(USA 2018) Regie: Rob Marshall Drehbuch: David Magee Basierend auf den Geschichten von P.L. Travers Musik: Marc Shaiman Musikalische Beratung: Richard M. Sherman Darsteller: Emily Blunt, Lin-Manuel Miranda, Ben Whishaw, Emily Mortimer, Pixie Davies,
Ahh, „this Poppins Woman“ begleitet mich nun bereits mein ganzes Leben lang, ist – neben „Snow White and the Seven Dwarfes“ - mein Lieblings-Disneyfilm und vielleicht das perfekteste Beispiel für einen Familienfilm. Beginnend mit dem Vorspann mit den wunderschönen Peter Ellenshaw Gemälden und der Overtüre der Sherman-Brüder, über die jedem bekannten Sequenzen wie der „Teaparty at the ceiling“ oder dem Ausflug in die Zeichentrickwelt während des „Holidays with Mary“ und natürlich der Birdlady, schafft es der Film auch heute noch mich komplett in seine Welt zu ziehen. Alles an diesem Disney-Klassiker aus dem Jahr 1964 ist – meiner Meinung nach – perfekt, wenn man mal davon absieht, dass das Drehbuch sehr frei mit der Vorlage von P.L. Travers umgeht und aus ihren – bis zur Entstehung des Filmes – fünf Büchern über das magische Kindermädchen, nur einzelne Elemente benutzt und zusätzlich den Charakter der Mary etwas weicher und runder gestaltet. Aber über das Thema gibt es ja genug zu lesen und seit 2014 ja auch den – ebenfalls recht weichgespülten – Film „Saving Mr. Banks“ mit Tom Hanks und Emma Thompson und das soll nun auch nicht Gegenstand dieses Artikels sein. Offensichtlich also zähle ich dementsprechend zum Zielpublikum der aktuellen Fortsetzung, die mit ihrem 54-jährigen Abstand zum Original zumindest den Weg ins „Guiness Book of records“ finden wird. Die große Frage für mich war also ob es dem Film gelingen würde, die Magie des Meisterwerkes zu erreichen oder ob er an mir altem Zyniker komplett vorbeiproduziert sein würde. Überraschenderweise begeisterten mich die ersten Trailer, nach diesen wenigen Clips zu urteilen hatte man sich im Haus der Maus zumindest bemüht und nicht etwa eine moderne Fassung geschaffen. Also machte ich mich am 1. Weihnachtstag auf, das Werk in der Originalfassung zu besichtigen, was sich als eine verdammt gute Entscheidung erwies, denn neben mir hatten sich nur noch ungefähr 20 erwachsene Zuschauer im Kino eingefunden. Gut, dass ich der einzige Single (und der gefühlt älteste Zuschauer) im Saal war ist vielleicht grundsätzlich nicht wirklich toll, aber zumindest musste ich mich nicht mit kreischenden Kinderhorden oder der – zumindest laut Trailer – eher dürftigen Synchronisation herumschlagen. Licht aus – Kinogong[1] – Vorhang auf... 28 Jahre nach den Ereignissen des Originalfilmes sind Jane (Emily Mortimer) und Michael Banks (Ben Whishaw) mittlerweile erwachsen. Michaels Frau ist ein Jahr zuvor verstorben und er lebt nun alleine mit seinen drei Kindern Annabell, John und Georgie und der immer noch im Haushalt tätigen Hilfe Ellen in der Cherry Tree Lane 17. Durch den Tod der Frau in die Schuldenfalle geraten setzt die „Fidelity Fiduciary Bank“ ihm die Pistole auf die Brust und droht mit der Enteignung des Hauses. Da es im London der Wirtschaftskrise noch keinen Peter Zwegat gab, steigt Mary Poppins aus den Wolken herab und den Banks-Kindern – und zwar den erwachsenen – zu helfen. Zusammen mit dem Lampenanzünder Jack (Lin-Manuel Miranda) nimmt sie nun die Banks Kinder – die nicht erwachsenen – mit auf viele verschiedene Abenteuer und verlässt die Famlie erst wieder „when another door opens“, was übrigens auch ein Titel eines Mary Poppins-Buches ist. Von der ersten Einstellung an erweist sich der Film als eine Liebeserklärung an das Original und so darf Jack dieses Mal eine Einleitung sprechen/singen, ehe wir – nach einer Kamerafahrt über die Cherry Tree Lane, die bis ins kleinste Detail nachgebildet wurde – in einem klassischen Vorspann landen, was ja heutzutage schon eine Seltenheit ist. Auch hier zeigt sich wieder die Liebe zum Original und so ist dieser mit Ölgemälden unterlegt, die tatsächlich aus der Hand von Peter Ellenshaw stammen könnten (was auch im Nachspann nochmals extra erwähnt wird). Auch die Musik von Marc Shaiman ist sowohl von der Orchestrierung als auch von der Komposition her komplett an den Arbeiten der Sherman-Brothers orientiert, wobei hier der noch lebende Bruder Richard tatsächlich noch als Berater fungiert hat. Um es kurz zu machen fühlt man sich als Fan der „Poppins-Woman“ sofort gut aufgehoben und bis das magische Kindermädchen dann endlich nach ungefähr 15 Minuten auftaucht erwischt man sich oft dabei sich in Details zu verlieren – die Cherry Tree Lane 17 fühlt sich an als würde man nach Hause kommen, das London der frühen 30er Jahre, das uns präsentiert wird ist das echte Disney-London – man hat das Gefühl als stamme der Film nicht aus dem Jahr 2018 sondern wäre zwei oder drei Jahre nach dem Original gedreht worden. Dabei hilft es auch, dass der Film sehr unaufgeregt daherkommt. Weder gibt es ein CGI-Gewitter noch ein heute übliches Schnittmassaker und statt wirr herumfliegender Drohenkameras gibt es saubere Kranaufnahmen. Auch die Figure sind liebevoll umgesetzt. Jane und Michael sind zwar mittlerweile erwachsen und haben – wie das bei einem Disneyfilm üblich ist – ihre Phantasie und Fröhlichkeit verloren, aber es besteht von Beginn an kein Zweifel, dass Mary Poppins das wieder hinbekommen wird. Die Kinder selbst sind niedlich und ebenso klassisch disneyesque mit wenigen Drehbuchstrichen charakterisiert. Einzig bei Emily Blunts Mary Poppins hat man sich gewagt einige kleinere Änderungen vorzunehmen und sie erscheint dieses Mal etwas schnippischer und „englischer“, was aber auch widerum eher den Buchvorlagen entspricht. Wenn man an den Figuren etwas kritisieren möchte, dann ist es vielleicht die Figur des Lampenanzünders, der ein wenig zu sehr an Dick van Dykes ikonischer Performance als Bert angelehnt ist, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Natürlich ist der Film in weiten Teilen nicht nur eine Fortsetzung und offensichtliche Liebeserklärung sondern auch eine Art Remake, denn er bedient viele Punkte, die Fans des Originalfilmes erwarten und wünschen, schafft es aber auch immer wieder diese mit kleinen Kniffen und Ideen eigenständig zu gestalten. So gibt es Szenen die deutlich an mittlerweile fest im Bewusstsein des Filmfans verankerte klassische Momente erinnern. So ist zum Beispiel der Auftritt von Meryl Streep als Cousin Topsy (eine Figur aus dem zweiten Mary Poppins Buch) deutlich an die „Teaparty at the ceiling“ angelehnt und bei der großartigen Tanznummer „Trip a light fantastic“ muss man natürlich und gewollt an „Step in Time“ denken, aber sie tragen auch gewaltig dazu bei, dass man das Gefühl hat tatsächlich in einem Mary Poppins Film zu sein. Als absolutes Highlight für mich als Fan des Originals und klassischer Disney-Animation generell entpuppt sich die große Varietynummer in der Mitte des Filmes, die – analog des „Holiday with Mary“ – eine Mischung aus Realfilm und Zeichentrick bietet. Und ja – ich habe geschrieben Zeichentrick und nicht Animation, denn das Ganze ist tatsächlich handgezeichnet/-animiert und beschwört den Disney-Geist mehr, als alles was die Studios in den letzten 20 Jahren fabriziert haben, selbst wenn diese Szenen nicht „in House“ entstanden sind sondern an ein anderes Animationsstudio ausgelagert wurden, da Disneys eigene Zeichenabteilung ja bereits seit Jahrzehnten nicht mehr existiert. Natürlich kann man an dem Film auch einiges kritisieren, so ist er zum Beispiel mit einer Länge von 130 Minuten gefühlt 15 Minuten zu lang und der Gastauftritt von Angela Lansbury wirkt ein wenig aufgesetzt und zögert das Ende ein wenig hinaus, aber damit kann ich in einer Zeit von miteinander verschmelzenden CGI-Filmen sehr gut leben. Zum Schluß noch ein paar Worte zur Musik, die natürlich bei einem Musical ebenfalls sehr wichtig ist. Wie zuvor bereits erwähnt hat ja Richard B. Sherman hier als Berater fungiert und Marc Shaiman hat es tatsächlich geschafft auch hier eine angenehme Mischung aus Hommage und Neuem zu schaffen. Songs wie „Trip a light fantastic“ oder „Can you imagine that?“ gehen sofort ins Ohr, andere – wie zum Beispiel die großartige gefühlvolle Ballade “The place where lost things go“ überzeugen mit tiefsinnigen Texten und schönen Arangements. Natürlich ist Emily Blunt keine Julie Andrews und Lin-Manuel Miranda kein Dick van Dyke - das konnte man auch nicht erwarten -, aber beide können zumindest singen. Der symphonische Score hingegen klingt komplett „Shermanesque“ und beinhaltet wunderschöne musikalische Hommagen an die klassischen Melodien. Die Scheibe rotiert hier momentan digital (auf Spotify) pausenlos. „Mary Poppins returns“ ist tatsächlich eine gelungene Fortsetzung eines Klassikers –vielleicht einige Jahrzehnte zu spät um den modernen Kinozuschauer wirklich zu überraschen, aber mit so viel Liebe und Blick für die kleinen Details inszeniert, dass er das Herz dieses alten Zynikers zum schmelzen gebracht hat. Das ist bedeutend mehr als ich erhofft habe.
Dia
[1] Dafür kann man dem Düsseldorfer Atelier nicht dankbar genug sein, selbst wenn der Gong mittlerweile vom Band kommt, hat man dort doch das Gefühl im Kino zu sein.
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