(GB, IR, USA 2017) Regie: Yorgos Lanthimos Drehbuch: Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippou Kamera: Thimios Bakatakis Musik: diverse Klassik Darsteller: Nicole Kidman, Colin Farrell, Barry Keoghan, ab 28. Dezember im Kino
2017 war kein schlechtes Jahr für die Fans des phantastischen und bot, neben den üblichen Pfeilern aus Superhelden und dem Star Wars Film des Jahres, auch einige interessante andere Produktionen, die recht erfolgreich liefen. Sei es nun intelligente Science-Fiction im Stile von „The Arrival“ oder „Blade Runner 2047“, hintergründiger Horror wie bei „Get out“ (der allerdings meiner Meinung nach zu sehr gehyped wurde), massenkompatible Gruselfilme wie „IT“ oder vielschichtige Dramen mit phantastischen Elementen wie „A Monster calls“ oder „Mama!“ – für Genreliebhaber gab es viel Grund zur Freude. Was ich allerdings noch viel mehr liebe als diese, doch recht hoch budgetierten, Studiofilme sind diese kleinen unangenehmen Filmchen, die auch mal dahin gehen, wo es weh tut und die es auch mal wagen gewohnte Erzählstrukturen zu durchbrechen oder erlernte Filmsprache zu Gunsten einer ganz eigenen Atmosphäre zu ignorieren. Filme also wie der vorliegende „The Killing of a sacred Deer“, der bereits zu Beginn ein lange totgeglaubtes Filmelement wiederbelebt und mit einer musikalischen Overtüre über einem Schwarzbild beginnt. Sozusagen ein Opernanfang untermalt von einem düsteren und getragenen (ich glaube) Schubert-Stück. Wenn in der Musik der Chor anschwillt geraten wir ins erste Bild des Filmes – eine Operation am offenen Herzen. Durchgeführt wird diese von erfolgreichen Herzchirurg Steven Murphy (Colin Farrell) den wir nach dem Eingriff näher kennen lernen, als er zusammen mit seinem Anästhesisten durch die unendlich langen Gänge eines Krankenhauses läuft und mit ihm Armbanduhren vergleicht. Bereits hier setzt beim Zuschauer erstmals eine Art Verwirrung ein. Die Kamera schwebt vor unseren Protagonisten in ungefähr 3 Meter Höhe, das Bild ist ein extremes Weitwinkel mit Fischaugenrändern, die Dialoge wirken irgendwie falsch, passen weder zur Dramaturgie des Bildaufbaus noch inhaltlich zu dem was man in dieser Situation erwarten würde. Nun lernen wir Stevens Familie kennen. Die Kinder Kim (Raffey Cassidy, die mir bereits in Tomorrowland positiv aufgefallen ist), die ihrem Vater sehr nahesteht und Bob (Sunny Suljic) der eher ein Mutterkind ist und natürlich seine Frau Anna (Nicole Kidman), mit der Steven abends dann seine nekrophilen Sexphantasien auslebt. Als wäre das noch nicht seltsam genug triffft sich Steven auch noch, eher heimlich mit dem seltsamen und ziemlich verstörten Teenager Martin (Barry Keoghan), zu dem er sich, aus nicht näher spezifizierten Gründen hingezogen fühlt. Als Steven dann feststellen muss, dass Martin ihn mit seiner Mutter (Alicia Silverstone in einer interessanten Gastrolle) verkuppeln will und außerdem Martins Vater auf seinem Operationstisch verstorben ist, will er den Kontakt abbrechen, was Martin dazu bringt eine Art Fluch auszusprechen. Von nun an wird der Film zu einer Tour de Force für den Zuschauer, die düstere Grundstimmung verdichtet sich von Minute zu Minute und immer wieder werden unsere Protagonisten vor nahezu unlösbare Aufgaben gestellt, denn der Fluch, der als erstes das jüngste Mitglied der Familie trifft führt über vier Stufen zum unausweichlichen Tod und ist medizinisch weder nachweis- noch –vollziehbar. Hier jetzt näher auf die Handlung einzugehen wäre ein Verbrechen am Leser, denn er bezieht seine innere Spannung durch die absolute Unvorhersehbarkeit der Ereignisse und die Art und Weise in wie fern sich unsere Potagonisten dadurch verändern. Getragen wird solch ein von Charakteren bestimmter Horrorfilm – und das ist er tatsächlich – natürlich von seinen Schauspielern und in dieser Hinsicht hat mich der heilige Hirsch dann doch etliche Male erstaunt. Zuerst einmal hervorheben muss man Nicole Kidman, die scheinbar immer dann am besten ist, wenn sie einer eher unsichtbaren Bedrohung ausgesetzt ist und dementsprechend die Fäden in die eigene Hand nehmen muss. Ob das nun ein Meisterwerk der Schönheits-OP ist oder einfach nur genetisch bedingt, sie scheint in den 18 Jahren seit „Eyes wide shut“ nur wenig gealtert zu sein, was besonders dadurch auffällt, dass Regisseur Yorgos Lanthimos sie ähnlich wie Kubrik filmt, aber dazu später mehr. Interessant ist die Darstellung von Colin Farrell, dessen untere Gesichtshälfte fast völlig von einem buschigen Vollbart verborgen ist. Er muss also alleine mit seinen Augen sämtliche Stadien von wütender Verzweiflung bis totaler Apathie und gewalttätigen Ausbrüchen spielen und das alles in einer eher kalten sterilen – ja schon fast kubrikschen – Umgebung, die die jeweiligen Emotionen nicht gerade unterstützt. Aber dazu kommen wir ja später. Die beiden Kinderdarsteller, der ungefähr zwölfjährige Sunny Suljic und die 15-jährige Raffey Cassidy sind ebenfalls sehr überzeugend und haben beide großartige Momente, in denen sie den Film komplett alleine tragen müssen, die Entdeckung des Filmes ist aber wohl Barry Keoghan. Der junge irische Schauspieler spielt den, anfangs noch nur etwas seltsamen, Martin, der sich im Laufe der Handlung zu einem gefährlichen Psychopathen entwickelt, mit einer Bravour und Intensität, die an einen frühen Robert deNiro zu Zeiten von „Mean Streets“ oder „Taxi Driver“ erinnert. Eine Szene, in der er Spaghetti isst und dabei von seinem Vater erzählt, wird mir wohl ewig in Erinnerung bleiben. Das ist unangenehmes Kino in seiner reinsten Form. Aber etwas anderes erwartet man ja eigentlich auch nicht, wenn Yorgos Lanthimos , der Regisseur von „The Lobster“ (2015) und „Dogtooth“ (2009) zusammen mit Efthymis Filippou, seinem Co-Drehbuchautoren der beiden Filme und Thimios Bakatakis, deren Kameramann zusammenarbeitet. So haben wir es hier mit einem Film zu tun, der optisch zumeist an Stanley Kubrik erinnert. Extreme Weitwinkeltotalen, teilweise mit Fischaugenlinsen verstärkt, ein eher als Rahmen fungierendes Set Design, ruhige lange Einstellungen, zumeist von tief unten oder hoch oben geschossen. Darin, eher wie Objekte zur Bildkomposition, die Schauspieler positioniert und das Ganze mit klassischer Musik unterlegt. Szenen, wie die in der Nicole Kidman in einem schwarz-weißen gemusterten Kleid in einen Raum tritt, dessen Wände und Fenster komplett mit demselben Stoff verhangen sind, sind zum Posterdrucken schön und davon gibt es etliche zu bewundern. Anders als Kubrik beherrscht Lanthimos auch die Sprache des Horrorfilmes, denn so schön „The Shining“, der ja Kubriks einziger Ausflug ins Horrorgenre bleiben sollte, auch anzusehen und so erschreckend er auch in einigen Szenen war, er blieb trotz allem an der Oberfläche und in Sachen Charakterentwicklung ist er gelinde gesagt eher dürftig geschrieben. „The Killing of a sacred Deer“ geht hier tatsächlich andere Wege und erzeugt bereits von der eingangs beschriebenen Eröffnung an beim Zuschauer ein Gefühl des Unwohlseins, da sich nichts so wirklich richtig anfühlt. Unterstützt wird das Ganze dann durch eine exzellente Musikauswahl bei der vor allem das Akkordeonstück „De Profundis“ heraussticht, das immer wieder auszugsweise fast schon sublim zu hören (oder zu ahnen) ist. Hier findet ihr den Youtube-Link, aber nehmt euch wirklich mal etwas Zeit und hört Euch das unter Kopfhörern an. Zusammen mit dem beeindruckenden Sounddesign des gesamten Filmes und der Kraft seiner Bilder steht Euch somit ein wirklich grauenhaftes Filmerlebnis bevor. Natürlich ist der Film kein Splatterepos. Er hat sicherlich die ein oder andere wirklich schmerzhafte und blutige Szene, aber der wirkliche Horror entsteht halt durch die Interaktion der Figuren und ihre ständig wechselnde geistige und körperliche Verfassung. Da der Film natürlich hauptsächlich die Angst vor dem Verlust der eigenen Kinder zum Thema hat, wird er höchstwahrscheinlich bei jungen Menschen zwischen 12 und 18 Jahren weniger gut funktionieren. Nein, es hilft auch nicht, wenn ihr 16 seid und bereits zwei Kinder habt, denn wer Verhütung nicht versteht wird dem Film ebenfalls nicht folgen können und außerdem müsstet ihr den Kinotermin vorher mit RTL2 absprechen, damit das Kamerateam nicht alleine vor Eurer Messiewohnung sitzt. Also, kaum Splatter, keine Jumpscares, keine tollen Digitaleffekte, keine Hans Zimmer-Nebelhörner und kein Hackmesser-Editing. Trotzdem ist „The Killing of a sacred Deer“ einer der besten Horrorfilme des Jahres, gerade weil er beweist, dass es auch heutzutage noch möglich ist, das Grauen beim Zuschauer durch eher unterbewusste Reize auszulösen. Es stellt sich halt nur die Frage, ob ein Zuschauer bereit ist, sich darauf einzulassen, der bereits vor zwei Wochen mit dem, erheblich konventioneller erzählten, „Brimstone“ nichts anzufangen wusste. EDdies, die meinen Filmgeschmack kennen werden wissen, ob „The Killing of a sacred Deer“ für sie geeignet ist, allen anderen empfehle ich noch ein Blick in den verlinkten Trailer und das Interview mit Regisseur Lanthimos und Colin Farrell, in dem allerdings bereits mehr verraten wird als in meiner Kritik. Dia
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