Regie: Frantisek Vlácil Musik: Zdenek Liska Kamera: Bedrich Batka
Zur Zeit auf Tour durch die Programmkinos
Obwohl er gemäß einer Umfrage im Jahre 1998 als bester tschechischer Film überhaupt gilt, musste dieser Streifen aus dem Jahre 1967 fast 50 Jahre auf seinen Deutschlandstart warten. Dank der umtriebigen Genossenschaft „Drop Out Cinema“ kam er nun als restaurierte Digitalkopie in die Programmkinos. So eine Gelegenheit darf sich der Filmfan natürlich nicht entgehen lassen! Also unterbrach ich den Weihnachtsstress, um mir über 160 Minuten Kunstfilm in schwarz-weiß im tschechischen Original mit Untertiteln anzuschauen. Wider Erwarten war ich nicht alleine im Kino, schön zu wissen, nicht der einzige Verrückte in dieser Stadt zu sein! Die Handlung ist schnell erzählt. Zwei sich wahrlich nicht wohlgesonnene Familienklans im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Böhmen bessern ihr Einkommen durch Überfälle und Diebereien an Durchreisenden auf. Dabei erwischen die Kozlík jedoch einen designierten Bischof aus Sachsen und nehmen dessen Sohn gefangen. Dies wiederum ruft die königliche Staatsmacht auf den Plan, die nun zeigen will, wer letztendlich das Sagen in dieser Gegend hat. Mikolás vom Klan der Kozlík versucht nun eine Allianz mit der Familie Lazar einzugehen, wird jedoch bei seinem Besuch ordentlich verprügelt. Aus Rache entführt er Lazars Tochter, jene wunderschöne und titelgebende Marketa Lazarová. Zuhause angekommen stößt diese Entscheidung in der eigenen Familie allerdings auf wenig Begeisterung und die Ränkespiele sind eröffnet. Der Film beeindruckt mit unglaublich intensiven Bildern. Die karge Winterlandschaft wirkt, nicht zuletzt durch die harten Kontraste der schwarz-weißen Aufnahmen, unglaublich lebensfeindlich und entsprechend gezeichnet geben sich die Charaktere. Der ständige Überlebenskampf lässt keinen Platz für Kultur oder Zivilisation und so ist der Mensch des Menschen Wolf. Die Figuren sind derart in ihrem Egoismus verhaftet, dass sie quasi sehenden Auges auf die Katastrophe zusteuern. Genauso beeindruckend wie das Bild ist auch der Ton. Komplett nachvertont entwickelt sich eine seltsam sterile Stimmung. Dazu bedient man sich einiger dramaturgischer Kniffe um die „Distanz“ zum Bild zusätzlich zu erhöhen. Zum Beispiel klingen die Dialoge bei Aufnahmen aus der Totalen als stünden die Darsteller direkt vor einem. Bei Nahaufnahmen hingegen wirken Dialoge durch zusätzlichen Hall wiederum sehr weit entfernt. Die wenigen Geräusche werden reduziert, verfremdet und pointiert eingesetzt, so dass insgesamt eine zwar distanzierte aber trotzdem unangenehme Dichte entsteht. Dazu kommt noch die Musik! Zdenek Liska schuf mit seinem orchestralen Chorgesang ein echtes Meisterwerk, welches einen sofort in diese ferne Zeit und Welt eintauchen lässt. Kein Wunder, dass er im Laufe der Zeit zum Hauskomponisten des tschechischen Kinos wurde. So schuf er zum Beispiel den Score für den Leichenverbrenner und Odysseus und die Sterne über die ich eigentlich auch mal was schreiben könnte...aber ich schweife ab. Mit zunehmender Laufzeit wird die Inszenierung immer experimenteller. Unerwartete Bildkompositionen und Effekte erzeugen eine surreale Untermauerung des Wahnsinns. Viele spätere Klassiker des Kinos wie Ran, Excalibur oder Solaris wurden augenscheinlich von diesen Bildern inspiriert. Marketa Lazarová ist definitiv keine leichte Kost, sondern in seiner Art geradezu sperrig. Er erzeugt trotz oder vielleicht auch wegen seiner abstoßenden Bilder beim Zuschauer eine seltsame Art der Betroffenheit. Aber eigentlich ist das gar nicht so wichtig, denn vor allem ist der Film ein Fest für die Sinne! Jedes Bild ein Poster, jede Szene wird mit allen Wahrnehmungsorganen aufgesogen und am Ende ist es, als würde man aus einem euphorischen Rausch erwachen. Wahnsinn! Um diesen Film voll genießen zu können benötigt man auf jeden Fall eine große Leinwand und ganz wenig Ablenkung. Er ist einfach für den großen Saal gemacht. Scheiß auf drei D, vier K und fünf Liter Popcorn! Genau das hier ist Kino und ich bin überglücklich es erlebt zu haben! Nutzt die Gelegenheit so sie sich denn bietet! Und natürlich werde ich auf jeden Fall „Drop Out Cinema“ im Auge behalten. Die Tage bringen sie gerade Dario Argentos Opera uncut ins Kino . Auch etwas wovon wir früher nur träumen konnten. Sören
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- Sören Ney
- Brainchops