(Italien 1972)
“Sie haben recht, Vogelspinnen gibt es hier nicht. Fragt sich also, wie sie hierher gekommen ist. Irgendwer muss sie mitgebracht haben. Aber sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.
Mein nächster Inselfilm ist ein Film, den ich nun nicht unbedingt für einen längeren, abgeschiedenen Aufenthalt im Nirgendwo einpacken würde, er wäre zumindest nicht auf der ersten, wahrscheinlich auch nicht auf der zweiten oder dritten Liste. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen Film, dessen Geschichte selbst auf einer Insel in der Karibik angesiedelt ist; zudem gehört er der Gattung Giallo an und fällt für mich in ein kurz und klar formuliertes Beuteschema, dass da lautet: „Ich muss sie alle sehen!“ Dann mal mitten rein ins Geschehen; Fred und Grace Wright sind gerade auf Haiti angekommen, nach dem langen Flug geht ihnen der chaotische Verkehr in Port-au-Prince schnell auf den Senkel, denn sie werden noch vor dem Check-in im Hotel beinahe von einer Ladung Eis erschlagen. Die Beziehung der Eheleute ist belastet, bei ihrer Rückkehr nach Hause warten bereits die Scheidungspapiere zur Unterzeichnung. Und auch dieser Urlaub ist, wie ihre Ehe, nur eine Fassade, zumindest für Fred. Denn die zufällige Begegnung im tosenden Verkehr der Hafenstadt mit Freds altem Kumpel Dr. Williams bereitet dem zwielichtigen Fred keine unvorhergesehene Freude, denn eigentlich ist er nur auf der Insel, um genau ihn zu treffen. Der humanitäre Arzt und Forscher Williams arbeitet nicht nur ehrenamtlich in einem Spital, sondern ist auch Berater der Polizeibehörden bei einem Mord, dessen Opfer vollkommen blutleer am Tatort zurückblieb. Es kristallisiert sich heraus, dass Fred, wie verschiedene andere Interessengruppen auch, hinter einer obskuren Formel her ist, die Williams hier bei der Forschung in einer abgelegenen Schnapsbrennerei entwickelt hat. Neben Fred, dem jedes Mittel recht ist, in der Hierarchie der Interessenten nach oben zu rutschen und dabei selbst seine Frau Grace, die Williams sehr zugetan ist, anbietet, sind auch Williams ehemaliger Geldgeber und verschiedene ausländische Mächte, wie der sinistre Peacock, scharf auf das Ergebnis der Forschungen des Arztes. Als weitere Tote auftauchen, die ihres Blutes verlustig gegangen sind, wird klar, dass es jemand explizit auf die Konkurrenz im Kampf um die Gunst des Doktors abgesehen hat... Die Giallo-Macher nutzten schon immer gerne Landschaften, um ihren Krimi-Werken einen möglichst pittoresken Hintergrund angedeihen zu lassen, meist die Küstenlandschaften des Mittelmeers in Italien und Spanien. Regisseur Mulargia und sein Star Anthony Steffen – bürgerlich Antonio de Teffé – verlegten ihre Geschichte dagegen in die Karibik, was neben der innewohnenden Exotik der Örtlichkeiten auch die Möglichkeit mit sich brachte, das ganze Gedöns mit etwas Voodoo-Thematik aufzupeppen. Haiti erscheint hier nicht nur als Urlaubsparadies, sondern bietet daneben noch andere, sagen wir mal, gesellschaftsspezifische Attraktionen. Als die Wrights dann zufällig beim Ort eines Unfalls, hier wohl Alltag, auf Williams treffen, ist sofort klar, dass er es ist, der Fred auf die Insel trieb. Die Formel, das Objekt der Begierde, bleibt lange undefiniert, als McGuffin ist es aber auch unerheblich, was diese Formel letztendlich bewirkt, denn wichtig ist nur, dass alle hinter ihr her sind. Nachdem unsere drei Freunde, in dieser geselligen Runde steht Grace gleich zwischen beiden Männern, was Fred später für seine Zwecke instrumentalisiert, also zusammengefunden haben, häufen sich auch betont zufällige Treffen mit anderen Leuten, die hinter ihrer netten Fassade sich auch nur berechnend an Williams und seine Formel heranarbeiten. Das ist bisweilen recht putzig, wenn sich z.B. ein Mann die Aufmerksamkeit Williams' sichert, indem er sich von einer Giftspinne, die gar nicht auf der Insel ansässig ist, beißen lässt, denn der gute Doktor ist nebenher noch Experte für Spinnengifte. Auch bei den obligatorischen Morden, denen hier, ganz genre-untypisch, nur die Männer der Schöpfung zum Opfer fallen, gibt man sich einigermaßen einfallsreich; einige Opfer werden schlichtweg entdeckt, dafür dann aber an recht ungewöhnlichen Orten, andere Male spielt man mit POV-Shots und verzerrtem Bild, was ein wenig kaschiert, dass den Machern nur ein eher begrenztes Budget zur Verfügung stand, weswegen in den Nebenrollen, neben Umberto Raho und Stelio Candelli – mit tollem Schnäuzer – auch nur No-Names agieren. Sowieso zaubert Marcello Masciocchi immer wieder schöne und meist auch sehr bewegte Bilder auf die Leinwand, was den Film enorm bereichert. Der Film erschien in Deutschland 1982 auf Video, wo er um ganze 10 Minuten, vor allem in Dialogen, gekürzt wurde. Neben einiges zum Thema Voodoo fielen vor allem rassistische Rants der Schere zum Opfer, ich gehe auch stark davon aus, dass eine drogeninduzierte, psychedelische Traum-Sequenz mit George Hilton, der sich dort von nackten, schwarzen Schönheiten umringt sieht, und der schönen Anita Strindberg, die sich einem schwarzen Mann mit, hm, sagen wir mal, imposanten Gemächt zuwendet, ebenfalls herausgekürzt wurde. Denn INFERNO UNTER HEIßER SONNE/AL TROPICO DEL CANCRO bedient sich gerne und oft der heute verpöhnten, durch Stereotype befeuerte, Exotik, die in den Psychedelika der Voodoo-Religion, rassistischen Ressentiments und, gleich dem Mondo-Film, archaisch anmutenden Riten und für der Kultur fremden Personen eigenartige Musik und Tänze, sowie eine während der Feierlichkeiten außerordentliche Freizügigkeit Ausdruck findet. Es werden zudem noch Anrüchigkeiten wie Hahnenkämpfe, Szenen in einem Schlachthaus sowie eine für Handlung und Pacing vollkommen unwichtige Szene, in der ein Stier rituell entmannt wird, untergebracht, welche wohl auf Co-Regisseur Giampaolo Lomi zurückzuführen sind, der im Jahr zuvor mit den Herren Jacopetti & Prosperi an deren umstrittenen ADDIO ONKEL TOM/ADDIO ZIO TOM (1971) mitgewerkelt hatte, der auch auf Haiti heruntergekurbelt wurde. Monsignore Lomi sieht das selbst ein wenig anders und ist der Meinung, dass nur er die treibende Kraft hinter diesem Giallo war, während Mulargia ihm nur beratend zur Seite stand. Regisseur Edoardo Mulargia und Star Antonio De Teffe weilen nun schon seit einigen Jahren nicht mehr unter uns, um das zu widerlegen bzw. aufzuklären. Der Brasilianer Anthony Steffen war in den 60ern, wie Kollege George Hilton, ein großer Western-Star und musste sich in den 70ern, als das Genre am Boden war, allmählich umorientieren. Seinen ersten Giallo drehte er 1971 mit Emilio Miraglia, und DIE NACHT ALS EVELYN AUS IHREM GRAB STIEG/LA NOTTE CHE EVELYN USCI DALLA TOMBA kam dem Star dahingehend entgegen, als dass er ihm mimisch nicht allzu viel abverlangte, und einige schöne, nackte Frauen und das herrliche Gothic-Flair von seinem eher steifen Spiel, das ihn als Westernheld noch ausgezeichnet hatte, hier aber fehl am Platz war, ablenkte. Mit Regisseur Edoardo Mulargia verband Steffen ein freundschaftliches Verhältnis, sie hatten zuvor schon zusammen ein paar Western gedreht, und Steffen markierte später sogar in Mulargias Exploitern DIE LIEBESHEXEN VOM RIO CANNIBALE/FEMMINE INFERNALI und DAS FOLTERCAMP DER LIEBESHEXEN/ORINOCO: PRIGIONIERE DEL SESSO (beide 1980) die Hauptrolle. Und so schlägt sich der Star in INFERNO UNTER HEIßER SONNE/AL TROPICO DEL CRANCO vergleichsweise wacker, was wohl auch daran liegen mag, dass er großen Einfluss auf das Drehbuch hatte. Allerdings merkt man ihm stellenweise schon an, dass seine mimische Bandbreite durchaus eng angelegte Grenzen kannte. Gabriele Tinti, der spätere Ehemann von Laura Gemser, war ein gut gebuchter Nebendarsteller in allen Genres und macht hier eine halbwegs gute Figur, auch wenn er mitunter leicht zum chargieren neigt, was dem ganzen Spaß aber keineswegs abträglich ist. Im Haupt-Cast ist er eindeutig der beste Schauspieler gewesen. Anita Strindberg hat mal wieder das Glück gehabt, wie meist, einfach nur bezaubernd aussehen zu müssen, und das gelingt ihr immer, denn die Kamera liebt sie; die Schwedin sieht sogar noch gut aus, wenn sie desorientiert (und nackt) in die Gegend starrt, einen recht dezenten Scream hat sie auch drauf. Der Rest des Cast muss sich noch nicht einmal richtig ins Zeug legen, da die meisten Charaktere kaum ausformuliert sind, denn da man nicht weiß, wozu die Formel überhaupt da ist, offenbaren ihre Figuren neben dem simplen „haben wollen“ keine tiefergehende Motivation. INFERNO UNTER HEIßER SONNE/AL TROPICO DEL CANCRO ist kein besonders guter Krimi, der einerseits von den Morden und andererseits von der Interaktion der drei Freunde vorangetrieben wird. Doch unter den Gesichtspunkten unterhaltsamer Exploitation vermag der Film dann doch einiges zu bieten, angefangen vom exotischen Setting als Alleinstellungsmerkmal, des (auch der damaligen Zeit geschuldeten) unverhohlenem Rassismus, der einem heute nur noch Kopfschütteln macht und nicht zuletzt einer, wie immer, sehr nett anzusehenden Anita Strinberg. Auch Anthony Steffen besitzt unbestreitbar Charisma, was einen über seine schauspielerischen Defizite hinwegsehen lässt. Dem Italo-, wie auch geneigten Exploitation-Fan, der die Mondo-Anleihen amüsiert zur Kenntnis nimmt, wird annehmbare Unterhaltung geliefert. Und so ist die DVD, die Camera Obscura in ihrer Reihe Italian Genre Cinema Collection veröffentlicht hat und den Film natürlich ungeschnitten bietet, jedem Italophilen empfohlen; für das 70er Jahre Insel-Feeling, eine Reise in ein anderes Land in einer anderen Zeit. Horny |
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