(USA 1971) Ratman's Notebooks / Rotat / La revolución de las ratas Regie: Daniel Mann Musik: Alex North Vorlage: Stephen Gilbert Drehbuch: Gilbert Ralston, Stephen Gilbert Darsteller: Bruce Davison, Sondra Locke, Elsa Lanchester, Ernest Borgnine
Als „Willard“ damals in die deutschen Kinos kam war ich zwar noch nicht einmal ganz zehn Jahre alt, aber bereits sehr gut darüber informiert. Die Gnade der frühen Geburt hatte nämlich dafür gesorgt, dass ich in diesem Alter bereits einmal wöchentlich Godzilla und Co. auf der Leinwand besuchen konnte, die Gnade der „FSK ist mir doch egal“-Einstellung des Betreibers unseres Stadteilkinos war verantwortlich dafür, dass ich den Trailer zum Film zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Male gesehen hatte und letztlich war mein Aufwachsen in einem Arbeiterviertel, dass auch mehr als zwei Jahrzehnte nach dem großen Krieg noch Reste von Bombenkratern und einige alte zerstörte Fabriken aufwies, mit ein Grund dafür, das Ratten für mich keine exotischen Tiere waren. Zusätzlich wurde der Film damals – nach seinem überraschenden US-Erfolg – auch hierzulande agressiv und als der „Schocker des Jahres“ vermarktet und die mehr oder weniger heimlich mitgehörten Gespräche der erwachsenen Verwandschaft, die den Film bereits sehen durften, machten ihn für mich zu einer Art heiligen Gral. Leider aber sorgte der große Erfolg und die Bekanntheit des Filmes auch dafür dass ich ihn – im Gegensatz zu anderem definitiv nicht für zehnjährige geeigneten Filmfutter – NICHT im Kino meines Vertrauens sehen durfte. Denn, auch wenn der Theaterleiter die Vorschriften eher nach seiner Brieftasche als nach gesetzlichen Grundlagen auslegte, beim „Horrorschocker der Saison“ wäre es selbst ihm schwer gefallen bei einem Kino voller vorpubertären Blagen Unwissenheit vorzugeben. So sollte es noch einige Jahre dauern, bis ich den Film dann endlich – zumindest in der 15 minütigen Super8-Fassung – sehen durfte, die zwar alle Horror-Highlights beinhaltete, aber letztendlich durch diese Komprimierung auf die offensichtlichen Schauwerte ein komplett anderes Werk war, denn um einen Horrorfilm handelt es sich bei „Willard“ in Wirklichkeit nicht. Das wurde mir aber erst bewußt, als ich den Film dann Anfang der 80 Jahre endlich komplett auf VHS bewundern durfte und er sich – für jemanden der die letzten Jahre zuvor mit Kannibalen, Zombies und Maniacs verbracht hatte – als eher schwach entpuppte. Erst weitere 30 Jahre später war ich dann in der Lage den Film wirklich richtig zu beurteilen und seine Qualitäten mit dem Blick eines Filmkenners zu beurteilen. Der Film erzählt die Geschichte des Verlierers Willard Stiles (Bruce Davison), der zusammen mit seiner Mutter (Elsa Lanchester, die berühmteste Monsterbraut der Filmgeschichte) alleine in einem großen Landhaus wohnt, dass das einzige Erbe seines verstorbenen Vaters darstellt, dass ihnen noch geblieben ist. Die gut laufende Firma seines Erzeugers befindet sich mittlerweile unter der Kontrolle des schmierigen ehemaligen Geschäftspartners Marty (großartig bösartig Ernest Borgnine), Willard selbst ist nur noch eine kleine Nummer im Büro und wird nicht nur von Marty, sondern auch von fast allen anderen Angestellten gemobbt. Zusätzlich hat er auch keine Freunde oder Bekannte. Alleine aufgewachsen mit der dominanten Mutter führt das unter anderem dazu dass zu seinem Geburtstag nur deren Freunde als Gäste auftauchen, die ihn dann auch noch damit nerven, dass er endlich mal mit der „Faust auf den Tisch hauen“ und sich die Firma, die ihm eigentlich zusteht wieder erobern sollte. Willard ist also logischerweise etwas frustriert und unausgeglichen. Als er im Garten des Hauses einige Ratten entdeckt, plant er zwar zuerst diese im Aufrag seiner Mutter zu töten, entscheidet sich aber anders und entwickelt eine tiefe Zuneigung zu den Tieren, was natürlich – Jahre bevor die Vertreter der Gattung Rattus zu Haustieren der Punk-Generation wurden – schon ziemlich außergewöhnlich war. Weniger außergewöhnlich ist allerdings, dass Rattentiere sich sehr schnell vermehren und so hat Willard nach wenigen Monaten bereits eine ziemlich große Armee von Vierbeinern, geführt von der weißen Ratte Socrates und dem schwarzen Ben, zu seiner freien Verfügung und hält sie – versteckt vor seiner Mutter – im Keller. Als seine Mutter dann stirbt und Marty auch noch damit beginnt ihn gezielt aus der Firma zu treiben sinnt Willard auf rattige Rache. Offensichtlich also handelt es sich bei „Willard“ eher um ein soziales Drama und eine Charakterstudie, obwohl die Werbung dem potentiellen Zuschauer mit Sprüchen wie „Wo ihre Alpträume enden beginnt Willard“ einen Horrorschocker verkaufen wollte. Auf der anderen Seite sollte man allerdings auch nicht übersehen, dass die gemeine Ratte Anfang der 70er Jahre noch nicht in der Form sozialisiert war wie heute und allgemein als dreckig (stimmt nicht), Seuchenüberträger (stimmt teilweise) und grundsätzlich ekliger Anblick (definitiv nicht) angesehen war. Alleine davon ausgehend bietet „Willard“ natürlich schon etliche Schauwerte, denn hier wurde nicht mit Effekten sondern mit Massen an echten Ratten gearbeitet, was zu visuell wirklich beeindruckenden Szenen führt. Aber – wie erwähnt – steht zuerst einmal das Drama um Willard selbst im Vordergrund und hier kann der Film dann auch wirklich punkten. Regisseur Daniel Mann, der mit Filmklassikern wie „Come back little Sheba“ oder „Teahouse on the August Moon“ bereits Genreerfahrung aufweisen konnte, war dann auch der richtige Mann für den Job und schafft es seine Figuren mit einem nötigen ironischen Abstand zu präsentieren, ohne sie aber zu Cartoons verkommen zu lassen. Denn wo Stephen Gilberts Buchvorlage "Ratman's Notebooks" (dt. Aufstand der Ratten) noch eine düstere Dystopie war, die sich aus Tagebucheinträgen seines Protagonisten zusammensetzte, so ist die Verfilmung halt eher mit einem Augenzwinkern inszeniert, was dann auch dazu führte, dass der Autor, der anfangs noch in der Produktion involviert war, recht schnell die Waffen streckte, da er nicht verstand, dass gerade dieser Ansatz erst die Umsetzung auf die Leinwand möglich machte. Zumindest zog er seinemn Namen nicht zurück so dass er bis zu seinem Tod im Jahr 1999 sicherlich noch einige Urlaubsreisen aufgrund der Tantiemen unternehmen konnte. Denn „Willard“ entpuppte sich als einer der Kinohits des Jahres 1971 und zog sogar noch eine – eher schwache – Fortsetzung nach sich, um die wir uns im Laufe des Jahres auch noch kümmern werden. Alles in allem ist „Willard“ auch heute noch ein ganz besonderes Filmerlebnis, selbst wenn er nur zwei wirkliche Rattenangriffe beinhaltet und das liegt zur Hauptsache natürlich an der Besetzung, die sich bis in die letzte Nebenrolle als ein echter Glücksgriff entpuppt. So finden wir hier die bildhübsche Sondra Locke, die später in einer langen On/Off-Beziehung mit Clint Eastwood war, als Love-Interest und einige Altstars wie Joan Shawlee oder J. Pat O'Malley im herrlich skurilen Figurenensemble, die dem Zuschauer gut über die eher ruhigen ersten 45 Minuten des Filmes helfen. Getragen wird der Film aber natürlich von seinen beiden männlichen und den beiden rattigen Hauptdarstellern. Letztere können wir allerdings geflissentlich ignorieren, obwohl einige der Dressuren wirklich beeindruckend sind, Borgnine und Davison allerdings sollten wir einen genaueren Blick gönnen. Ernest Borgnine merkt man tatsächlich an, wie viel Spaß er daran hatte endlich mal komplett aus seinem gepflegten Good Guy-Image auszubrechen. Marty ist eine Figur bei dem es dem Zuschauer einen Heidenspaß macht, ihn zu hassen und dessen Filmtod dementsprechend auch eines der Highlights des Filmes ist. Bis dahin darf Borgnine allerdings einmal mehr beweisen, dass er einer der besten Schauspieler der 60er und 70er Jahre war. Trotzdem aber schafft er es auch nicht den damaligen Jungstar Bruce Davison an die Wand zu spielen, der hier einen wichtigen Grundstein für seine mittlerweile fast 50-jährige Karriere legte. Ob im Zusammenspiel mit Elsa Lanchester und der anderen alten Garde Hollywoods, im schauspielerischen Clinch mit Borgnine oder in einer fast schon liebevollen Beziehung mit seinen vierbeinigen Co-Stars, Willard Stiles ist eine Figur, deren Leiden dem Zuschauer nahe geht und bei der es leicht fällt sich auf ihre Seite zu schlagen, selbst wenn ihre Entscheidungen nicht unbedingt „richtig“ sind. „Willard“ ist sicherlich aus heutiger Sicht kein Schocker mehr und die wenigen wirklichen Horrorszenen sind aus Sicht der Saw-Generation nicht die Rede wert, aber er bietet eine wunderschöne Charakterstudie, ist toll gefilmt, hat großartige Schauspieler und bis zur letzten Sekunde spannend und überraschend.
Zum Release von ANOLIS
ANOLIS setzt mit „Willard“ die Mediabook-Reihe "Phantastische Filmklassiker" fort und beweist bei der Auswahl (nach dem herrlichen Splatterepos "Forbidden World"/"Mutant") wieder einmal eine sichere Hand. Wie üblich gibt es an der optischen und haptischen Gestaltung der Veröffentlichung wieder einmal nichts zu meckern, auch wenn sich ANOLIS im Gegensatz zu früheren VÖs dazu entschieden hat diesmal ein glattes Hochglanz-Cover zu verwenden. Wie auf nebenstehendem Bild zu sehen ändert das nichts an der Qualität. Der Film wird mit einem unglaublich klaren Bild präsentiert, was bereits bei der Titeleinblendung überraschend wirkt, speziell wenn man den Film nur in der verwaschenen VHS-Version kennt. Die englische Tonspur ist knackig und rauschfrei, speziell die – künstlichen – Rattengeräusche kommen prima rüber, die deutsche Synchro ist zwar weitestgehend blödelfrei (was in den 70ern nicht selbstverständlich war) fühlt sich aber eher trocken an und unterdrückt leider gerade die eben erwähnten Geräusche, was aber auch ein generelles Problem der damaligen Zeit war. An Extras finden wir zuerst einmal einen grandiosen Audiokommentar mit Bruce Davison und einem Filmjournalisten, in dem vor allem die Arbeit zwischen Hauptdarsteller (menschlich) und den Hauptdarstellern (rattig) natürlich ein großes Thema ist, aber auch die Schwierigkeiten Davisons erstmals mit bekannten Stars vor der Kamera zu stehen nicht zu kurz kommt. Des weiteren gibt es auch noch ein 15-minütiges Interview mit Davison cirka aus dem Jahr 2005, das wohl zum ersten DVD-Release geführt wurde und in dem klar wird, dass auch er einige Zeit brauchte um sich von dem unerwarteten Erfolg des Rattenfilmes, der natürlich dafür sorgte, dass er eine Zeit lang immer nur als Loser gecastet wurde, zu erholen. Zusätzlich gibt es natürlich auch die bei ANOLIS gewohnte Mischung aus Trailern, Werberatschlägen und Radiospots. Ein persönliches Highlight für mich war natürlich wieder die Super8-Fassung, die bei mir für einige Flashbacks sorgte, hatte ich meine Kopie damals doch bis fast zum Trägermaterial heruntergespielt, so dass ich mich fast an jeden einzelnen Schnitt erinnern konnte. Wie üblich also spreche ich hiermit eine Kaufempfehlung aus, setze aber nochmals die Warnung ab, dass es sich bei „Willard“ halt NICHT um einen Horrorschocker, sondern eher um ein ironisch gestaltetes Drama mit einigen wenigen Horrorelementen handelt. Als nächste Veröffentlichungen der "Phantastische Filmklassiker"-Reihe sind übrigens „Geheimagent Barrett greift ein“ und – natürlich – die rattenscharfe Fortsetzung „Ben“ geplant. Ich freue mich schon drauf. Dia
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