Winnetou
- der Mythos lebt
Musik: Martin Böttcher
ab 23. 12. 2016 auf DVD/BluRay Fernsehausstrahlung im Weihnachtsprogramm von RTL
Das Ganze hatte nur einen kleinen Haken, denn Karl May hatte sich die ganze Welt nur ausgedacht, ohne überhaupt jemals in Amerika gewesen zu sein. Erst viel später schaffte er es über den großen Teich, wenn auch nur zu den Tuscarora und nicht zu den Apachen. Die Kinder in der DDR (und einige auserwählte im Westen) hatten da eine definitiv bessere Indianer-Ausgangslage. Liselotte Welskopf-Henrich schuf dort mit ihrer Hexalogie „Die Söhne der Großen Bärin“ eine wesentlich fundierter aufgebaute Welt, bei deren Verfilmung Gojko Mitić als „Ost Indianer“ entdeckt wurde und später das Winnetou-Erbe von Pierre Brice bei den Karl May Festspielen in Bad Segeberg antrat. Seit dieser großen Zeit des Indianerfilm wird das Thema Winnetou immer wieder aufgegriffen. So gab es neben dem unterschätzten Animationsfilm „Die Spur führt zum Silbersee“ mit „Winnetous Rückkehr“ einen eher öden TV-Zweiteiler. Einen humoristischen Ansatz verfolgte im Jahre 2000 das Projekt „Ja uff erstmal“, bei dem ein Winnetou Hörspiel von 1955 mit deutschen Comedians neu besetzt wurde. Kurze Zeit später ging 2001 die liebevoll gemachte Parodie „Der Schuh des Manitu“ von Bully Herbig in die gleiche Richtung. Viele Monde sind seit dem vergangen und es war also wieder höchste Eisenbahn, den armen Winnetou erneut aus den ewigen Jagdgründen zu zerren, um ein neues Süppchen aus ihm zu kochen. Dieses Mal ist es RTL, die uns zu Weihnachten mit einem Winnetou Dreiteiler beglücken werden. Der große Geist hat dabei entschieden, mir schon mal den ersten Teil „Winnetou – Eine neue Welt“ vorzeitig in die Hände zu geben, was ich natürlich dankbar angenommen habe. Für die Zeitgenossen die ein ähnliches Glücksgefühl unter dem Weihnachtsbaum genießen möchten, erscheint die Serie zeitgleich auf DVD und BluRay. Nun ist meine Meinung bezüglich der Filmproduktionen deutscher Privatsender nicht gerade zum Besten bestellt, aber eine faire Chance hat Winnetou ein Film immer verdient. Ich lege also die DVD rein und es beginnt mit einer Szene in der Einwanderungsbehörde unter einer US Fahne mit 37 Sternen. (was somit auf den Zeitraum zwischen 1867 und 1876 hindeutet). Nach etwa 40 Sekunden Laufzeit platzt dann auch schon die Bombe: "Guten Tag. Mein Name ist Karl May. Das ist meine Geburtsurkunde, mein Abiturzeugnis und mein Universitätsdiplom". Uff! Das ging ja fix. So schnell ist wohl noch kein Film bei mir durchgefallen. Zugegeben, Karl May hat bei seinen Erzählungen immer wieder versucht die Grenze zwischen Autobiographie und Fiktion zu verwischen, aber es gehört nun einmal zum Kult dazu, dass seine Geschichten auf vollkommener Ahnungslosigkeit beruhen. Ein tieferer (Standbild-)Blick auf das von ihm ausgefüllte Formblatt entblößt gleich den nächsten Fauxpas: Als Geburtsjahr steht darauf 1844, dabei weiß doch jedes Kind Wikipedia, dass Karl May bereits im Jahre 1842 geboren wurde. Aber so schnell gebe ich mich noch nicht geschlagen! Beine hochlegen, Schock bekämpfen und weiter gucken! Als das Blut wieder in den Kopf zurückgekehrt ist, finde ich die Idee sogar irgendwie witzig, dass das „Großmaul“ Karl May tatsächlich einmal seine eigenen Abenteuer meistern muss. Getreu dem Motto „Alles neu macht der May“ modifiziert und revidiert der Film die Geschichte nach Leibeskräften. So ist Old Shatterhand also nicht mehr der ehrlich-direkte Zeitgenosse, welcher dem versoffenen Pöbel per Faustschlag die Leviten liest, sondern ein eher schwacher Charakter, der sich immer wieder herumschubsen lässt und nur selten seine namensgebende Schmetterhand einsetzt. Auch von der ursprünglichen Geschichte ist außer dem Feuerross und den Apachen nicht viel übrig geblieben. Lediglich der Charaktere hat man sich nicht entledigt und propft diese nun in ganz neue Rollen. Einen Strick kann man dem Film aber auch daraus nicht drehen, schließlich pflegten die Filme von Harald Reinl ebenfalls eine konsequente Verachtung gegenüber der Originalgeschichte. Karl May beginnt also einen Job bei einer Eisenbahngesellschaft zum Bau einer neuen Strecke. Auf der Baustelle regieren allerdings nur die harten Jungs, während das Management nur die Geschwindigkeit des Ausbaus interessiert. Als es nun darum geht das Land der Apachen zu durchqueren kommt es beim Vermessen zum ersten Kampf. May wird schwer verwundet von Nscho-tschi gerettet und kann einen Kompromiss zwischen den Indianern und der Gesellschaft aushandeln. Allerdings hat er die Rechnung ohne Rattler gemacht. Ich will hier nicht spoilern, aber die Handlung ist, gelinde gesagt, ausgesprochen einfach gehalten. Nicht, dass Karl May Geschichten übermäßig schwierig wären, aber hier wurde jegliche Komplexität aus der Handlung genommen. Diese läuft dann dazu auch noch übermäßig gemächlich vor sich her, dass man ohne irgendwelche Unterhaltungsabstriche beim Gucken gleichzeitig anderen Tätigkeiten nachgehen kann. Das einzige was irgendwie noch an die alten Zeiten erinnert, ist die berühmte Musik von Martin Böttcher (in einer Neuinterpretation von Heiko Maile) und das regelmäßige Einstreuen von bekannten Namen. Tangua, der im Original so mächtige Häuptling der Kiowa, wird so zum Beispiel zur Witzfigur am Rande. Der Westmann Sam Hawkins hat dagegen Glück und wurde als mit die interessanteste Figur des Films spürbar gegenüber den Klassikern aufgewertet. Intschu-tschuna und Winnetou spielen natürlich auch mit. Ersterer von Gojko Mitić dargestellt, welcher seine Sache sehr gut macht, dessen Charakter aber auch in dieser Verfilmung nur eine sehr geringe Halbwertzeit zugebilligt bekommt. Winnetou wirkt hingegen eher blass, scheint sich aber zu entwickeln, hat dafür ja auch noch fast zwei Teile Zeit. Spielen tut das alles in den unendlichen bewährten Weiten Kroatiens. Das passt, wir sind es ja nicht anders gewohnt. Die Apachensiedlung wirkt dagegen eine ganze Ecke realistischer, zumindest hausen die Mescalero Krieger stilecht in Tipi und Wikiup. Ebenso erwähnenswert ist, dass der alte Recke Mario Adorf in der dritten Folge mit an Bord ist, er darf, genauso wie schon 1963, den (oder besser "einen") Santer mimen, der diesmal einen bösen Junior verpasst bekommt und so zum Senior befördert wurde. Aber kann ich diesen Film jetzt empfehlen? Schwer zu sagen. Wenn man alle Vorurteile über Bord wirft, lässt es sich anstandslos konsumieren. Aber eigentlich fand ich ihn ziemlich langweilig. Gegen Ende gewinnt er nochmal an Fahrt und der Abgang Rattlers ist unzweifelhaft der Höhepunkt dieser weihnachtlichen Unterhaltung. Ansonsten ist es letztendlich nur neue Handlung in schöner Ausstattung mit immer wieder eingestreuten Bonbons für erfahrenere Seher. Vielleicht hält man die RTL Zuschauer auch nur schlicht für ahnungslos. Die Zeit der integren Helden, die ihre Unterschiede zum gegenseitigen Nutzen ergänzen, ist zumindest vorbei. Stattdessen gibt es die heile Welt, die von kulturlosen Einwanderern massiv bedroht wird und mittels Partisanenkrieg verteidigt werden muss. Das passt dann wahrscheinlich auch besser zum Weltbild einiger besorgter Zuschauer. Sören
|
- Sören Ney