Dracula - Eine Love Story / Dracula '79 (UK/USA 1979) Regie: John Badham Drehbuch: W.D. Richter, Hamilton Deane, John L. Balderston Musik: John Williams Darsteller: Frank Langella, Laurence Olivier, Donald Pleasence
"In the past 500 years, Professor, those who have crossed my path have all died,
Eine Figur wie Dracula kann man noch so oft pfählen, verbrennen oder in miesen Filmen verwursten – jedes Mal wenn man denkt „das war’s jetzt aber mit dem alten Blutsauger!“ erhebt er sich aufs Neue aus dem Grab und erweist sich dabei oftmals als noch vitaler denn zuvor. So war es eigentlich kein Wunder, dass schon kurz nachdem die Hammer-Studios mit „The Legend of the 7 Golden Vampires“ ihren mehr als 15 Jahre umspannenden Zyklus um den rumänischen Spitzzahn zu einem nicht sonderlich rühmlichen Abschluss gebracht hatten der Vampirspuk auf dem Broadway weiterging. Zwischen 1977 und 79 lehrten dort zunächst Frank Langella, später Raúl Juliá das Publikum das Fürchten, wobei insbesondere die Neuinterpretation der Titelrolle durch Langella schnell auch die Aufmerksamkeit der Produzenten von Universal erregte – diese erinnerten sich an Bela Lugosi (den man seinerzeit ebenfalls über den Umweg der Bühnenadaption des Stoker-Romans ausfindig machte[1]) sowie an die zahlreichen Horrorklassiker für die man in den 30er Jahren verantwortlich zeichnete, so dass ein Remake schnell beschlossene Sache war. Dieses erschien schließlich 1979, in einem Jahr, in dem es vor Vampiren auf der Leinwand und dem Bildschirm nur so wimmelte. Doch wo Werner Herzog („Nosferatu – Phantom der Nacht“) und Tobe Hooper („Salem’s Lot“) mit unterschiedlichen Schwerpunkten die Hässlichkeit des Vampirs inszenierten bzw. sich in starkem Kontrast zur virilen Darstellung durch Christopher Lee wieder verstärkt an Max Schreck orientierten, schlugen der 79er „Dracula“ und noch deutlicher die Komödie „Love at First Bite“ eine neue Richtung ein, die dem seit 1968 veränderten Zeitgeist Rechnung trug. Wir erinnern uns: Hippies, sexuelle Revolution, Rockmusik und Drogen – und auf den Kinoleinwänden Zombies, Kettensägenmassaker, Weiße Haie und Exorzisten. Wie angestaubt und muffig wirkten die guten alten Universal-Monster in diesem aus konservativer Sicht völlig aus den Fugen geratenen gesellschaftlichen Umfeld? Spätestens in „Dracula A. D. 72“ war der Herr Graf doch geradezu ein schrulliger Anachronismus und Udo Kier stand in „Blood for Dracula“ zwei Jahre später sogar vor dem überaus ernsten Problem, dass Jungfrauenblut inzwischen eine Mangelware darstellte - wen wollte man also mit der „armseligen viktorianischen Sexualfantasie“[2] von Bram Stoker noch erschrecken? Die Antwort lautet: Niemanden. Darum ließ man auch John Badham als Regisseur ans Werk, der kurz zuvor mit „Saturday Night Fever“ dem aufkommenden Discozeitalter ein filmisches Denkmal gesetzt hatte. Weshalb es letztlich nur folgerichtig ist, dass „Dracula“ diesmal mit schicker Föhnfrisur daherkommt, denn das mochten die Frauen damals. Und auch wenn Frank Langella (bzw. seine Haartracht) aus heutiger Sicht als eine etwas gewöhnungsbedürftige Besetzung erscheinen mag (irgendwo zwischen Ken und den Typen vom Denver-Clan) sollte man nicht vergessen, dass seine Darbietung im „Dracula“-Theaterstück die Fantasie der braven amerikanischen Hausfrau in etwa so beflügelte, wie es heute ein „Fifty Shades of Grey“ tut. Er ist der elegante, kultivierte und stets etwas melancholische Gentleman, ein geheimnisvoller, aber nicht zuletzt deshalb überaus verführerischer Außenseiter, dessen Monstrosität soweit zurückgenommen wurde, dass er nicht einmal mehr seine Reißzähne zeigt. Dies macht ihn stärker noch als Christopher Lee (der für einen Gruftbewohner ja auch alles andere als unattraktiv war) zu einer Projektionsfläche für unausgesprochene erotische Wünsche, zum Gegenentwurf einer in Konventionen erstickenden Gesellschaft, wodurch sich der Grundtenor der schaurigen Erzählung in sein Gegenteil verkehrt bzw. statt Angst nun (mild-morbide) Romantik verbreitet wird. Ein Blick auf die Antagonisten des Grafen macht dies mehr als deutlich. Zwar wurden Größen wie Sir Laurence Olivier und Donald Pleasance verpflichtet, aber die Repräsentanten von Wissenschaft, Religion und Fortschritt – und damit von all dem, was man gemeinhin so als „lustfeindlich“ bezeichnen kann – sind in Badhams Film derartige Jammerlappen, dass man sie als Gegner gar nicht mehr ernst nehmen kann. Und so ist es auch kein Zufall, dass die vom weinerlichen Van Helsing eingesetzten Allzweckwaffen Kruzifix und Knoblauch nach und nach ihre Wirkung verlieren, selbst das Sonnenlicht (das man gewissermaßen ja als Symbol für die Aufklärung und damit die Entzauberung der Natur betrachten kann) ist nur noch ein zweifelhafter Verbündeter; die „alten Mächte“ erweisen sich als stärker, während die Ratio nach und nach ausblutet. Allerdings kann man „Dracula“ nicht voreilig als eine Art jugendliche Revolte gegen den konservativen Mief unter den Talaren interpretieren, auch wenn die Konzeption als Geschichte einer Liebe gegen die etablierten Normen des menschlichen Zusammenlebens dazu verleiten mag. Zwar sind Van Helsing und Dr. Seward tatterige alte Männer, und Jonathan Harker trotz bzw. gerade wegen seines modernen Automobils auf dem besten Wege, irgendwann als ebensolcher zu enden (Technikaffinität und emotionale Verkümmerung gehen bei ihm Hand in Hand), und Dracula wirkt neben ihnen jung, lebendig, dynamisch und sexy (sofern man kein Problem mit Föhnfrisuren hat) – aber: Dracula als Vertreter des Adels gehört zu einer noch älteren Epoche als das Bürgertum. Auf der Ebene der Bildsprache zeigt sich das sehr schön darin, dass sich ähnlich wie die Hauptfiguren letztlich zwei zentrale Handlungsorte unversöhnlich gegenüberstehen, die beide auf ihre spezifische Art nicht sonderlich wohnlich anmuten. Einerseits das wie eine Festung auf einer einsamen Klippe stehende Sanatorium von Dr. Seward – eine Klapsmühle, in der diejenigen, die sich nicht ins rationale Machtgefüge einordnen können oder wollen mit Laudanum narkotisiert oder in die Gummizelle gesteckt werden – und andererseits die in Gothic-Zierat (Spinnweben, noch mehr Spinnweben und darunter ein wirklich tolles Set-Design mit muffigen Möbeln, Grabgewölben usw.) schwelgende Grafenresidenz Carfax, was zeigt, dass beiden Gesellschaftsentwürfen letztlich die eigentliche Lebensqualität fehlt. Wenn man so will ist die Moderne bzw. das aufgeklärte Bürgertum, das seinerzeit den Adel entmachtete, inzwischen ebenfalls alt und müde geworden (weshalb sich sehr sinnfällig in direkter Nachbarschaft des Sanatoriums ein schäbiger Friedhof befindet), allerdings ohne über die Fähigkeit zur Regeneration zu verfügen. Der „Schrecken“ Draculas liegt also darin, dass sich der vermeintlich jugendliche Aufbruch der Moderne aus dem Aberglauben ganz im Sinne der Frankfurter Schule als ein Irrweg erweist, der durch seine kalte Mechanik letztlich zum Faschismus führt. Die einschlägigen Obsessionen der Nazis („Blut und Boden“ bzw. das Gefasel vom „reinen Blut“ etc.) dürften jedenfalls die eindrücklichsten Bände darüber sprechen, wie sehr diese Ermattung und Senilität jenen den Weg ebnet, die sich einen „lebendigen“ Anschein geben, und genau diese Kunst beherrscht der untote Parasit Dracula, der an einer Stelle des Films sogar davon schwadroniert, eine neue Dynastie bzw. eine neue Rasse zu begründen, hervorragend. Als besonders anfällig für solche Verlockungen erweisen sich dabei einmal mehr die Frauen, die allerdings zugegebenermaßen historisch erst sehr spät von den Segnungen des Technikzeitalters profitierten. Demokratie und liberales Unternehmertum war lange Zeit Männersache, und einer Frau wie Lucy Seward,[3] die schon in ihrer ersten Szene betont „Ich bin doch kein Inventar“ muss die im Vampirdasein versprochene Souveränität über den eigenen Körper darum zwangsläufig als Verlockung erscheinen, als die Freisetzung der Libido, vor der sowohl die religiöse als auch die rationale Moral zurückschreckten, doch auch wenn man „Dracula“ als Geschichte einer solchen sexuellen Befreiung interpretieren will, bleibt die Inszenierung doppelbödig genug, um einige Zweifel zu sähen. Zwar ist die Vereinigung von Lucy und Dracula schon allein optisch ein großartiger Ausbruch aus dem farblich ausgebleichten sonstigen Look des Films, in rotem Gegenlicht vergleichbar mit einer James Bond-Titelsequenz, doch gleichzeitig bemüht Badham an zwei zentralen Stellen eine Symbolik, die zur Freiheit nicht so sehr passen will. Vor ihrem Date mit Dracula wird Lucy von oben durch ein Spinnennetz gefilmt, in dem ein besonders fetter Arachnider herumkrabbelt bis er genau über ihr ist, und etwas später (weil Dr. Seward seiner Tochter selbstverständlich kein Laudanum verarbeichen will hat man sie kurzerhand in eine Gummizelle gestopft) wird durch das spinnennetzartige Deckengitter ihre Annäherung an Harker gezeigt. Sie ist somit also auch nach ihrer Transformation und selbst als Aggressor eine Gefangene, und der Film entwirft eine Dialektik aus System und Instinkt, die sich nicht vollends aufheben lässt – gewissermaßen befreit man sich vom repressiven System dadurch, dass man sich Trieb und Instinkt hingibt, also genau den Dingen, denen man durch die Konstitution des Egos und damit zwangsläufig verbunden durch Errichtung eines repressiven Systems der Natur- und Selbstbeherrschung (zuerst religiös, später säkular verbrämt) ursprünglich einmal entrinnen wollte. Damit bleibt die Freiheit ebenso wie die Sexyness des Vampirs eine Illusion, und genau diese De-Illusionierung merkt man den von den uneingelösten Verprechen der 68er (die schnell genauso autoritär und dogmatisch daherkamen wie ihre Elterngeneration) enttäuschten Filmen der späten 70er Jahre (allen voran natürlich Romeros „Dawn of the Dead“) merklich an. Wobei sich „Dracula“ trotzdem reichlich Mühe gibt, dies zugunsten der Liebesgeschichte zu verschleiern. Tatsächlich dürfte er bis zu Coppolas hervorragender Adaption der schönste und romantischste Dracula-Film überhaupt gewesen sein, und für Gruselfreunde gibt es selbstverständlich trotzdem auch noch die eine oder andere Garstigkeit, im Erscheinungsbild der vampirisierten Mina klingen sogar die inzwischen aufkeimenden Zombiefilme mit ihrer Verwesungsästhetik an, so dass es ein wenig verwundert, dass der Film über die Jahre ein wenig Stiefmütterlich behandelt wurde. Tatsächlich erfolgte die deutsche DVD-Auswertung erst im Jahre 2009 bei Winkler-Film,[4] dafür aber in einer sehr guten Bildqualität. Unter anderem verwendete man auch John Badhams gewünschten Farbtransfer, denn dieser wollte „Dracula“ ursprünglich in schwarzweiß inszenieren, was den Studiobossen zu artsy erschien. Darum wurde Badham einige Jahre später zum Farbvampir und sorgte dafür, dass die Laserdisc und alle späteren Veröffentlichungen ein wenig ausgebleicht wurden, so dass der Film bis auf die bunte Liebesszene und das Finale im Tageslicht monochrom bzw. in Sepia daherkommt. Zu einem historischen Kostüm- und Ausstattungsfilm passt das sehr gut, da auf diese Weise nicht nur die Atmosphäre einer ausgezehrten Gesellschaft vermittelt wird, sondern mit Blick auf die folgenden Filme Badhams auch auf formaler Ebene Distanz gewahrt bleibt. Immerhin sollte er sich mit „Wargames“, „Blue Thunder“ oder „Stakeout“ dann ganz konkret mit dem bedrohlichen Ausmaß (Rundumüberwachung, Hacker, etc.) auseinandersetzen, das die moderne Technik erreicht hatte und zu denen „Dracula“, in dem das vermeintlich verkrustete Strukturen aufbrechende Neue ja auch nur die Wiederkehr des immergleichen bösen Alten war, gewissermaßen eine Vorstudie bildet. Alexander
[1] Das Stück stammt von Hamilton Deane und wurde später von John L. Balderston überarbeitet. [2] Eine lakonisch-selbstbewusste Feststellung der Vampirin-Vampirjägerin Sonja Blue in „Sunglasses After Dark“ von Nancy A. Collins. [3] Der Film folgt den geringfügig vertauschten Rollen des Theaterstücks. [4] die lustigerweise auf ihrer Homepage die Inhaltsangabe von „Dracula“ unter dem Eintrag von „Jeanne D’Arc“ stehen haben, aber vielleicht hat er die ja irgendwann auch mal gebissen, wer weiß? (http://www.winklerfilm.de/filme.html?page_n102=3 )
|