ANTIQUER

Antibodies / Antimatter

(Deutschland 2005)

Regie/Drehbuch: Christian Alvart

Kamera: Hagen Bogdanski

Musik: Michl Britsch

Darsteller: Wotan Wilke Möhring, Heinz Hoenig, André Hennicke, Norman Reedus

 

„Wen hast du erwartet? Hannibal Lecter?“
(der tödliche Engel spricht aus was alle denken)

 

Antikörper 003Alle weiblichen Norman Reedus Fans können sich schonmal beruhigen, der Sexy Darryl taucht nur in den ersten 5 Minuten des Filmes auf und hat keinen Dialog. Dafür ist er aber hauptverantwortlich für die Verhaftung des bösen Serienkillers Gabriel Engel (André Hennicke), der bereits 14 Jungen auf übelste Art und Weise sexuell missbraucht und danach abgeschlachtet hat.

Der Engel kommt hinter Gitter und gibt im Gespräch mit dem verantwortlichen Kommissar Seiler (Heinz Hoenig) auch alle Morde zu. Alles könnte damit erledigt sein, aber da schwebt noch ein ungeklärter Mord an einem 12-jährigen Mädchen im Raum, den Engel nicht gestehen will. Dieser Mord fand ein Jahr zuvor in einem kleinen Ort statt, in dem Michael Martens (Wotan Wilke Möhring) sozusagen der Dorfpolizist ist. Der wiederum hat momentan gewaltige Probleme, da er die gesamte Dorfgemeinschaft zum Speicheltest einladen will und dementsprechend nun sozusagen geächtet ist. Antikörper 004Sexuelle Probleme zwischen ihm und seiner Frau, ein 13-jähriger Sohn der Bettnässer ist und in der Schule durch Exibitionismus auffällt und sein Schwiegervater, der ihn für einen Versager hält, machen sein Leben auch nicht gerade einfacher, so dass es für ihn schon fast einer Erholung gleichkommt, als er die Möglichkeit bekommt Engel in Berlin zu interviewen um seine eventuelle Täterschaft festzustellen.

Es kommt zu einem Psychoduell zwischen den beiden Hauptfiguren, bei dem der Serientäter durchweg die Oberhand behält und das Martens in eine Glaubens- und Lebenskrise stürzt.

Antikörper 001Natürlich bietet sich bei dieser kurzen Inhaltsübersicht der Vergleich mit „Silence of the lambs“ an und - wie eingangs ja bereits erwähnt – ist sich Regisseur und Drehbuchautor Christian Alvart dessen durchaus bewusst. Aber die Gespräche zwischen den beiden Protagonisten nehmen nur einen ganz kleinen Raum im Film ein und sie sind auch bedeutend fieser und gemeiner als alles, was wir in Jonathan Demmes Mainstream-Thriller geboten bekamen. Wo Lecter ein gebildeter und belesener Mann war für den das Töten und verspeisen seiner Opfer eine Art rituelle Handlung war, so ist Engel ein perverses Schwein, dass die Kinder, die ihm zum Opfer fielen nicht nur aufs erbärmlichste mißbrauchte und zu Tode quälte, sondern mit ihren Körpersäften Bilder malte auf die er dann masturbierte. Hier ist nicht der nette Serienkiller von nebenan, der der Poilzei hilft einen Fall aufzuklären, hier haben wir es mit einem intelligenten Dreckschwein zu tun, dass seine unbestreitbare Intelligenz dazu nutzt, sei Gegenüber fast in den Wahnsinn zu treiben.

„An was denkst du wenn du deine Frau fickst?“

Antikörper 002Auch Martens ist keine Clarice Starling. Als Landwirt aus einer kleinen Gemeinde mit einem tatsächlich nur Halbtagsjob als Polizist, beruht sein Leben auf einem sehr konservativen Wertesystem in dessen Mitte die Familie und die Kirche stehen. Der Kontakt zu Engel, der ganz geschickt genau diesen Punkt nutzt und seine psychologischen Messer tief in diese offenen Wunden sticht, bringt ihn fast zum Zusammenbruch. Auch ein im Raum stehender Verdacht, dass der Mörder des kleinen Mädchens aus Martens näherem Umfeld kommt, der sich im Laufe der Handlung immer mehr verdichtet, wird von Engel als Waffe genutzt.

Ebenso wie das schauspielerische Duell der beiden großartigen Darsteller – Hennicke möchte man in jeder Szene das Grinsen aus dem Gesicht prügeln und Möhring würde man liebend gerne mal ein paar Sekunden des Glücks gönnen – findet so auch ein Kampf zwischen der heilen Welt des Dorfes und der bösen Großstadt (verkörpert im zwar Martens freundschhaftlich verbundenen aber trotzdem zynischen und desillusionierten Bullen Seiler) statt.

Antikörper 008Der, damals gerade 30-jährige, Christian Alvart inszeniert das Ganze mit erstaunlich sicherer Hand und erzeugt eine durchgehende Spannung, die bis zum – zugegeben etwas melodramatischen – Finale nicht mehr nachlässt. Interessanter Weise, und ausgesprochen außergewöhnlich für einen deutschen Film mit einer solch düsteren Thematik, kommt auch der Humor nicht zu kurz. „Antikörper“ ist einer dieser Horror-Thriller die über weite Strecken wirklich unangenehm zu gucken sind, weil sie deutlich nahe an der Realität kratzen und der Film geht hier auch keine Kompromisse ein, sei es nun in drastischen Dialogen oder in einigen gut gesetzten Schockszenen.

Alvart hatte ja bereits 5 Jahre zuvor mit seinem Erstling „Curiosity and the Cat“, einem kleinen voyeuristischen Kammerspiel, bewiesen, dass er die Klaviatur des Thrillerkinos beherrscht, mit „Antikörper“ hat er dem Genre ein echtes Highlight hinzugefügt, das trotz deutlicher Anleihen bei US-amerikanischen Werken eine rein-deutsche Linie fährt. Der Erfolg des Filmes sollte dann dafür sorgen, dass er tasächlich als nächstes zwei größere internationale Produktionen (Case 39 und Pandorum, beide 2009) drehen durfte, die - glücklicherweise für das deutsche Genrekino – zwar nicht schlecht, aber finanziell nicht sonderlich erfolgreich waren, so dass uns dieses Talent erhalten blieb.

Antikörper 006Seine größten Erfolge in den letzten Jahren hatte er als Regisseur der Tschiller Tatorte mit Til Schweiger, die – bei aller Hähme, die über sie (auch von uns) vergossen wurde – zumindest aus dem furztrockenen Tatort-Einerlei herrausragten.

Sein neuestes Werk, den Echtzeit-Thriller „Steig. Nicht. Aus!“ der vor zwei Wochen in einigen wenigen Kinos gestartet ist, habe ich noch nicht gesehen, er ist aber – auch dank einer weiteren Hauptrolle von Wotan Wilke Möhring auf meinem Radar.

dia

 

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