Der Nachtmahr (2015) Regie: AKIZ (Achim Bornhak)Drehbuch: AKIZ Darsteller: Carolyn Genzkow, Julika Jenkins, Auf DVD/BluRay von Koch-Media
Die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow) hat alles, was man sich als Teenager wünschen kann. Ihre schulischen Leistungen sind über dem Durchschnitt, ihr Freundeskreis groß und ihr Lebenstandard sehr hoch. Letzteres liegt natürlich vor allem an ihren reichen Eltern, mit denen sie in einer dreistöckigen Villa in einer der schöneren Ecken Berlins wohnt. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb - bricht sie immer wieder aus und feiert mit ihren Freunden wilde Partys, bei denen Alkohol und Drogen in rauen Mengen konsumiert werden. So ist es eigentlich auch kaum überraschend, dass sie unter Alpträumen leidet. Alpträume, die scheinbar immer mehr in die reale Welt dringen und sich schließlich als ein gnomenhaftes Lebewesen manifestieren. Zu Beginn seines Filmes warnt uns Regisseur und Drehbuchautor AKIZ mittels einer Texteinblendung davor, dass sein Film Lichteffekte, die zu Epilepsie führen können und binaurale Sequenzen enthält. Eine weitere Texttafel lautet dann: Wie auch immer.... Bei wem jetzt die Nase kitzelt, weil da der Titel „Driller Killer“ rausgeniest werden will, der ist in Teilen bereits auf dem richtigen Weg. Merkt Euch einfach diese Querverbindung, wir werden einige tausend Anschläge später nochmal darauf eingehen. Wir lernen Tina und zwei ihrer Freundinnen zu Beginn des Filmes bei der Fahrt zu einer Party (natürlich in einem schicken Cabrio-Flitzer) kennen. Die wilde Feier in einem geschlossenen Freibad ist dann auch der erste richtige Bombenangriff auf alle Sinne der unvorbereiteten Zuschauer. Flackernde Lichter, Farbspiele, ein wilder Schnittrhythmus und Electronic Dance Music vom knalligsten. Jetzt spätestens ist es Zeit die Kopfhörerkabel zu entknoten, wenn man beim Sichten der BluRay nicht von nervigen Nachbarn gestört werden will. Die Party endet nach ungefähr 15 Minuten mit dem ersten „Mindfuck“ des Filmes, setzt dort noch einen drauf und leitet somit zum ersten Mal in einen der eher ruhigen Teile des Filmes ein, die aber in keinster Weise weniger überraschend sind. Während wir nun Tinas Eltern kennenlernen, die scheinbar die Eskapaden ihrer Tochter durchaus tolerieren, so lange sie nicht die schulischen Leistungen gefährden oder zu negativen Charakterwechseln führen. Zwei Figuren also, die sich wohltuend von dem abheben, was man normalerweise so im deutschen Film als die Elterngeneration geboten bekommt. Auch als Tinas Alpträume an Intensität und Häufigkeit zunehmen, verhalten sich die Eltern immer noch wie normale Menschen und sind erst einmal auf Seiten ihrer Tochter. Hier ist speziell Julika Jenkins als Tinas Mutter hervorzuheben, die speziell im Zusammenspiel mit Carolyn Genzkow zur Höchstform aufläuft, die aber bedauerlicherweise nur selten in großen Rollen zu sehen ist. Wie bereits eingangs erwähnt (und da es auf dem Plakat bereits gezeigt wird, handelt es sich hierbei nicht um einen Spoiler) manifestieren sich Tinas Alpträume im Verlauf des Filmes als eine lebendige Kreatur, die natürlich scheinbar nur von ihr gesehen werden kann. Ebenso häufen sich seltsame Zeitsprünge, die Chronologie des Filmes bröckelt ebenso wie Tinas Charakter, während es dem Zuschauer klar wird, dass zwischen ihr und dem „Nachtmahr“ eine symbiotische Beziehung besteht. Auftritt des Psychiaters (Alexander Scheer), der sich ebenfalls als eine interessante Figur herausstellt und nicht als wirrer Spinner (analog sämtlicher deutscher TV-Filme) vorgeführt wird, sondern tatsächlich versucht (und es auch teilweise schafft) Tina zu helfen. Ebenfalls im Cast findet sich auch noch Wilson Gonzalez Ochsenknecht (das ist der Uwe-Sohn mit dem eher außergewöhnlichen Gesicht), der zwar nur als eine Art roter Hering eingesetzt ist, der hier aber wieder schön gegen sein „Wilde Kerle“ Image anspielt. Das Highlight der Besetzung ist allerdings Carolyn Genzkow, die vor allem als Praktikantin in den Meret Becker Tatorten bekannt ist und die Tina tatsächlich eine Form von Lebendigkeit einhaucht, die man im deutschen Genrefilm selten findet. Eine äußerst intensive schauspielerische Leistung, die hoffentlich dafür sorgen wird, dass ihr in Zukunft mehr interessante Rollen angeboten werden. Die letzte wirklich wichtige Figur im Ensemble ist natürlich der Nachtmahr selbst, der anfangs (wenn er noch eher undeutlich und im Hintergrund agiert) durch einige Computereffekte gedoubelt wird, aber dann verblüffender Weise im weiteren Verlauf des Filmes mehr und mehr von einer „realen“ Puppe gespielt wird, was ja auch dem Filmverlauf entspricht, bei dem man lange Zeit nicht ganz so sicher sein kann, ob er denn jetzt Realität ist. Bei dieser Gestalt handelt es sich im Übrigen um eine Figur, die Regisseur AKIZ, der eigentlich Bildhauer und Maler ist, bereits vor mehr als einem Jahrzehnt entworfen hat und deren Geschichte sich im Laufe der letzten Jahre in seinem Kopf festgesetzt hat. Einige interessante Einblicke in sein Leben und Wirken lassen sich in dem 20-minütigen (von einem Mitlgied der Rocket Beans geführten) Interview finden, dass der BluRay als einziges nennenswertes Extra beigefügt wurde. Leider aber bleiben dort noch viele Fragen offen, die wir natürlich AKIZ gerne selber stellen würden (also AKIZ, ich bin sicher dass du mitliest – unsere Konaktadressen sind bekannt ;) ). Aber zurück zum Film, bei dem ihr Euch jetzt selbst so tief im Review immer noch nicht sicher sein werdet, ob er Eurem Geschmack entspricht und tatsächlich – bei aller Begeisterung, die ich dem Werk entgegen bringe – fällt es mir doch sehr schwer ihn zu empfehlen. Schließlich haben wir es hier weder mit einem klassischen Horrorfilm zu tun (obwohl es sicherlich einige ans Genre angelehnte Szenen gibt) noch ist der „Nachtmahr“ ein einfaches Familiendrama oder eine simple psychologische Studie. Man könnte ihn eher als Experimentalfilm oder einfach Kunstwerk bezeichnen. Er bietet keine einfachen Lösungen, hält sich über weite Strecken nicht an die Konventionen des Genrekinos und spielt teilweise deutlich mit unseren Sehgewohnheiten. Zeitsprünge, hypnotische Sequenzen, eine Vermischung von „Realität“ und Wahn und immer wieder das dumpfe Donnern elektronischer Beats – da muss man sich als Zuschauer sicherlich drauf einlassen können um dem „Nachtmahr“ einen Genuss abgewinnen zu können. Vergleiche mit den rätselhafteren Filmen von David Lynch drängen sich unwillkürlich auf und so ist es auch kein Wunder, das AKIZ selbst großer Fan von „Mnulholland Drive“ ist und bereits einige (logischerweise erfolglose) Sichtungen damit verbracht hat, dem Rätsel des Filmes auf den Grund zu gehen. Auch eine ans Ende gestellte Hommage an Stanley Kubrik (gell AKIZ, du hast gedacht die wäre uns durch gegangen) gibt Hinweise auf die filmische Sozialisierung des Regisseurs. Eine Parallele, die ich allerdings hier ziehen möchte – und jetzt kommen wir zu dem versprochenen Querverweis – ist die zu Abel Ferrara. Das mache ich nicht nur an der eingangs beschriebenen Texttafel fest, sondern vor allem an der eher schizophrenen Vita beider Regisseure. Hüben wie drüben finden wir Werke von eher kommerzieller Qualität und kleine Meisterwerke des Films bunt gemischt vor. AKIZ verdeutlicht das, in dem er für seine eher persönlichen Filme sein Künstlerpseudonym und für seine „Auftragskillerarbeiten“ (vorwiegend fürs Fernsehen) seinen realen Namen Achim Bornhak benutzt, den ich aus naheliegenden Gründen in diesem Review bisher ignoriert habe. Ich bin sehr interessiert zu erfahren, ob ich mit meiner Vermutung, dass sich Ferrara unter seinen Vorbildern befindet, auf der richtigen Spur bin. „One for the money, one for the Art!“ Apropos Kunst. Als eher enttäuschend empfinde ich das nebenstehende deutsche Kinoplakat, dass eher aussieht wie ein Poster zu einer billigen 80er Jahre direkt-zu-Video-Veröffentlichung, weshalb ich auch (Sorry, Koch-Media) für die Startseite bewusst das TIFF-Plakat gewählt habe, dass eher zum Film passt. Alles in allem ist „Nachtmahr“ ein Film der tatsächlich frischen Wind ins deutsche Genrekino bläst und zeigt, dass hier auch mehr möglich ist als billige Splatterorgien oder die x-te Verfilmung eines Jugendbuches. Ein visueller und akustischer Anschlag auf den Zuschauer, der ganz speziell, wen man ihn unter Kopfhörern geniesst (was aufgrund der binauralen Sequenzen eigentlich unabdingbar ist) seine volle Wirkung entfalten kann. Ein Wort noch an unsere Splatterfraktion – es gibt in der Mitte des Filmes eine wirklich schockierende Szene, nicht unbeding übertrieben blutig, aber mit einem sehr speziellen „Autsch-Effekt“, der Euch gefallen dürfte. Ansonsten raten wir Euch aber doch lieber davon ab. „Nachtmahr“ ist kein Horrorfilm, er ist ein Erlebnis, das viel fordert, aber auch viel zu geben hat. AKIZ ist ein Name, den ich im Auge behalten werde. dia
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