addio01Addio Zio Tom (1971)
Addio Onkel Tom

Regie: Gualtiero JacopettiFranco Prosperi

 

Von Zeit zu Zeit finde ich Filme, von denen ich bisher nur gehört oder gelesen habe und die sich als eine echte Entdeckung entpuppen. Das italienische Regieduo Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi war mir eigentlich nur als Schöpfer diverser „mondo“-Filme bekannt, also Werke deren Inhalt aus zumeist wild zusammengewürfelten Dokumentaraufnahmen mit Schock-Faktor bestanden. Diese sogenannten „Shockumentaries“ erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit.  

Man denke nur an die unsäglichen „Faces of Death“-Filme, die auch hierzulande berühmt/berüchtigt sind oder an „Meisterwerke“ wie „Shocking Asia“, der uns 1976 bereits auf der Leinwand zeigte was genau (und ich meine sehr genau!) bei einer Geschlechtsumwandlung Mann zu Frau operativ geschieht.

„Mondo Cane“ (1962), das Erstlingswerk von Jacopetti/Prosperi, war da noch anders gestrickt. Sicher gab auch es hier Aufnahmen vom Tierleben in Afrika, die Professor Grzimek uns verschwiegen hatte, seltsame Rituale diverser Naturvölker inklusive nackter Brüste, einige wirklich böse Filmdokumente aus dem zweiten Weltkrieg und ähnliches mehr, aber der Film bot erheblich mehr. Da war zuerst einmal die fantastische Musik von Riz Ortolani, die nicht von ungefähr mit einer Oscar- und einer Grammy-Nominierung bedacht wurde. Zusätzlich war der Off-Kommentar teilweise höchst sarkastisch, die Musikeinsätze ironisch und durch eine Kombination oben erwähnter „Schockszenen“ mit ebensolchen aus unserer modernen „zivilisierten“ Welt bekam der Film eine Tiefe, die man nicht vermutet hätte.

Jacopetti und Prosperi drehten in der Folge noch mehrere ähnliche Werke was dann 1966 in „Afrika Addio“ gipfelte, dessen Schockfaktor dann bereits so hoch war, dass er selbst 1982 (im Zuge der damaligen Kannibalenfilmwelle nochmals in den deutschen Kinos eingesetzt) nur in einer gekürzten Fassung hierzulande zu „bewundern“ war.

addio1„Addio Onkel Tom“ (1971) hingegen ist ein ganz anderes Kaliber. Die beiden Regisseure nehmen sich die amerikanische Sklaverei kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs als Thema und es ist logisch, dass sie hierbei nicht auf dokumentarisches Material zugreifen konnten – zumindest nicht in der bisherigen Form. Jacopetti und Prosperi formten Ihr Drehbuch aus historischen Dokumenten und Berichten und wandten einen filmischen Trick zur Umsetzung an, der bis heute einzigartig ist.

Der Film beginnt auf einem Boot, das afrikanische Sklaven Richtung Amerika bringt. Schon hier wird deutlich, dass die beiden in keinster Weise davor zurückschrecken Details zu zeigen, die zum Beispiel in Stephen Spielbergs „Amistad“, der eine ähnliche Thematik hat und 27 Jahre später entstand, nur in Dialogen angedeutet wurden. Was nun folgt ist ein Hubschrauberflug über eine Baumwollplantage auf der Sklaven arbeiten. Überraschenderweise schreckt der laute Rotor die Arbeiter auf, sie beginnen vor dem Luftzug zu fliehen, einige bleiben stehen und winken. Der Flug setzt sich fort zu einem typisch amerikanischen Herrenhaus vor dem einige Damen in weiten Reifröcken im Garten stolzieren. Auch hier sorgt der Hubschrauber wieder für windiges Chaos. Der Hubschrauber landet und die Kamera steigt subjektiv aus und wird mit den Worten: „Ah, da sind sie ja endlich!“ begrüßt.

Das Regieduo spielt sich also in diesem dokumentarischen Spielfilm selbst, bleibt aber IMMER hinter der Kamera. Sie sind sozusagen Zeitreisende aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, die in einer unglaublich detailversessenen Welt des späten 19. reisen um eine Dokumentation über die Sklaverei zu filmen. Und so sehen wir das Grauen der Auffanglager aus erster Hand, erleben mit auf welche Art und Weise man Menschen damals wie Tiere behandelt hat und müssen den Dialogen der Plantagenbesitzern und Sklavenhändlern zuhören, die an Menschenverachtung kaum zu überbieten sind. Wie gesagt – all das stammt aus Originaldokumenten.

addio2Erstaunlicherweise kommt der Film nahezu ohne gezeigte sexuelle oder körperliche Gewalt aus, aber gerade wenn eine Vergewaltigung NICHT deutlich gezeigt wird, sondern während eines Schwenks über dabei zusehende Kinder stattfindet ist der Schockfaktor bedeutend höher.

Auch von technischer Seite überrascht „Addio zio Tom“. Speziell eine Sequenz, die wie ein normales Abendessen der besser situierten Plantagenbesitzer beginnt und sich durch Dialog und die langsame Öffnung des Bildes als etwas ganz anderes entpuppt ist höchst beeindruckend und sollte in Filmschulen gezeigt werden. Auch Riz Ortolanis Musik ist wieder auf die bekannte Art und Weise konträr zum Bildmaterial eingesetzt.

Einzig und alleine die letzten zwanzig Minuten des Filmes, in denen er plötzlich in eine Mischung aus Blaxploitation-Film und Arthouse-Experiment wechselt trüben den allgemein guten Eindruck, wirken sie doch als würden sie aus einem komplett anderen Film stammen. Hier in Deutschland ist der Film Anfang der 2000er von einigen Bootleg-Labels in verschiedensten Versionen aufgelegt worden, mittlerweile aber wieder sehr selten. Die beste verfügbare Version ist die US-Fassung von Anchor Bay, die neben der Kinofassung auch noch einen – diesem Review zugrund liegenden –  längeren Directors Cut enthält. Leider ist auch dieser Silberling momentan eher unerschwinglich, so dass man den Film momentan am Besten auf Youtube finden kann, auch wenn die Qualität eher hanebüchen ist.

 

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