tokioheader(J 1958)

(BIJO TO EKITAI NINGEN/
Die Schöne und der Flüssigmensch)

The H-Man/El hombre H/O Monstro da Bomba H 

 

Regie: Ishirô Honda

Special FX: Eiji Tsuburaya

Musik: Masaru Satô

Darsteller: Yumi Shirakawa, Kenji SaharaAkihiko Hirata, Eitarô Ozawa

 

 

grauen07Mit „Das Grauen schleicht durch Tokio“ hat ANOLIS wieder einmal einen dieser Filme für ihre Galerie des Grauens ausgegraben, der filmhistorisch gesehen zwar in jedem wichtigen Buch auftauchte, aber hierzulande bisher immer nur in einer um acht Minuten gekürzten Fassung erhältlich war. Dafür erst einmal ein großer Dank. Ob der Film jetzt in seiner kompletten Fassung aber ein wirkliches Muss für Sammler ist gilt es allerdings genauer zu ergründen.

Bei „Das Grauen schleicht durch Tokio“ handelt es sich um einen weiteren von Atombombenangst geprägten Vertreter der japanischen Science-Fiction. Wie auch schon beim Klassiker Godzilla ist es auch hier ein Fischerboot, dass als erstes in Kontakt mit dem Grauen kommt, welches dieses Mal aus radioaktiver Strahlung besteht, die ihre Opfer in die titelgebenden Flüssigmenschen verwandelt.

grauen02Diese Tatsache fällt zuerst auf, als bei einer Auseinandersetzung zweier Gangster von einem der beiden nur die Kleidung gefunden wird, was die Polizei auf den Plan ruft, die fortan in den düsteren Ecken von Tokio – und ganz speziell in einem Nachtclub ermittelt. Zusätzlich gibt es noch einen Wissenschaftler, der von Anfang an die richtige Vermutung hat, dem aber niemand glaubt und einen bösen Wicht, der ein Auge auf die hübsche Nachtclubtänzerin, Hauptzeugin und junge Witwe des ersten Opfers geworfen hat.

Aus dieser Kurzfassung der Story wird schon das größte Problem des Filmes offensichtlich, denn es handelt sich über mehr als zwei Drittel der Laufzeit um einen Polizei-/Yakuza-Film mit nur leichten phantastischen Untertönen. Die Polizeifiguren beharren erheblich zu lange und selbst nach den deutlichsten Hinweisen, das hier nun etwas gar nicht stimmt, immer noch darauf, dass es sich bei den Morden und den gesamten verschwundenen Menschen nur um die Nebenwirkungen einer Vendetta zwischen diversen Banden handelt. Sicher, die – in allen bisherigen internationalen Fassungen fehlenden – Szenen , in denen Menschen schmelzen oder sich die schleimigen Wesen bewegen, sind teilweise beeindruckend getrickst und durchaus gruselig anzusehen, aber zwischen diesen „schleicht“ der Film tatsächlich über weite Strecken.

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Das ist zumndest aber nicht die Schuld von Kultregisseur Ishirô Honda, der – wie von ihm gewohnt – zumindest visuell aufregend erzählt, die gesamte Farbpalette in diesem frühen Toho-Farbfilm ausreizt, die komplette Cinemascope-Spielfläche nutzt und somit wunderbare Bilder schafft.

Auch die Besetzung ist großartig und sozusagen ein Who-is-Who der Tōhō-Studios. So finden sich hier unter anderem Akihiko Hirata, der ja schon im Jahr 1954 Godzilla - mittels seines Sauerstoffvernichters - den Garaus machen durfte und überraschender Weise auch der König der Monster selbst (Katsumi Tezuka), diesmal allerdings ohne Gummianzug.

Zusätzlich ist die Arbeit von Spezialeffektemeister Eiji Tsuburaya wieder einmal über weite Strecken sehr effektiv, sieht man mal von ein paar fast schon albernen Zeichentrickeffekten ab. Einige Aufnahmen von zerschmelzenden Körpern sind überraschend grausam und auch heute noch wirkungsvoll. Am stärksten wird seine Arbeit aber in den Schlußsequenzen deutlich, in denen er ein wunderschönes Modell von Tokios Hafen in Flammen aufgehen lassen kann – in Sachen Zerstörung macht ihm bekanntlich so leicht keiner was vor.

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Unterstützung dabei gibt es durch ein – wie so oft bei ihm - dramatisches Marschthema von Masaru Satô, der an anderen Stellen des Scores dann aber auch mit jazzigen Passagen und sogar zwei Songs überrascht.

Ebenso erwähnenswert ist noch eine Autoverfolgungsjagd, die das letzte Drittel des Filmes einleitet und mit zum Schlechtesten und Unübersichtlichsten gehört, das ich in diesem Bereich jemals gesehen habe. Man mag es kaum glauben, dass es möglich ist eine Szene, in der es wirklich nur um zwei Autos geht, die einander folgen dermaßen untalentiert zusammenzuschneiden, dass man als Zuschauer komplett den Überblick verliert. Ich habe diese Szene nun – dank des umfangreichen Bonusmaterials, dazu später mehr – drei Mal komplett gesehen und immer noch nicht ganz verstanden.

Mittlerweile dürfte selbst dem dümmsten Leser klar sein, dass ich nicht so richtig von dem Film begeistert bin. „Das Grauen schleicht durch Tokio“ ist schön  anzusehen und hat auch seine Momente, insgesamt aber ist er zu behäbig erzählt. Der  Film ist ein Kind seiner Zeit, geprägt von Atombombenangst, gleichzeitig aber auch voller Verehrung für Militär und Wissenschaft, die in Zusammenarbeit am Ende den nahezu unsichtbaren Feind besiegen. Alles passt irgendwie nicht richtig zusammen, das richtige Kribbeln will sich nicht einstellen.

grauen03Auf der anderen Seite aber ist der Film filmhistorisch nicht gerade unerheblich. Er war eine der ersten Tōhō-Produktionen in Farbe und Cinemascope, der erste einer Serie von drei Filmen über Mutationen durchRadioaktivität (die anderen beiden erreichten nie die bundesdeutschen Leinwände) und er ist ein Beispiel dafür, wie damals mit japanischen Filmen bei der Verwertung in den USA umgegangen wurde. 

Wie bereits eingangs erwähnt fehlen ja in nahezu allen internationalen Fassungen mehr als acht Minuten des Filmes, bei denen es sich natürlich nicht nur um Gewaltszenen handelte – schließlich sind wir hier ja nicht in einem italienischen Kannibalenfilm. Was geschnitten wurde, kann man dank der ebenfalls auf der DVD/BluRay enthaltenen „internationalen“ Fassung recht gut überprüfen und ohne dem sicher bei Schnittberichte folgendem Artikel vorzugreifen, handelt es sich – abgesehen von den offensichtlichen Gewaltschnitten - um mehr oder weniger politische (Hinweise oder Vermutungen auf die Ursache der Strahlung) oder  straffungsmässige Schnitte.

grauen05Einerseits helfen diese Straffungen dem Film tatsächlich über einige Längen hinweg, in dem sie einige der Dialogszenen im Polizeibüro auf ein erträgliches Mass bringen. Auf der anderen Seite hingegen wird schon alleine durch das komplette Weglassen des Endmonologes die düstere Stimmung des Filmes korumpiert.

Wo wir gerade bei den Extras sind, hier hat sich ANOLIS natürlich wieder mal nicht lumpen lassen und bietet Großartiges. Neben der erwähnten zweiten Fassung des Filmes und diversem Trailer- und Bildmaterial finden sich hier auch noch zwei sehr untershciedliche Audiokommentare, die den Film von allen Seiten abklopfen.

Dr. Rolf Giesen (diesmal begleitet von Jörg M. Jedner) schweift wie üblich ab und verlässt den Film nahezu über die gesamte Laufzeit, um dem Hörer eine interessante Zeitreise in die deutsche Kinokultur der 60er Jahre zu ermöglichen und hier speziell den Umgang mit asiatischen Filmen zu beleuchten. Hier finden sich dadurch einige interessante Informationen, auf deren Vertiefung in den nächsten Giesen-Kommentaren ich mich schon sehr freue.

grauen06Jörg Buttgereit, Bodo Traber und Alexander Iffländer beweisen wieder einmal mehr ihr Nerdtum und gehen in ihrem Kommentar sehr genau auf diverse Querverbindungen zu anderen Tōhō-Produktionen, aber auch auf die Nachfolgefilme in der Mutantenserie (siehe oben) und die geniale Serie „S.R.I. und die unheimlichen Fälle“ (Kaiki daisakusen, 1968-71) ein, die nicht wenig von diesen Werken beeinflusst war.  

Bild- und Tonmässig gibt es natürlich kaum etwas auszusetzen, besonders interessant ist hier wie frisch und lebendig der fast sechzig Jahre alte Film speziell auf der BluRay-Version wirkt. Somit kann ich – trotz des eigentlich eher schwachen Filmes – eine Kaufempfehlung für all die aussprechen, deren Interesse nicht nur am Film selbst sondern auch an seiner historischen Einordnung liegt. Außerdem brauchen alle „Galerie des Grauens“-Sammler die Scheibe eh, weil sich eine Lücke zwischen 5 und 7 einfach nicht gut im Regal macht und Tōhō-Komplettsammler kommen an diesem Release eh nicht vorbei, da es erstmals die Möglichkeit bietet, den kompletten Film in einer verständlichen Fassung zu sehen.

Wie immer großartige Arbeit von ANOLIS, man darf gespannt sein, welche Rarität sie als nächstes für diese großartige Sammlung ausgraben.

dia

 

 

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