Ivan Zuccon "liest" Lovecraft Interpretationen eines italienischen Amateurfilmers
Im Allgemeinen geht man ja davon aus, dass ein Text – also beispielsweise diese Verkettung von Buchstaben und Satzzeichen, die der geschätzte Leser da gerade vor sich auf dem Bildschirm hat – etwas aussagen will. Also dass die Zeichen dergestalt arrangiert wurden, dass man daraus einen Inhalt entnehmen kann, kurz: dass der Text auf etwas verweist, das außerhalb von ihm steht. Im konkreten Beispiel also kann man anhand der Überschrift davon ausgehen, dass es in dieser Rezension inhaltlich um eine Auseinandersetzung mit den Lovecraft-Verfilmungen von Ivan Zuccon gehen wird. Dadurch verweist dieser Text seinerseits aber auch wieder nur auf andere Texte (sofern man die filmische Montage von Szenenabfolgen als Zeichenkette und damit als Text begreift). Und damit sind wir dann auch schon bei der sogenannten Intertextualität angelangt: Mein Text bezieht sich auf die Texte von Zuccon, die sich ihrerseits auf die Texte Lovecrafts stützen[1], der wiederum seine eigene individuelle Lektüre von Poe, Machen, Chambers, etc. pp. literarisch verarbeitete und dieses muntere Texten über andere Texte durch die Einführung fiktiver Schmöker wie des „Necronomicon“ nebenbei gehörig auf die Schippe nahm. Und da Lovecraft des öfteren Anflüge von kosmischem Nihilismus überkamen geriet insbesondere das „Necronomicon“ zu seiner geradezu meisterhaften Version eines Anti-Textes. Denn dieser sinistre Wälzer verfolgt nicht mehr das Ziel einer Sinnstiftung, vielmehr liegt das in ihm vermittelte unselige Wissen darin, der Rationalität den Boden unter den Füßen wegzuziehen: es beschreibt eine Dämonologie von uralten Choasmächten, deren Namen schon verdächtig nach Buchstabensuppe klingen und dadurch alles Mögliche nur nichts Gescheites oder gar Gutes[2] bedeuten, und wird damit zu einer Offenbahrung der absoluten Abwesenheit von Sinn, weshalb die Lektüre den Rezipienten nicht schlauer macht sondern mit viel „Iä! Iä!“ zum Wahnsinn führt. In gewissen Sinne entlarvt Lovecraft durch diesen vorsätzlichen non-sense im Wortsinne – ebenso wie durch das ständige Versagen der Sprache, Ungeheuer wie Cthulhu oder die Bestie aus der treffend betitelten Story „The Unnamable“ adäquat zu beschreiben – den Umstand, dass sich auch mit dem umfangreichsten Wortschatz letztendlich nichts ausdrücken lässt, dass Text und Realität voneinander getrennt sind, Signifikant und Signifikat auseinanderfallen. Viel eher trudeln wir in einer Illusion von Ordnung durchs All während sich Azathoth, Nug, Yeb und die fliegenden Polypen über unsere Hoffärtigkeit eins Grinsen und auf den Zeitpunkt ihrer Rückkehr warten.[3] Und mit Blick auf die Filme von Ivan Zuccon muss man feststellen: sie sind schon fast da! L’Altrove (Italien 2000 - kurz und lang) Regie/Buch: Ivan Zuccon Darsteller: Emanuele Cerman, Laura Coratti, Giuseppe Gobbato
Wie man meiner umständlichen Einleitung entnehmen kann habe ich zur Abwechslung mal keine Lust darauf, mich über die unübersehbaren Schwächen von Zuccons Low-Budget-Produktionen lustig zu machen, sein Werk in einem launigen Verriss abzufrühstücken und abschließend festzustellen, dass Lovecraft sich angesichts solchen Unfugs im Grabe umdrehen würde. Denn bei allen Schwächen, die solche mit der Digicam in irgendwelchen Keller abgedrehten Amateurfilme mit sich bringen, trifft gerade letzteres im Grunde genommen nicht zu, da Zuccon formal (ob mit Vorsatz oder durch mäßiges Talent als Märchenonkel spielt dabei eine untergeordnete Rolle) durchaus den Kern von Lovecrafts diversen Erzählungen trifft. Ähnlich wie das „Necronomicon“, das zunächst als Kurzzitat („Das ist nicht tot was ewig liegt…“) in „The Nameless City“ auftaucht und später etwas ausführlicher in „The Dunwich Horror“, bevor es von einer Vielzahl von Autoren immer weiter aufgeblasen wurde, beginnt die Geschichte von „L’Altrove“ mit einem knapp halbstündigen Kurzfilm. In diesem herrscht ein nicht näher erklärter Krieg gegen die Großen Alten, bei dem die Menschheit schon deutlich auf die Verliererstraße abgeglitten ist. Ein Soldat mit Bauchschuss wird in einem Kellerverlies mit diversen Dämonen konfrontiert, von denen die meisten seine eigenen sein dürften (immerhin tauchen seine verstorbene Gattin und die ungeborene bzw. nach Zenobitenart dann doch noch geborene Tochter auf) und das Ganze gipfelt in ein wenig „Hellraiser“-Quälerei, da die Großen Alten den Verbleib des „Necronomicon“, das den Schlüssel zu ihrem Endsieg darstellt, in Erfahrung bringen wollen. Und bereits diese halbe Stunde gestaltet Zuccon als einen eklektizistischen Overkill von symbolhaften Bildern mit der starken Neigung zu style over substance. Doch dabei bleibt alles vage, er verweist mit italienischem Nationalkinematographenstolz auf die Bildsprache von Bava, Argento und Fulci, auf lovecraftianische Stichworte, durch Wochenschaumaterial zu „Carmina Burana“ sogar auf den Zweiten Weltkrieg – und trotzdem bzw. gerade deshalb steht am Ende wenn man so will ein unlesbarer bzw. reichlich kryptischer Text über einen emotionalen Ausnahmezustand, dem man sich mit Logik nur unzureichend annähern kann. Weiter verkompliziert wird diese „Lektüre“ schließlich durch die zwei Jahre später fertig gestellte Langfassung von „L’Altrove“. Zuccon gelang es nämlich, einige Geldgeber ausfindig zu machen, die ihm einen abendfüllenden Spielfilm ermöglichen wollten, wodurch er neues Material um den ursprünglichen Film herum arrangieren konnte. Anstatt aber die Gelegenheit zu nutzen, seine kleine Höllenvision in einen sinnvollen Rahmen einzubetten oder gar die angedeutete Geschichte vom Krieg gegen die Großen Alten zu erzählen, ging er den umgekehrten Weg und stiftete durch die neuen Szenen noch mehr Verwirrung als ohnehin schon. So verschwimmt letztlich alles in einer Unzahl an surrealen Visionen und Rückblenden, die die Chronologie der Ereignisse sowie die Übersicht darüber, auf welcher Handlungsebene man sich überhaupt gerade befindet, restlos außer Kraft setzen. Hinzu kommt noch eine episodenhafte Reihung mit wechselnden Hauptfiguren, so dass auch die Charaktere als Bezugspunkte wegfallen. Ist am Ende alles nur die Vision dieser Spiritistin, die sich die Maske des Nyarlathotep aufgesetzt hat und dadurch einen Einblick in das „Wimmelnde Chaos“ bekam? Oder ist dieser erzählerische Rahmen auch nur ein Traum innerhalb eines Traums? Die Lichtgestaltung dieser Szenen, in denen nur ein Schreibtisch, ein altes Radio und einige Kultmasken in einem ansonsten schwarzen Raum zu sehen sind wirkt jedenfalls zu gewollt künstlich, als dass man es hier mit der Ebene der filmischen Realität zu tun haben könnte. Dazwischen schiebt Zuccon schließlich noch eine Schwarzweiß-Variation von „The Statement of Randolph Carter“, in der der Soldat Warren in einen dunklen Tunnel hinabsteigt – mit dem aus der Story bekannten Endergebnis – wodurch in „L’Altrove“ ständig irgendwelche Grenzen überschritten werden. Die Protagonisten befinden sich „Anderswo“, möglicherweise im Jenseits, aber definitiv nicht an einem schönen Ort. Und ähnlich wie der Zuschauer tappen sie sprichwörtlich im Dunkeln, denn insbesondere die Langfassung verwendet (vermutlich aus Streckungsgründen) viel Zeit darauf, die diversen Figuren mit Fackeln oder Taschenlampen durch irgendwelche Gewölbe spazieren zu lassen. Das eigentliche Problem des Films ist dabei aber weniger der billige Look, über den Zuccon mit Farbfiltern und teilweise gar nicht mal so schlecht gesetzten Lichteffekten hinwegzutäuschen versucht, sondern die sich aus der Anhäufung von letztlich bedeutungslos bleibender bedeutungsschwangerer Symbolik ergebende Beliebigkeit des Ganzen. „L’Altrove“ ist kein Rätsel, das man mit ein wenig Soziologie oder Psychologie knacken kann, sondern ähnlich wie das „Necronomicon“ eine Offenbahrung der Abwesenheit von Sinn im (filmischen) Kosmos. Oder vielleicht auch einfach nur ein Film über Leute, die gerade gestorben sind und es noch nicht so ganz kapiert haben. Maelstrom – Il figlio dell’altrove (Italien 2001) Regie/Buch: Ivan Zuccon Darsteller: Michael Segal, Emanuele Cerman, Roberta Marrelli
Wenn ein Regisseur die Gelegenheit zu einer Fortsetzung erhält ist es für gewöhnlich üblich, dass die im ersten Teil entwickelte Geschichte weitergesponnen wird. Oder dass die bereits bekannten Charaktere vertieft werden, indem sie neuen Aufgaben und Prüfungen begegnen. In beiden Fällen erhält der Zuschauer zusätzliche Informationen über die im ersten Teil entfalteten Vorgänge, über die Welt in der das Geschehen angesiedelt ist, usw. Und selbstverständlich kann es dabei geschehen, dass sich eine Serie schließlich nur noch selbst zitiert („Friday the 13th) oder gar in der eigenen Mythologie so dermaßen verheddert, dass am Ende niemand mehr den Durchblick hat („Phantasm“ oder „Saw“). Bei Zuccons „Maelstrom“ haben wir es aber frei nach Justus Jonas mit einem spezialgelagerten Sonderfall zu tun – mit einer Fortsetzung, die bestenfalls eine freie Variation des Vorgängers darstellt. Es treten auf und ab: weitgehend der gleiche Cast in anderen Rollen bzw. unter anderen Namen, wobei sich einige sogar daran erinnern können, dass sie in „L’Altrove“ noch anders hießen oder gar andere Personen waren. Und erneut kreist alles um das „Necronomicon“, dass diesmal als „Buch des Lichts“ die einzige Chance der Menschheit im Kampf gegen die Großen Alten darstellt. Auch wenn Lovecraft-Puristen angesichts dieser Prämisse die Hände über dem Kopf zusammenschlagen dürften, ist diese Idee allerdings nur folgerichtig. Denn wenn das „Necronomicon“ ein gegen jede Ordnung gerichteter alleszersetzender Anti-Text ist, dann wirkt es nicht nur in einer aufgeklärt-rationalen Umgebung zerstörerisch sondern muss zwangsläufig auch die nicht-rationale Herrschaft der Großen Alten unterhöhlen. Und diese haben in „Maelstrom“ faktisch gewonnen, da das letzte Häuflein Menschheit irgendwo in Katakomben haust und vom neugeborenen Sohnemann des Jenseits fleißig dezimiert wird. Durch diesen figlio begibt sich Zuccon außerdem verstärkt auf das Terrain christlicher Symbolik. Er wird in der Wüste von irgendwelchen Dämonen gezeugt (nach klassischer „Evil Dead“-Manier mit einer Fickbewegungen machenden subjektiven Kamera) und funktioniert vor allem durch das ständig bemühte Kreuzigungsmotiv als der Antichrist. Gewissermaßen muss das sogar zwangsläufig so sein, denn Jesus Christus überwand die alte Ordnung und schuf dadurch die Grundlage des Christentums, weshalb ein „neuer“ Messias im Grunde genommen nur noch die überkommene christliche Weltordnung überwinden kann – selbst wenn er sie weiterentwickelt und vollendet ist er damit seinem Wesen nach in Opposition zum Hergebrachten, weshalb der nächste Erlöser (so er jemals auftaucht) - zumindest wenn man den Begriff wertneutral verwendet und sich nichts Wohlklingenderes einfallen lässt – gar nichts anderes als ein Antichrist sein kann. Vor allem in einem italienischen Horrorfilm geht es aber nicht ohne eine gerüttelte Prise Katholizismus, darum ist der frisch geworfene und aus einem Kokon geschlüpfte Teufelsspross selbstverständlich überaus finster drauf und metzelt in lahm choreographierten Kämpfen einfach mal so alles weg was ihm vor die Waffen kommt. Mit von der Partie ist auch die Spiritistin aus dem Vorgänger, die diesmal als Hexe Keziah (ihr Nachname müsste eigentlich Mason lauten, leider hat sie aber Brown Jenkin nicht dabei, den man danach fragen könnte) ihren Unmut darüber kundtun darf, dass nicht sie sondern eine andere den negativen Messias in die Welt setzen durfte. Und schließlich gibt es noch eine dritte Schwangere als weitere Konkurrentin um die Anwärterschaft zur Mutter des Jahres. Doch ungeachtet all seiner potentiell möglichen Konflikte und trotz der angedeuteten metaphysischen Heldenreise dreier wackerer Hobbits Männer auf der Suche nach dem „Necronomicon“ tritt auch „Maelstrom“ gewaltig auf der Stelle, da es Zuccon wie bereits zuvor um einen traum- bzw. rauschhaften Schwebezustand geht. Er simuliert zwar phasenweise noch stärker als bereits in „L’Altrove“ die Konventionen des herkömmlichen Erzählkinos, verweigert sich aber ebenso hartnäckig einer Erzählung im eigentlichen Sinne. Stattdessen werden auch hier wieder zahlreiche Traumsequenzen und Rückblenden ineinander verschachtelt, ohne „L’Altrove“ rückwirkend mit Sinn aufzuladen und auch ohne die Geschehnisse des Vorgängers inhaltlich aufzugreifen. Lediglich an einer Stelle meint Signore Figlio, dass er früher mal einer der Soldaten war, doch sorgt diese Behauptung nicht für Klärung sondern nur noch für zusätzliche Verwirrung. Damit setzt sich Zuccons Dublette (oder Trilogie wenn man die Kurzfassung von „L’Altrove“ als eigenständigen Film betrachtet) zwangsläufig zwischen alle Stühle. Zu ambitioniert für simplen Trash, zu billig um als anspruchsvolle Unterhaltung durchzugehen (obwohl die Filme durchaus ein wenig wie postmodernes Regietheater mit einem kräftigen Schuss Splatter wirken), zu Verworren für jene Filmkonsumenten, denen man auch noch die Nullhandlung einschlägiger Comicverfilmungen ausbuchstabieren muss, zu weit weg von der gestelzten Nüchternheit Lovecrafts… … und dabei, wenn man sich mit ganz, ganz viel Wohlwollen[4] zu einem Filmvergnügen mit deutlichen Abstrichen herablässt, trotzdem ganz im Sinne seiner negativen Eschatologie. Anders als beim „Necronomicon“, das in zahlreichen Fassungen überliefert wurde und in ausgewählten Bibliotheken unter Verschluss liegt, bekommt man die DVDs der Zuccon-Übersetzungen übrigens relativ problemlos sowohl als Einzelveröffentlichung als auch zusammen mit „La casa sfugitta“ und einer Bonus-Disc in der „Necronomicon“-Box. Von „L’Altrove“ sind auf der deutschen Scheibe mit dem internationalen Titel „Darkness Beyond“ beide Versionen drauf, die Bildqualität ist so gut wie es das Ausgangsmaterial zulässt und die deutsche Synchronisation passt bestens zu den hohlen Dialogen (wobei die melodische italienische Sprache aus dem Munde von Laiendarstellern jetzt auch nicht gerade eine Freude für die Ohren darstellt). Alexander [1] Dem Vorspann zufolge insbesondere auf „History and Chronology of the Necronomicon“ [2] Da fällt einem doch gleich Kant ein, den man verkürzt auf die Formel „sinnvoll = moralisch = gut“ herunterbrechen kann. Ein Wortungetüm wie Yog-Sothoth disqualifiziert sich da in Punkto Rechtschaffenheit ganz von selbst. [3] Wer es noch etwas gelehrter haben möchte sollte sich die Einleitung von Robert M. Price zum „Necronomicon“ von Chaosium zu Gemüte führen. [4] Hach, was bin ich heute doch für ein netter Mensch…
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