(Italien 2018)
Regie: Daniele Misischia, Davide Pesca, Francesco Longo u.a.
Darsteller: verschiedene unbekannte Talente
„Wir sind doch alle nur Figuren in einem billigen Horrorfilm...“
Bei „After Midnight“ handelt es sich nicht um einen normalen Film sondern um acht ganz unterschiedliche Kurzfilme. Ebenso wenig ist er – obwohl er mir als solcher verkauft wurde – eine Anthologie, denn das würde zumindest ein stringentes Thema voraussetzen. Auch als Episodenfilm kann man ihn nicht wirklich bezeichnen, denn dort würde ich zumindest eine – wenn auch zumeist mit der groben Nadel gestrickte – Rahmenhandlung erwarten.
Nein, diese kommende Veröffentlichung aus dem Hause Dirt´n´Dust ist eine Sammlung von 8 kurzen Filmen italienischer No-Budget-Regisseure, die unterschiedlicher kaum sein könnten, aber gerade diese Auswahl macht das Werk so spannend.
Der Reigen beginnt mit „L’ultimo video di Sara“, einem Short, der, wie im Titel offensichtlich, das letzte Video der Vloggerin Sarah präsentiert, in dem sie sich über Hater aufregt. Sie hat mittlerweile die Kommentarfunktion unter ihren Videos aus diesem Grund abgeschaltet und während sie noch ihren Rant aufnimmt bekommt sie unheimlichen Besuch. Eigentlich bietet dieser Kurzfilm nicht wirklich etwas Neues, seit einigen Jahren bereits ist der Vlogger-Horror ein populäres Untergenre des modernen Gruslers („Open Windows“, 2014 – „Unfriended“, 2018 – „Truth or dare“, 2014), aber der kleine Film ist knackig inszeniert und bietet zum Ende hin doch einige visuelle Überraschungen.
Als zweites bekommen wir eine Hommage an die Kiesgruben-Action- /-Science Fiction-Filme der 80er Jahre, namens „The taste of Survival“ geboten.
Leider aber wird die digitale Optik des Filmes, trotz gut gewählter Kulissen und Kostüme (Wacken-Shirt), den Vorlagen nicht gerecht und dass der Plottwist bereits im Titel verraten wird ist dem Unterhaltungswert ebenso nicht gerade zuträglich.
Der dritte Short nennt sich „Nyctophobia“ und erzählt nur vordergründig von einem Mann, der die titelmässige Angst vor der Dunkelheit hat. Seine – schick gefilmten und atmosphärisch düsteren – Visionen haben nämlich einen ganz anderen und viel tiefer gehenden Grund. Ein effektiver kleiner Grusler mit argentoesquer Optik und einigen Anleihen beim japanischen Grusler der 2000er.
In „Nel buio“ (in der Dunkelheit), dem vierten Kurzfilm, geht es um verdrängte Schuld und der nicht zu verhindernden Sühne derselben. Highlight hierbei ist eine zentrale Performance einer jungen Schauspielerin als katatonisches Opfer eines bereits ein Jahr zurückliegenden Autounfalls.
Ein erstaunlich ernsthaftes kleines Filmchen – nicht weltbewegend, aber ein schönes Stück sanfter Grusel.
„Io non le credo“ (Ich glaube nicht) erzählt von einen Exorzisten, der zu einem jungen Mann gerufen wird, der sich von einer unheimlichen Nonne verfolgt fühlt. Trotz seiner Kürze ist das Filmchen ziemlich effektiv und bietet eine zynisch-sarkastische Schlußpointe. Speziell auch dadurch, dass er sich nicht viel mit Nebensächlichkeiten aufhält und das perfekte Make-Up ist er bedeutend spannender als der aktuell in den Kinos zu besichtigende Nonnen-Grusler.
„Escape from Madness“ bedient das endlich auch mal die Splatterfreaks. Eine junge Frau wird von einem Psychopathen verfolgt und gefangen genommen. Sie kann sich aber befreien und – natürlich nach einer Verfolgungsjagd, bei der eine Kettensäge zum Einsatz kommt – Rache nehmen.
Sicherlich nicht der originellste Beitrag der Sammlung, aber eine nette Variante zum Psychokillerfilm.
Mit „Che serata di merda!“ (Ein Scheiß-Abend) kommen endlich auch mal die Freunde absurder Komödien auf ihre Kosten. Was beginnt wie ein typischer Zombiefilm - ein faulender schlurft durchs Dorf und killt die Bewohner eines einsamen Hauses - entpuppt sich als eine herrliche Parodie aufs Genre. Bewusst schlechte Schauspielperformances (einige der Reaktion-Shots habe ich mehrfach zurückspulen müssen), einige blutige Effekte und natürlich eine Inszenierung, bei der der Zombie immer in Gegenlicht und nebelumwallt auftaucht zeigen deutlich, dass der Regisseur seine Vorbilder kennt und liebt.
In den letzten Minuten allerdings wird dieser Short erst so richtig herrlich, denn dann durchbricht er auf unerwartete Weise die vierte Wand und lässt den Zuschauer mit einem ganz besonders breiten Grinsen zurück.
Als letzten Film der Sammlung gibt es dann auch tatsächlich das Highlight. „Haselwurm“ beginnt dort, wo eine normale Fantasy-Story endet. Unser Heldenpärchen hat den titelgebenden Lindwurm besiegt und geköpft. Leider aber wurde der männliche Held dabei schwer verletzt und so steht unsere Heldin vor der Entscheidung ihren Freund oder den Kopf der Kreatur (und damit die Chance auf grenzenlosen Reichtum und Ruhm) mit sich zu nehmen. Sie entscheidet sich natürlich für die menschliche Seite, aber das stellt sich als Fehler heraus.
Auch wenn die CGI-Effekte in diesem Kurzfilm vom Design her sehr kreativ, aber von der Ausführung her eher dürftig sind, so überzeugt er doch mit einer schicken Optik, einer zum Schneiden dichten Atmosphäre und zwei wirklich hervorragenden Schauspielern.
Mit „After Midnight“ bringt das junge Label „Dirt´n´Dust“-Film eine Kurzfilmsammlung auf den überfüllten Markt, die sich hoffentlich gegen die diversen Hochglanzproduktionen vom Fließband durchsetzen wird. Denn schließlich handelt es sich hierbei um einen kurzweiligen Überblick über die italienische No-Budget-Filmszene, die man hierzulande sonst kaum zu Gesicht bekommen würde.
Denn auch wenn die meisten phantastischen Filme aus dem Stiefelstaat damals nicht gerade für ihre Originalität bekannt waren und ihre budgetmässigen Einschränkungen gerne durch extreme Tabubrüche überspielt haben, so gab es doch so einige Meisterwerke darunter. So orientiert sich „After Midnight“ auch – glücklicherweise – weniger an „Cannibal Ferox“ oder „New York Ripper“ sondern eher an „La Maschera del demonio“ oder „Suspiria“ und deren Umgang mit Visuals und Musik.
Natürlich sind die Jungregisseure hinter diesen Filmen kein Mario Bava, Pupi Avati oder Dario Argento, aber sie kennen ihre Wurzeln und reduzieren das italienische phantastische Kino halt nicht nur auf Billigsplatter.
„After Midnight“ zeigt, dass es auch nach dem Untergang des italienischen Exploitationkinos noch kreatives im Bereich Phantastik aus dem stiefelförmigen Land zu entdecken gibt.
8 Kurzfilme, die ihre Wurzeln nicht verleugnen, aber auch neue Einflüsse zulassen.
Ein Muss für jeden italophilen Phantastik-Freak.
dia
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