsten und verstörensten Horrorfilme, den ich in den letzten Jahren gesehen habe und besticht, neben seiner durchgehend tollen Erzählweise, mit einigen gut dosierten und teilweise recht ekligen Splattereffekten. Die 16er-Freigabe durch die FSK bestätigt wieder einmal, dass in den letzten Jahren nicht alles schlechter geworden ist, denn einige dieser Schockeffekte wären vor zehn Jahren nicht einmal mehr in einer 18er DVD-Fassung enthalten gewesen. Der Film hatte leider nur einen ganz kleinen und unbeachteten Kinostart zum Ende des letzten Jahres hin und sicherlich werden sich nun einige ärgern, ihn nicht auf der großen Leinwand gesehen zu haben. Aber ich bin mir sicher, dass der Film seinen Sog auch auf dem kleinen Bildschirm entfesseln kann. Man sollte aber auch tunlichst schauen, dass man die Originalfassung guckt, da der Priester ein holländischer Einwanderer ist und dementsprechend Guy Pearce sehr mit diesem Akzent arbeiten muss, was ihm über weite Strecken auch erstaunlich gut gelingt. Überraschender Weise ist davon – zumindest laut deutschem Trailer – nichts übrig gelieben. Man hätte ja nicht gerade Rudi Carrell nehmen müssen, aber ein Synchronsprecher mit einer vernünftigen Sprachfärbung wäre doch sicher drin gewesen. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, ansonsten kann ich keinen Grund finden, der Euch von einer Sichtung abhalten sollte.
Dia
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