oder (USA 2017) Regie & Drehbuch: David Lowery mit Casey Affleck, Rooney Mara
Kürzlich entschied ich mich nicht nur meine letzten Urlaubstage sondern auch noch meine Ersparnisse mittels eines USA Urlaubs zu verprassen. Geschädigt durch so einige Leidenstouren in der Flugröhre wählte ich diesmal einen Premiumanbieter, was sich als gute Wahl erwies. Unter anderem bot das Unterhaltungsmodul vor mir so manchen interessanten Inhalt und ich konnte so einige Mainstream Lücken schließen. So waren dann Alien: Covenant (besser als Prometheus, aber immer noch schlecht), das Ghost in the Shell Remake (langweilig – bin eingeschlafen) und The Dark Tower (sehr unterhaltsam, trotz öder Story) bequem abgehakt. Dann fiel mir ein irgendwie vertrauter Titel ins Auge: A Ghost Story. Zwar keine chinesische, aber das Interesse war sofort geweckt und da mein Bedarf an Mainstream mehr als erfüllt war, drückte ich auf „Play“. Eine goldrichtige Entscheidung, denn ich hatte wohl den skurrilsten Film des gesamten Bordprogramms gefunden! Zunächst der ewige Dreckshinweis, dass der Film „has been modified to fit to your screen“ Ääh nein, da steht ja „has NOT been modified“. Und tatsächlich, das Bild ist fast quadratisch, sozusagen 4:3, also richtig klassisch. Das ist doch schon mal ein spannender Anfang! Ein verliebtes Pärchen „M“ und „C“, ohne echte Namen, lebt in einem einsamen Haus, welches M nicht gefällt und sie daher lieber umziehen möchte. C findet das Haus aber toll, weil es ihm so viel Inspiration als Komponist gibt. Als sie ihn dann endlich zum Auszug überredet hat, ertönt in genau diesem Augenblick das Klavier im Nachbarzimmer. Eine plausible Erklärung findet sich nicht, aber da sie schon öfters seltsame Geräusche hörte, ist M überzeugt, dass es zu allem Überfluss in diesem Haus auch noch spukt. Bevor sie aber ausziehen können stirbt C bei einem Autounfall. M identifiziert ihn in der Gerichtsmedizin und bricht zusammen. In einer endlosen Einstellung erhebt sich C als Geist aus seinem toten Körper. Seine Erscheinungsform erinnert dabei aber eher an ein Halloween Kostüm als an das, was unsereins als Filmgeist gewohnt ist: Einfach ein Bettlaken mit zwei Löchern für die Augen übergeschmissen und voilà: fertig ist der Geist. Das sich öffnende Portal wird von ihm geflissentlich ignoriert und er geht lieber zurück zum Haus, um seiner Freundin beizustehen. Als Geist in der Rolle des teilnahmslosen Beobachters sind seine Möglichkeiten dabei allerdings ausgesprochen begrenzt und so steht er zumeist hilflos im Haus herum und beobachtet den Lauf der Dinge. Sie überwindet ihre Trauer, findet einen neuen Partner und zieht aus. Neue Bewohner kommen und gehen, beziehungsweise werden von C vergrault. Zeit hat für C keine Bedeutung mehr und so erlebt er als Gefangener der Ewigkeit die Vergänglichkeit allen Seins am nicht vorhandenen Leibe. Welch ein Film! Was für Bilder! Mit einfachsten Mitteln erschafft David Lowery einen eigenen Raum für seine Geschichte, welcher durch die Verschiebung der Zeitachse eine unglaublich poetische Note bekommt. Endlose Einstellungen und dieses eigentlich saublöde Kostüm verschmelzen zu einer tragikomischen Atmosphäre mit einer geradezu unendlichen Melancholie. Dabei geht eine besondere Faszination gerade durch die Nicht-Mimik des Geistes aus. So zum Beispiel als M nach Hause kommt und sich auf den von einer Freundin hinterlassenen Kuchen stürzt. In einer einzigen Einstellung stopft sie mehrere Minuten lang den Kuchen in sich hinein bis sie zum Klo rennt und alles wieder auskotzt. Er bleibt die ganze Zeit einfach nur da stehen. Wie eine bizarre Neu-Interpretation von Himmel über Berlin. Ob das Herumstehen unter einem Bettlaken nun eine angemessene Ausdrucksform für einen Oscar Preisträger ist kann man sicherlich kontrovers diskutieren. Aber auf diese Weise tatsächlich einer Figur Ausdruck zu verleihen ist definitiv bemerkenswert. Ja es ist einfach wunderbar endlich mal wieder einen Experimentalfilm zu sehen, der das Zeug hat auch ein größeres Publikum zu erreichen. Zuletzt hatte ich dieses Gefühl bei Lola rennt und Cloud Atlas, beides ja schon einige Tage her. Ein wichtiger Faktor meiner Begeisterung war natürlich die Situation im Flugzeug. Dieses sonore Grollen der Triebwerke und das Rauschen der Lüftung sind der Soundtrack einer Umgebung, die sich vor allem durch ihre Reiz- und Bewegungsarmut auszeichnet. Ohne Fluchtmöglichkeit ist man dem ausgeliefert was da ist. Und das ist nicht viel. In dieser Zeit des rasenden Stillstands entschleunigt der Geist und man ist gerne gewillt sich die Zeit für A Ghost Story zu nehmen. Dabei ist der Film keinesfalls zum Dahindösen geeignet. Trotz seiner Langsamkeit ist er knallhart was Plotpoints und Wendepunkte angeht. Was in Mainstream Krachern schon gerne mal dreifach erzählt wird ist hier sehr rationiert, sprich alles wird nur einmalig angeboten. Haste den Wendepunkt verpasst, musst Du sehen wie Du klar kommst. Alles geschieht langsam, aber dafür sehr emotional und dazu noch bei voller Aufmerksamkeit. Das ist schon ein sehr intensives Filmerlebnis. Vielleicht sollten die Fluggesellschaften mal überlegen, in ihrem Medienangebot auch eine Rubrik „Langstreckenfilm“ einzubauen. Filme für die man sich im gestressten Alltag viel zu selten Zeit nimmt, die aber gerade im Mikrokosmos eines Flugzeugs eine besondere Wirkung haben. Marketa Lazarova fällt mir da spontan ein, aber bei kurzer Überlegung gibt es wahrscheinlich noch jede Menge anderer Filme. Allein schon das Gesamtwerk von Wim Wenders böte hier so sicherlich einige Kandidaten. Daheimgebliebene können sich ab dem 7. Dezember A Ghost Story auch ganz ohne Flugzeug im Kino anschauen. Nicht kurzweilig aber extrem intensiv! Sören
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- Sören Ney
- Brainchops