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A Inocente Face do Terror / Los mellizos del terror

(USA 1972)

 

Regie: Robert Mulligan

Drehbuch: Tom Tryon

Musik: Jerry Goldsmith

Kamera: Robert Surtees

Darsteller: Chris Udvarnoky, Martin Udvarnoky, Uta Hagen, John Ritter

the other 015Holland, where is the baby?

 

 

Sommer 1933, tief im Herzen von Connecticut.

the other 001Die elfjährigen Zwillinge Niles und Holland (Chris Udvarnoky, Martin Udvarnoky) leben, nach dem Unfalltod ihres Vaters, auf der Farm von Onkel und Tante. Ihre Mutter ist seit dem Unfall katatonisch und hat sich in ihr, mit Erinnerungen ausgestattetes, Zimmerchen unter dem Dach zurückgezogen. Zusätzlich leben noch der etwas ältere Cousin Russel und die hochschwangere Torrie nebst ihrem Mann (John Ritter, in seiner ersten kurzen Filmrolle) und die Großmutter Ada (Uta Hagen) mit unter einem Dach.

Es sind Sommerferien, das Wetter ist perfekt und die gesamte kleine Gemeinde rund um die Farm voller glücklicher und teilweise schrulliger Menschen. Doch recht schnell bemerkt der Zuschauer dunkle Schatten über der perfekten Szenerie, denn Holland, der 20 Minuten ältere der beiden Brüder, ist ein kleiner Psychopath, der auf Unheil aus ist. Niles hingegen ist sozusagen ein Engel in Menschengestalt, der speziell zur alten Ada ein mehr als nur inniges Verhältnis hat. Die alte, aus Russland stammende Dame, hat nämlich genau wie er eine Art „Shinning“ und kann sich in andere Lebewesen hereinversetzen.

the other 010Als sich die seltsamen Unfälle mit Todesfolge in der Umgebung zu häufen beginnen schöpft Ada somit einen bösen Verdacht.

„The Other“ ist tatsächlich ein vergessener Klassiker und zwar in Buch- genau so wie in Filmform.

Als Buch kam er mir Ende 1973 erstmals in die Finger. Damals war ich gerade mal 11 Jahre alt und der einzige Nutzer der dreimonatlich ins Haus flatternden Bertelsmann Kataloge. Sicherlich waren diese Leseclubs bereits seit Jahrzehnten ein Teil des Haushaltes, aber – wie in vielen Heimen der 60er und 70er Jahre – wurden sie immer in so fern ignoriert, dass nach Ablauf des Vierteljahres der „Hauptvorschlagsband“ ins Haus flatterte und fortan, zumeist noch in Folie verpackt, in den Bücherschrank wanderte, der halt zu einem guten Wirtschaftswunderhaushalt gehörte.

the other 007Mit meinem Erreichen der Lesefähigkeit und nach einigen kurzen Abstechern in die Untiefen der Heftromane änderte sich das bei uns mit der Aussage: „Wenn der Junge schon so viel liest, dann soll er sich wenigstens richtige Bücher kaufen!“. So landeten in einem Jahr nicht nur „Der weiße Hai“ und „Der Exorzist“ sondern auch „Das andere Gesicht“ von einem gewissen Thomas Tryon (der übrigens in englisch nur Tom heißt) in meinem Regal. Der vierte und letzte Hardcoverband, den ich mir zu dieser Zeit zulegen konnte war übrigens „Jagdzeit“ von David Osborne, der leider durch den damit verbundenen Skandal (unter anderem wurde auf den ersten Seiten bereits eine Double-Penetration beschrieben und das Thema Menschenjagd kanm auch nicht so wirklich prima an) meine Zeit als „freier Leser“ ein wenig einschränkte und mich zurück in die Bibliotheken und den damit verbundenen Jugendschutz verwies.

Eine durchaus prägende Erfahrung, ebenso wie das Lesen des Buches von Tryon, das mit der Tagline „Ein Roman in der Tradition von „DER EXORZIST““ vermarktet wurde.

the other 002Das Buch selbst ist sozusagen, was ich natürlich damals noch nicht beurteilen konnte, eine rabenschwarze Version von Ray Bradburys „Something wicked this way comes“ (Das Grauen kommt auf leisen Sohlen) oder eine bedeutend atmosphärischere von Stephen Kings „Needful Things“ (In einer kleinen Stadt). Für mich damals besonders beeindruckend war, neben der Tatsache, dass die beiden Hauptprotagonisten in meinem Alter waren, der eher „lyrische“ Schreibstil, der das sich sanft aufbauende Grauen bis zum Finale des Buches immer mehr steigerte und es zum Ende hin fast unerträglich machte, denn – soviel darf man ohne zu spoilern verraten – das Ganze nimmt kein gutes Ende.

Auf alle Fälle war es ein Buch, dass mich sehr beeindruckte und auch heute noch ist es, neben dem Exorzisten, Dan Simmons „Carrion Comfiort“ und Barkers „Damnation Game“, zumindest unter meiner Top Ten der stärksten Horrorromane aller Zeiten.

the other 005Die Begegnung mit dem dazugehörigen Film allerdings sollte noch mehr als ein Jahrzehnt auf sich warten lassen. Weder erreichte der Film die bundesdeutschen Kinos, noch war er auf Video erhältlich und selbst eine deutsche DVD-Fassung ist bisher nicht verfügbar – und wird wahrscheinlich auch, wegen der fehlenden Synchronisation ausbleiben. Eine einzelne Fernsehausstrahlung zu Beginn dieses Jahrtausends wurde sogar nur mit Untertiteln gezeigt, was ich allerdings erst einige Tage später erfuhr. Einzig und alleine dank eines Zufallfundes in unserer englischen Videothek irgendwann Ende der 1980er Jahre kam ich in den Genuss – und der war, dank einer 4:3 Version, verrauschtem Ton und natürlich dem deutlichen Südstaatenkzent einiger und dem russischen anderer Akteure, eher fragwürdig. Da es sich zusätzlich noch um einen „Das Cover sieht gut aus, den nehmen wir mal mit“-Film handelte, wurde mir die Verbindung zum Buch auch erst dann bewusst, als es zu einer beeindruckenden Szene in einer Scheune kam, die nahezu 1:1 von der Vorlage übernommen worden war.

the other 004Generell hält sich der Film sehr nahe an die Buchvorlage, was ja auch nicht sonderlich verwundern sollte, da der Autor auch das Drehbuch verfasst hat. Allerdings benötigt es zu Umsetzung eines solch – eher ruhigen – Horrorfilms auch einen Regisseur, der die Kraft der Worte und die Bilder im Kopf des Lesers versteht und da gab es einfach niemand besseres als Robert Mulligan, selbst wenn er nie zuvor im Genre tätig war.

Mulligan war eher ein klassischer Hollywood-Regisseur, der sich so gut wie in jedem Genre versucht hatte und dabei einige echte Meisterwerke hervorgebracht hat. Ähnlich wie Robert Wise, der ja auch zwischen Musical (West Side Story) und Science Fiction (The day the Earth stood still) wechseln konnte und immer mit vollem Herzen dabei war, so lag es auch Mulligan als erstes auf dem Herzen sein Publikum zu unterhalten. the other 006Zusätzlich hatte er bereits mit der genialen Buchverfilmung des Meisterwerkes „To kill a mockingbird“ (Wer die Nachtigall stört (!!!)) bewiesen, dass er durchaus in der Lage war den Sprung zwischen dem geschriebenen Wort und dem bewegten Bild nahezu fehlerfrei durchzuführen. So gelingt es ihm auch hier die erst heitere und dann immer düster werdende Stimmung des Buches auf die Leinwand zu bringen und dafür zu sorgen, dass der Zuschauer mit der Laufzeit immer unruhiger im Kinosessel herumrutscht.

Hilfreich dabei sind natürlich die drei zentralen Figuren des Filmes und ihre Darsteller. Die Zwillinge Chris und Martin Udvarnoky, die Niles und Holland spielen wirken überraschend unverbraucht und echt, obwohl sie niemals zuvor (und auch nie wieder danach) vor der Kamera standen. Hier zeigte sich ebenfals die ganze Qualität von Mulligan, der ja auch in „To kill a mockingbird“ seine Kinderstars zu nahezu unglaublichen Leistungen beflügelt hatte. Für die andere Haupfigur, die russische Großmutter Ada, die auch das phantastische Element in den Film bringt, verpflichtete Mulligan eine bis dahin unbekannte Theaterschauspielerin namens Uta Hagen, die somit 54-jährig ihr Filmdebut gab und fortan neben ihrer Broadway-Karriere immer wieder in kleinen Rollen zu sehen war.

the other 016Bebildert wurde der Film (wie z.B. auch der hier vor wenigen Tagen besprochene „The Satan Bug“) von Robert Surtees, der auch hier wieder seiner Liebe zur nahezu malerhaften Einstellung frönen darf. Letztlich muss man natürlich noch die Musik von Jerry Goldsmith erwähnen, der hier ein wunderschönes ruhiges Main-Theme in einer Form variiert, dass sich zum Ende hin in eine nahezu gänsehauterzeugende Kakophonie verwandelt. Generell hat das Thema eine große Ähnlichkeit mit dem, das James Horner 10 Jahre später für die Verfilmung von „Something wicked this way comes“ verwendet hat, der ja wie erwähnt eine ähnliche Grundstimmung hat.

All diesen Talenten zusammen ist es also gelungen einen Film zu schaffen, der auch heute noch schockieren kann, ohne dabei auch nur einen Tropfen Blut zu zeigen oder auf billige Jump-Scares zurückzugreifen und bei dem es auch nichts ausmacht, dass man den – hier in der Mitte des Filmes aufgelösten – Plot-Twist als aufmerksamer Zuschauer bereits nach wenigen Minuten vorahnen kann.

SPOILER (markieren zum lesen!)

Hier zeigt sich eigentlich die einzige Schwäche des the other 014Filmes, denn wo es im Buch recht einfach ist, den Leser auf der falschen Fährte zu halten entscheidet sich Mulligan dafür „ehrlich“ mit seinem Zuschauer umzugehen. Da Holland zu Beginn des Filmes schon tot ist, vermied er tunlichst, die beiden Zwillinge gleichzeitig im Bild zu zeigen. Im Gegensatz zum vergleichbaren „Ich seh, ich seh“ („Goodnight Mommy“, 2014), aber, bei dem der Twist den gesamten Film ausmacht – und mir zumindest bereits in der ersten Einstellung klar war -, ist er für die Handlung und den Gruselfaktor von „The Other“ nicht wirklich von Belang, da sich die Negativspirale des Filmes NACH der Auflösung erst richtig in Bewegung setzt.

Eine weitere Besonderheit von Film und Buch ist es vielleicht, dass beide eine ganze Menge von dem vorwegnehmen, was man Jahre später als Stephen King Stil bezeichnen sollte, denn auch bei „The Other“ sind all unsere sympathischen Charaktere von Beginn an auf einem Weg, der ins Grauen führt und mit jeder Filmminute (bzw. jeder Buchseite) wird die Hoffnung auf ein Happy End mehr und mehr zerstört. Vielleicht ist das auch mit einer der Gründe, warum der Film niemals wirklich sein Publikum erreichen konnte – er war seiner Zeit einfach viel zu weit vorraus.

the other 009„The Other“ ist auf alle Fälle für Horrorfans, die auch in der Lage sind sich auf eine eher langsame Erzählweise einzulassen und keine Splatterszenen und Jump-Scares brauchen, eine Entdeckung wert. Die mir vorliegende und unten verlinkte EUREKA-BluRay präsentiert den Film in lupenreiner Bild- und Tonqualität, ist aber von den Extras her leider etwas dürftig ausgestattet. Zumindest gibt es einen Trailer und ein dickes 36-seitiges Booklet mit einem interessanten Interview mit Mulligan aus dem Jahr 1973, in dem man auch viel über seine Arbeitsweise und seine Karriere erfährt. Mehr ist aber wahrscheinlich auch kaum machbar, da die meisten an der Produktion Beteiligten mittlerweile verstorben sind oder sich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen haben.

Sollte es mal zu einem deutschen Release kommen, stehe ich für einen Audiokommentar gerne zur Verfügung. ANOLIS, WICKED, wie sieht´s aus?

dia

 

P.a.:
Kaum war der Artikel veröffentlicht, erreichte mich die Info, dass "The Other" tatsächlich auch einmal bei Premiere in einer DEUTSCHEN Fassung gelaufen ist. Somit gibt es für unsere Speziallabels gar keine Ausrede mehr. :)

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