(USA 1956) Die böse Saat / A Tara Maldita / La mauvaise graine Regie: Mervyn LeRoy Vorlage (Theater): Maxwell Anderson Drehbuch: John Lee Mahin, Maxwell Anderson, William March Musik: Alex North Darsteller: Patty McCormack, Nancy Kelly, Henry Jones, Evelyn Varden
“What will you give me for a basket of kisses?” Rhoda verabschiedet sich von ihrem Vater
Es gibt Kinder, die möchte man am Liebsten einfach nur in den Arm nehmen und knuddeln und dann gibt es Kinder bei denen einem die Eltern einfach nur leid tun und bei denen man überlegt ob die ein oder andere Ohrfeige nicht vielleicht doch angebracht wäre. Und dann gibt es Rhoda... Rhoda (Patty McCormack) sieht optisch aus, wie man sich einen Engel vorstellt. Blonde Haare mit lustigen Zöpfen, blaue (wenn man dem Dialog des schwarz-weiss-Filmes trauen kann) Augen, ein schickes weißes Spitzenkleidchen und knallrote Schuhe mit Hackenschonern aus Metall, die es ihr ermöglichen wie Fred Astaire zu „tap, tap, tap tanzen...“. Rhoda drückt sich extrem gepflegt aus, Bitte und Danke gehören zu ihrem Standardrepertoire, Begrüßungen werden mit einem höflichen Knicks abgehandelt und wenn sie sich zu Beginn des Filmes (wie oben zitiert) von ihrem Vater Kenneth (William Hopper), einem hohen Tier bei der Air Force, verabschiedet, dann geht dem Zuschauer das Herz auf. Ja, die kleine Rhoda ist das Idealbild eines amerikanischen 50er Jahre Mädchens, visuell und von ihrer Art her ein Paradebeispiel für die Großartigkeit des „Land of the free“ in der sogenannten Nachkriegszeit, die es ja tatsächlich in Amerika niemals gab, da sich die USA ja seit den Siegen in den beiden Weltkriegen (welch ein Oxymoron), nahezu ständig mit irgendeiner anderen Nation im blutigen Streit um Ressourcen, Ländereien oder wirtschaftliche Vorrausstellung befand. Aber das ist eine andere Geschichte, an deren Fortsetzung ja die derzeitige US-Regierung kräftig mitarbeitet. Der Haushalt der Familie Penmark besteht natürlich nicht nur aus Vater und Kind. Zuerst einmal ist da natürlich die Mutter Christine (Nancy Kelly, die spätere Gattin des Cowboypräsidenten Ronald Reagan), der man schon in den ersten Szenen ansieht, dass sie nicht ganz so überzeugt von ihrem Leben als 50er Jahre Hausfrau ist. Dabei kann sie eigentlich nicht jammern. Neben dem Idealbild eines Mannes, der das Land am Schreibtisch verteidigt/beschützt und der Vorzeigetochter, ist die Familie in einem riesigen Haus untergebracht, in dem sie zwei komplette Etagen bewohnen. Christine ist finanziell überragend ausgestattet und selbst was den Haushalt betrifft hat sie genug Unterstützung. Zum Einen ist da die Nachbarin/Obermieterin Monica, eine rundliche Version der uns allen bekannten Kinderverwöhn- und Abschleck-„Tante“ – zumeist die beste Freundin der Mutter – deren feuchte und nach „Likörchen“ riechende Schlabberküsse auch 50 Jahre später noch in Erinnerung sind[1]. Diese resolute Dame hilft Christine nicht nur übermässig im Haushalt sondern nimmt ihren Verwöhnauftrag auch sehr ernst und behandelt Rhoda wie eine Göttin. Anders sieht es mit dem, offensichtlich leicht geistig behinderten, Leroy (Henry Jones) aus, der für alle anfallenden Arbeiten in Haus und Garten zuständig ist und zu Rhoda ein eher negatives Verhältnis hat. Aus überragender Güte einst von Kenneth, nach einem nicht näher erläuterten Zwischenfall, in den Haushalt übernommen ist er sozusagen der ungeliebte „Bruder“ Rhodas, zwar ausge-, aber nicht er-wachsen und geistig ungefähr mit ihr auf einer Altersstufe. Wie gesagt, Christine sollte eigentlich zufrieden sein, aber da scheint irgendwas an ihrer Beziehung zu Rhoda nicht zu stimmen, ein Schatten der Vergangenheit scheint über dem Mutter-Tochter-Verhältnis zu schweben. Nachdem wir die Kleinfamilie und ihr Umfeld - Christine und Monica haben auch noch einen sehr krimiaffien Buchclub, dessen Mitglieder vor allem Christines Vater, den Bestsellerautoren Richard Bravo (Paul Fix) verehren - kennengelernt haben, kommt es zur Katastrophe. Auf einem Picknick-Ausflug von Rhodas Schulklasse ertrinkt ein Schüler, Rhodas direkter Konkurrent, was schulische Leistungen angeht und sofort hegt Christine einen schrecklichen Verdacht. Soviel nur zu den ersten zwanzig Minuten dieses nahezu vergessenen Filmklassikers, genauer auf den Inhalt und die diversen Irrungen und Wendungen einzugehen, wäre jemandem, der den Film noch nicht gesehen hat gegenüber unfair. „The Bad Seed“ basiert auf einem Theaterstück von Maxwell Anderson, dass schon bei seiner Erstaufführung für einige Skandale sorgte, da alleine die Vorstellung eines, aus reiner Profitgier und Selbstsucht tötenden, Kindes doch sehr weit abseits des Mainstreams der 50 er Jahre war. Da halfen auch das „sie kriegt was sie verdient“-Ende und die halbherzigen – und schon damals widerlegten – Theorien von Vererbung des Bösen, die in Stück und Film eingehend diskutiert und vorgestellt werden, nicht. Was Regie-(damals schon) Altmeister Mervyn LeRoy (u.a. Ben Hur, 1952), dann auf die Leinwand zauberte, war in keinster Weise weniger kontrovers. Dank einer herausragenden Besetzung bis hin in die Nebenrollen, vor allen Eileen Heckart als Mutter des getöteten Jungen, die ihren Kummer im Alkohol zu ersticken versucht ist hier ausdrücklich hervorzuheben, vergisst man recht schnell, dass es sich ja eigentlich eher um ein Kammerspiel handelt. Jede einzelne Figur wirkt „echt“ und „lebendig“, was dann auch dazu führte, dass drei weibliche Hauptdarstellerinnen – Kelly, Heckart und – natürlich - Patty McCormack, mit einer Oscarnominierung ausgezeichnet wurden. Was uns dann auch zur zentralen Performance des Filmes bringt, denn der Film wäre weniger als halb so beeindruckend, würde – die damals gerade 11-jährige – McCormack hier nicht die wahrscheinlich die beste Darstellung eines Kinderpsychopathen, die jemals auf der Leinwand zu bewundern war abliefern. Speziell der Wandel vom engelsgleichen Wesen zum absolut berechnenden und tatsächlich hassenswerten Killer und ihre Interaktionen mit dem behinderten Leroy, hinterlassen einen bleibenden Eindruck und sind sicherlich auch mit dafür verantwortlich, dass der Film hierzulande immer noch mit einer 18er Freigabe versehen ist. Der Film schafft es tatsächlich den Zuschauer so weit zu treiben, dass er dem Mädchen die Pest an den Hals wünscht. Die deutsche Kinofassung wies übrigens noch eine erwähnenswerte Besonderheit auf, denn das komplette (eher positive) Ende des Filmes wurde weggeschnitten wodurch sich ein offener – und in dieser Form recht deprimierender – Schluß ergab, der wiederum allerdings der Vorlage näher kam. Zusätzlich wurden auch noch grundlos einige Szenen entfernt, in denen Rhoda mit ihrem Vater interagiert, was dazu führt, dass die deutsche (und mittlerweile recht seltene) DVD ab und an zwischen deutschem und englischen Ton wechselt. Interessanterweise wurden aber grausam wirkende Szenen (unter anderem jene in der ein Mordversuch Rhodas nur anhand von Geräuschen und der Reaktionen der zufälligen Beobachter gezeigt wird – eine tatsächlich schockierende Sequenz) in keinster Weise angetastet. „The Bad Seed“ wirkt vielleicht deshalb auch heute noch so stark, weil er sich durchgehend ernst nimmt. Sicherlich gibt es den ein oder anderen Lacher, aber der Film macht keinerlei Kompromisse, wenn es um seine Charaktere geht. Zusätzlich zur vordergründigen Handlung bekommen wir auf einer zweiten Ebene auch noch ein schönes Mystery (halt die Vererbungsgeschichte) geboten, das zwar tatsächlich wissenschaftlicher „Bullshit“ ist, aber im Umfeld der Geschichte prima funktioniert. Und wer außer der katholischen Filmkritik würde so etwas schon bemängeln:
„Verfilmung eines amerikanischen Bühnenstücks, das am Beispiel eines mehrfach mordenden Kindes den Zwang der Vererbung demonstrieren will. Als Thesenstück wegen seiner falschen, wissenschaftlich überholten Vererbungstheorieund seiner unmoralischen Lösung abzulehnen. Als Kriminalreißer mit psychologischem Effekt geschliffen inszeniert und gekonnt gespielt. Nur für kritische Erwachsene, die sich durch den starken atmosphärischen Gehalt des Films geistig nicht vernebeln lassen.“ Handbuch der katholischen Filmkritik, April 1959, Interpunktion und Rechtschreibung aus der Vorlage übernommen
Interessant hierbei, dass man die Kritik durchaus als positiv ansehen kann, wobei natürlich nicht ganz klar ist, ob die damalige deutsche Fassung – abgesehen von den oben erwähnten Schnitten – auch den Nachspann des Filmes in der Originalversion beinhaltete, der den Film nämlich ein wenig relativiert und mit einem Augenzwinkern beendet. Aber näher darauf einzugehen würde in den Spoilerbereich führen. Am Ende bleibt nur zu sagen, dass es sich bei „The Bad Seed“ um einen echten Horrorklassiker handelt, der zum Ende hin sogar einige phantastische Elemente beinhaltet. Der Film weiss auch heute noch zu beeindrucken und ist – bei aller Subtilität in der Darstellung – schockierender als viele spätere Werke. Einen wichtigen Teil daran trägt natürlich auch die großartige Musik von Alex North, der hier als Grundlage seines Scores ein französisches Kinderlied benutzt und wahrscheinlich die Arbeit von Elmer Bernstein im - ebenfalls großartigen - Fimklassiker "to kill a mockingbird" (1962) beeinflusst hat. Wenn ihr die Chance habt die deutsche DVD kostengünstig zu erwerben solltet ihr zuschlagen. Eine BluRay-Version findet sich zur Zeit nur im Ausland – auch hier sind unsere Kleinlabel mal wieder gefragt – wie sieht´s aus ANOLIS?
dia
[1] Falls ihr noch jung seid, glaubt mir – ihr werdet sie niemals vergessen und sie werden auch nicht von Nostalgiewölkchen übernebelt.
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