So kann’s gehen. Eigentlich wollte ich ja nur ein etwas größeres Review über „The Harvest“ schreiben und als Einleitung ein paar Worte zu dessen – leider erheblich unterschätzten – Regisseur verlieren. Aus diesen wenigen Zeilen wurde dann aber immer mehr, da der 1950 in Chicago geborene John McNaughton und sein Werk einfach zu interessant sind, um ihn einfach so abzuhandeln. Es gilt diesen Regisseur näher kennen zu lernen, denn auch neben seinem bekannten Erstling „Henry: Portrait of a Serial Killer“ war er noch für einige Filmperlen verantwortlich, deren Entdeckung (oder Wiederdentdeckung) durchaus lohnenswert ist. McNaughton stammt aus einer Generation von „Chicagoer“ Kreativen, die sich in jungen Jahren in der Untergrund Theater Szene der Stadt einen Namen gemacht haben. Speziell die in den 70ern von Stuart (Re-Animator) Gordon geleitete Theatergruppe „Screw Theater“ und sein später gegründetes „Broom Street Theater“ brachten einige interessante Namen hervor. So spielten und arbeiteten hier neben Gordon und McNaughton auch spätere prominente Zeitgenossen wie Jeffrey Combs, Barbara Crampton, David Gale und Tom Towles. Bereits mit seinem Erstlingswerk „Henry – Portrait of a serial killer“ wirbelte John McNaughton im Jahr 1984 – zumindest in Amerika – Staub auf. Der Film ging durch die Presse, da die zuständige Filmfreigabeorganisation MPAA (Motion Picture Association of America – vergleichbar mit unserer FSK) ihm die Freigabe verweigerte. Normalerweise funktioniert das - ähnlich wie bei uns - mit einigen Schnittauflagen, die nach der Durchführung eine Freigabe ermöglichen. Bei „Henry“ hingegen konnte die MPAA keinerlei Vorschläge unterbreiten. Nicht die Gewaltdarstellungen oder erotische Inhalte wurden beanstandet, sondern die generelle Atmosphäre und Wirkung des Filmes. „Henry“, ein recht freies Portrait des Serienkillers Henry Lee Lucas, bot keinerlei positive Auflösung und keinen Hauptcharakter mit dem man sich identifizieren konnte. Die intensive Darstellung, des ebenfalls debütierenden Michael Rooker in der Titelrolle, Tom Towles (leider im April 2015 verstorben) als sein, intelligenzmäßig eher schlecht bestückter Gehilfe und der durchaus vorhandene schwarze Humor taten ein Übriges – Amerika schien noch nicht reif zu sein für einen „realistischen“ Serienkillerfilm ohne erhobenen Zeigefinger. Heute zählt der Film zweifellos und verdienter Weise zu den Klassikern des Genres und ist mit einer FSK 18-Freigabe sogar bei uns ungeschnitten erhältlich. Auch sein nächster Film „The Borrower“ (1991), ein ironisches Splatterwerk über ein Alien, dass sich die Köpfe seiner Opfer „ausleiht“ um zu überleben, wurde von der MPAA mehrfach zurückgewiesen. Heute betrachtet leidet der Film natürlich stark unter seinem 80er Jahre Flair und auch Anthony Fargas, der eher als der Charakter Huggy Bear aus Starsky und Hutch bekannt ist, ist sicherlich nicht die Idealbesetzung für eine tragenden Rolle. Trotzdem bietet „Alienkiller“ (so der deutsche Titel) einige nette Actionszenen, ein wenig deftigen Splatter und ist somit durchaus unterhaltsam. Bis heute ist er allerdings weltweit nur in den durch die MPAA verstümmelten Fassungen erhältlich und die einzige legale Veröffentlichung auf einem „modernen“ Medium ist eine Laserdisk aus dem Jahr 1995. Die deutsche Bootleg-DVD, die ab und an auf Filmbörsen auftaucht, hat nur VHS-mäßige Bildqualität und ist dementsprechend in keinster Weise ansehnlicher als die Youtube-Version. Kein Wunder also, dass sich McNaughton nach diesen Erlebnissen vom Horrorgenre zurückzog. Einen Achtungserfolg erzielte er noch mit der schwarzen Gangsterkomödie „Mad Dog and Glory“ (1993), die mit Bill Murray, Robert de Niro und Uma Thurman großartig besetzt war. Das der Film letztendlich trotzdem floppte lag wohl aber genau daran, denn speziell die beiden männlichen Hauptdarsteller spielten eher für sich selbst als miteinander. Da half auch eine kurze Nacktszene von Uma Thurman und eine der witzigsten Sexszenen der Filmgeschichte (zum Sound von James Whales Frankenstein) nicht. Eine weitere große Chance hatte er durch die Teilnahme an einem vom amerikanische Kabel-TV Anbieter „Showtime“ initiierten Projekt namens „Rebel Highway“ (1994), bei dem zehn verschiedene Regisseure jeweils einen klassischen B-Movie der Produktionsschmiede AIP (American international pictures) neu verfilmten. Sein Beitrag mit dem eindeutigen Titel „Girls in Prison“ ist sogar in deutsch unter dem wundervoll übersetzten Titel „Kämpf der Hyänen“ erhältlich und, wie übrigens die komplette Serie, hier an dieser Stelle besprochen. Er verlegte sich auf Auftragsarbeiten fürs Fernsehen, sein Name erschien nur noch einmal auf der Leinwand. Der schwülstige Erotikthriller „Wild Things“ mit Kevin Bacon, Matt Dillon und Neve Campbell war zwar ein Überraschungshit des Filmjahres 1998, brachte ihm allerdings auch keine weiteren großen Aufträge ein. Im Jahr 2001 arbeitete John McNaughton noch einmal mit Bill Murray zusammen. Die episodenhafte Sexkomödie „Speaking of Sex“ habe ich allerdings noch nicht bewundern können, vermute aber, dass es sich wohl kaum um ein Meisterwerk handelt. Fünf Jahre später kehrte er noch einmal als „Master of Horror“ mit einer Episode des gleichnamigen Serienprojektes von Mick Garris zum Horrorgenre zurück. „Haeckels Tale“, nach einer Kurzgeschichte von Clive Barker, entpuppt sich als eine tief schwarzhumorig angehauchte, von Romeros Zombies und Lucio Fulcis Hang zur übertriebenen Gewaltdarstellung inspirierte kleine Filmperle. McNaughtons aktueller Film „The Harvest“ wurde im Sommer 2013 gedreht und feierte erst 2015 sein Debüt, leider nicht auf der gossen Leinwand sondern nur auf Silberling und bei diversen Streaming Anbietern. Ohne zu viel von meinem Review an anderer Stelle auf dieser Site vorweg zu nehmen, handelt es sich um einen der besten Horrorfilme des Jahres. dia
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