Tears of Kali – The Dark Side of New Age, Lacrime di Kali, La Face Sombre Du New Age (Deutschland 2004)
“Es ist gut nach innen zu schauen. Manchmal muss man aber auch nach draußen schauen.
Ab Ende der 70er-Jahre strömen Menschen aus aller Welt nach Indien, um sich dort verschiedenen Sekten, esoterischen Glaubensrichtungen und deren Gurus anzuschließen. In Poona vollführt die Taylor-Erikson-Gruppe obskure Experimente, um das Böse aus dem Wesen des Menschen zu entfernen. Während eines Selbstfindungskurses steht die junge Kim, die eben noch fiebrig in den Armen des Sektenführers Lars Eriksen lag, auf und schneidet sich die Augenlider ab. Ende 1983 löst sich die Sekte dann plötzlich auf. Da die Mitglieder allesamt sehr verschwiegen sind, ist kaum etwas über die Gruppe und die Ereignisse, die sich in Poona abspielten, bekannt. In den folgenden, voneinander unabhängigen drei Geschichten werden die Schicksale von drei verschiedenen Mitgliedern der Sekte erzählt. „Shakti“: In einer psychiatrischen Anstalt in Berlin besucht die Journalistin Tansu Yilmaz das ehemalige Sektenmitglied Elisabeth Steinberg. Diese behauptet, einen Mann beeinflusst zu haben, der verurteilt wurde, den Guru Sarmafan grausam ermordet zu haben. Sarmafans Leiche sah wie von einem wilden Tier zerfetzt auf, und Yilmaz will von Steinberg wissen, was den Mann antrieb und wie er zu so einer schrecklichen Bluttat fähig gewesen sei. Deren Geschichte eines bösen, metaphysischen Wesens, welches den Guru so übel zugerichtet haben soll, tut die Journalistin verärgert als Mumpitz ab. Doch sie soll schon bald selbst herausfinden, wie sehr sie sich irrte... „Devi“: Der junge Gewalttäter Robin Borg wird als Auflage des Gerichtes zu dem Psychotherapeuten Dr. Steiner geschickt. Der freundliche, ältere Mann bringt Robin dazu, ehrlich zu seinen Verfehlungen zu stehen, und dann durch eine Finte dazu, seine Aggression ungeschönt zum Vorschein treten zu lassen. Erst daraufhin erklärt er sich bereit, dem jungen Mann zu helfen, der sich dabei zum ersten Mal verstanden fühlt. Doch ahnt er nicht, in welche Abgründe er während der Sitzung mit Dr. Steiner starren wird... „Kali“: Der Spiritist und Heiler Edgar ist ein Wrack; der zynische Therapeut hält sich selbst für einen Betrüger, der über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt ist, und ertrinkt seine Selbstzweifel am liebsten in Wein. Bei einer Gruppentherapie trifft er auf Mira, die seit ihrem Aufenthalt in Indien von einer nicht identifizierbaren Krankheit befallen ist. Zu seinem eigenen Erstaunen kann er sie von ihrem Leiden befreien, doch entpuppt sich die Quelle ihres Schmerzes als böser Parasit, der sich in dem Kellergewölbe von Edgars Haus einnistet... Andreas Marschalls Spielfilm-Debüt hat eine bewegende Entstehungsgeschichte. Es begann alles mit seinem Kurzfilm DER KALI PROZESS, der während eines Kamera-Workshops an einer Berliner Schauspielschule in Zusammenarbeit mit Heiner Thimm entstand. Aufgrund der positiven Resonanz, die dieser Kurzfilm erhielt, griff Marschall das Thema noch einmal auf und drehte im folgenden Jahr, wiederum mit einer Klasse von Schauspielschülern, den Kurzfilm SHAKTI, der die erste Episode des Films darstellt. An dieser Stelle beschloss man, daraus eine Horror-Anthologie mit der Thematik der Selbstfindungs-Sekten zu drehen. Mit dem Einstieg von Anolis stand Marschall mehr Geld und bessere Technik zur Verfügung und er drehte die zweite Episode „Devi“ sowie das vorangestellte Segment „Poona“, das als Vorgeschichte bzw. Rahmenhandlung diente. Diese unfertige, 71-minütige Fassung wurde in Mailand dann potenziellen Käufern vorgestellt. Das Interesse an einer vervollständigten Version seitens der Käufer und einiger Festival-Veranstalter war so groß, dass Marschall genug Geld zusammenbekommen konnte, um die letzte Episode „Kali“ zu drehen und dem ganzen Film einer professionellen Post-Production unterziehen zu können. Aufgrund dieses langwierigen Prozesses machen sich, wie zu erwarten, zwischen den drei Episoden qualitative Unterschiede bemerkbar. „Shakti“ fällt alleine schon optisch sehr ab, aber auch die Darsteller agieren bisweilen arg hölzern und die Dialoge klingen nicht sehr natürlich. Dafür ist die Atmosphäre in der Psychiatrie, bspw. mit einer Insassin, die beim Malen einen Zusammenbruch erleidet, ist recht gut eingefangen. Auch die körnig verfremdeten Rückblenden passen sich gut ein und heben den einstigen Kurzfilm inszenatorisch über Amateurfilm-Niveau. „Devi“ kommt dabei schon eine Ecke besser weg, die Optik ist zwar lange noch nicht kinotauglich, doch zur ersten Episode ist klar eine Steigerung zu erkennen. Auch schauspielerisch geht dieses Zwei-Personen-Stück absolut in Ordnung, da gibt es eigentlich nichts dran zu kritteln. Dazu ist die kleine Geschichte straff erzählt und offenbart bis zum blutigen Höhepunkt keinerlei Längen. Die Rahmenhandlung „Poona“ entstand in der gleichen Produktionsphase und präsentiert mit Peter Martell als Sektenführer Lars Eriksson einen bekannten Schauspieler (Terence Hill Fans sind ihm auf ewig dafür dankbar, dass er sich 1967 vor dem Dreh von GOTT VERGIBT, DJANGO NIE den Fuss verknackste und seinem Ersatzmann Mario Girotti eine beispiellose Karriere an der Seite von Carlo Pedersoli alias Bud Spencer ermöglichte). Sie fungiert als Appetitmacher auf die folgenden drei Geschichten und funktioniert mit seiner fiebrigen Atmosphäre und der Kulmination in ihrem blutigen Schockeffekt als solcher wunderbar. „Kali“ bietet mit Mathieu Carriére das bekannteste Gesicht des Films auf und als Profi meistert er seine Rolle als vom Glauben an sich selbst abgefallener Esoteriker Edgar Cornelsen, der in seinen eigenen Lehren nur mehr hohle Phrasen sieht, sehr gut. Auch bietet die kurze Geschichte den größten Rahmen und damit auch Ensemble der drei Episoden, wobei allerdings die meisten Darsteller zu Statisten degradiert werden. Die beiden anderen wichtigen Personen, die von der Krankheit gepeinigte Mira und Cornelsens Lebensgefährtin Tilde, sind adäquat besetzt. Nach der Befreiung Miras von ihrem Leiden, die Heilung wird während einer Gruppensitzung vollzogen, in der Mira ihre Qualen unter großem Geschrei abstößt, rückt der Handlungsort, das Haus Cornelsens, in den Vordergrund, und die Kamera fährt bevorzugt die dunklen Ecken des Gebäudes ab. Dann beginnt eine unsichtbare Macht Egdar, Mira und Tilde dort zu terrorisieren, die Gefahr wird durch direkte Angriffe, bei denen man aber vom Monster trotzdem nichts sieht, konkreter. Die Geschichte lebt dabei von einer durchgehend unheimlichen Atmosphäre und der zum Ende stark anziehenden Spannungsschraube, wenn die Kamera beginnt, die Rolle des Monsters zu übernehmen. Mit fast 40 Minuten finde ich persönlich die Episode als etwas zu lang geraten, ein kleiner Wermutstropfen angesichts der guten Inszenierung. Insgesamt ist Andreas Marschall mit TEARS OF KALI noch nicht wirklich der große Wurf gelungen, was aufgrund der Umstände der sich über längere Zeit hinziehenden Produktion aber nicht verwunderlich ist. „Shakti“ sieht man seine deutlich schlichteren Möglichkeiten, optisch und darstellerisch, einfach zu sehr an, auch wenn die Geschichte für sich genommen, eigentlich gar nicht mal schlecht ist. Dafür können das knackige Zwei-Personen-Stück „Devi“ und der wirklich sehr professionell gefilmte und gut gespielte Abschluss „Kali“ wirklich überzeugen, und zusammen mit der Einleitung durch die kurze, aber atmosphärische „Poona“-Sequenz kann Marschalls Debüt durchaus überzeugen, auch wenn ich es noch nicht unter „guter Film“ verbuchen würde. Der Episodenfilm gehört aber eindeutig zum besten, was die semi-professionelle deutsche Independent-Szene in den 2000ern hervorgebracht hat. Und Andreas Marschall sollte ja auch mit dem folgenden MASKS (2010), der recht offen Dario Argentos SUSPIRIA huldigt und dabei ganz und gar nicht auf die Schnauze fällt, was mal nicht eben selbstverständlich ist, kultivieren und steuerte zum nächsten großen deutschen Episoden-Horrorfilm GERMAN ANGST (2015) die abschließende Episode „Alraune“ bei, die unheimlich gut gelungen ist und die vorangegangenen Beiträge der Herren Buttgereit und Kosakowski glatt alt aussehen lässt. Auf der deutschen Special Edition DVD des Films liegt auch der Kurzfilm DER KALI-PROZESS auf einer Bonus-Scheibe bei (zu dem ich leider nichts sagen kann, da ich den Film auf Maxdome gesehen habe), zudem beinhaltet sie eine Disc des durchaus sehr hörbaren Soundtracks. Es sei hiermit trotzdem unbesehen eine Kauf-Empfehlung ausgesprochen, sollte man sich für deutsche Genre-Filme interessieren. Eine HD-Abtastung des Films gibt es bisher noch nicht, was allerdings des schlechteren Materials der ersten Episode „Shakti“ nicht weiter verwundert. Horny
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