SPOTLIGHT (2015)
Es vergeht wohl kaum ein Jahr, in dem es nach der Oscar-Verleihung nicht bei einigen Zuschauern und Filmfans zu erstauntem Kopfschütteln kommt. Im Jahr 2016 waren es sogar zwei Auszeichnungen, die für erstauntes Entsetzen sorgten. Da war zum einen die Statue für den besten Song, die an die Jammerhymne zum neuen James Bond Film „Spectre“ ging. Nicht nur das der Song als solches ein furchtbares und fast unerträgliches Gedudel ist, der Auftritt des Sängers und Songwriters zu Beginn der Veranstaltung war dermaßen unangenehm, dass man sich wünschte mit plötzlicher Taub- und Blindheit geschlagen zu werden. Doch der Aufreger des Jahres war es – zumindest wenn man den Posts in den diversen sozialen Netzwerken Glauben schenkt – das der Goldjunge für den besten Film an das Drama „Spotlight“ ging, dass einen Mißbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Boston, oder besser dessen Aufdeckung durch ein Journalistenteam des Boston Globe behandelt. Also habe ich mich dann gestern nachmittag nach langer Zeit mal wieder in eines der örtlichen Arthousekinos begeben und mir das Werk von Tom McCarthy (der eigentlich eher als Schauspieler bekannt ist) angesehen. In der kuscheligen Holzklassen Atmosphäre, umgeben von „Was mit Medien“-Menschen entfaltete sich auf der Fernsehgroßen Leinwand ein überaus interessantes und erfreulich unaufgeregt inszeniertes Reporterdrama. Das vierköpfige Spotlight-Team (Enthüllungsreporter im besten Sinne des Wortes) wird auf einen Fall angesetzt, in dem ein Priester, der mehr als 80 Kinder missbraucht hat, nicht etwa seines Amtes enthoben und bestraft wurde, sondern nur in eine andere Diözese versetzt und wieder in die Jugendarbeit integriert wurde. Erst durch die Nachforschungen des Teams entfaltet sich die wahre Größe des Skandals. Gedeckt durch Kirche und Kirchengesetz ist diese zynische Praxis, bei der die Eltern der Opfer mit Geldbündeln zum Schweigen gebracht und die Täter mit einer neuen Arbeitstelle belohnt werden im Boton der späten 90er nicht die Ausnahme sondern die Regel. Mehr als 80 Fälle umfasst die Liste der kirchlich gedeckten Verbrecher, die dem Spotlight Team in die Hände fällt. Der Zuschauer bekommt die Geschichte sehr faktenorientiert und komplett aus der Sicht der Reporter präsentiert, auf düstere Bilder keuchender und schwitzender Priester, die sich in dunklen Kirchenecken über unschuldige Kinder hermachen wird bewusst verzichtet. Das macht die Ausmaße des wirklichen Skandals nicht leichter zu ertragen, wirkt aber bedeutend realistischer und ehrlicher. Hier geht es den Filmemachern nicht darum mit Schock und Schlock möglichst viele Leute ins Kino zu locken, sondern nur darum eine interessante Geschichte zu erzählen und gleichzeitig die Finger in eine offene Wunde zu legen. Somit ist allerdings auch klar, dass sich visuell nichts Außergewöhnliches in dem Werk finden lässt, der Stil ist teilweise schon fast zu dokumentarisch, der Film nahezu klinisch in seinem Versuch nicht zu emotional zu werden. Auf Actionelemente und Thrill verzichtet das Drehbuch von Josh Singer und Tom McCarthy vollkommen, selbst ein „Rennen gegen die Zeit“ zum Ende des Filmes hin, wird eher als komische Nummer inszeniert. Schauspielerisch hingegen wird ganz großes Kino geboten. Ex-Batman Michael Keaton beweist, nach seiner herausragenden Comeback-Performance in „Birdman“ im letzten Jahr, wieder einmal, dass er zu den ganz großen gehört und Mark (Hulk) Ruffalo zeigt mehr als nur wütendes Gegrunze und entwickelt sich im Laufe der Handlung als der wirkliche Hauptdarsteller. Auch der Rest des Casts (u.a. Rachel McAdams, Liev Schreiber und John Slattery) ist durchweg überzeugend. Da es sich um ein Reporterdrama handelt in dem es um die Aufdeckung eines grossen Skandals geht, kommt dem Zuschauer natürlich der Vergleich mit Alan J. Pakulas Meisterwerk „All the president´s men/Die Unbestechlichen“ (1976) in den Sinn, in dem Robert Redford und Dustin Hofmann die beiden Reporter spielten, die den Watergate Skandal aufdeckten. Dieser Vergleich ist allerdings unfair, denn der Klassiker war durchaus im Thriller-Genre einzuordnen, wobei bei „Spotlight“ das Hauptgenre doch eher das klassische Doku-Drama ist. „Spotlight“ ist somit sicher ein toller und auch wichtiger Film, aber hat er wirklich den Oscar als „Bester Film des Jahres“ verdient? Die einfache – und massentaugliche - Antwort ist sicher ein eindeutiges Nein, denn rein von der technischen Seite bietet der Film nichts Außergewöhnliches. Er ist kompetent inszeniert, großartig gespielt und erzählt seine Geschichte nachvollziehbar, bewegt sich aber ansonsten eher auf mittelmäßigem Niveau. Aus diesem Blickwinkel ist er natürlich keine Konkurrenz für kreative Meisterleistungen wie „Mad Max“ oder die visuelle Pracht eines „The Revenant“. Auf der anderen Seite haben wir es hier aber auch mit einem Werk zu tun, das die Finger in eine offene Wunde legt und diese aufreißt, ohne sie am Ende mittels Zuckerguß wieder zu schließen. Ganz im Gegenteil werden nach dem eigentlichen Ende der Handlung noch einige Texttafeln eingeblendet, die verdeutlichen, dass die eigentliche Geschichte noch weit von einem Ende entfernt ist. „Spotlight“ ist ein überaus wichtiger – und auch mutiger – Film und dieser Oscar, der anerkannter Weise der wichtigste der ganzen Veranstaltung ist – wird zumindest dafür sorgen, dass ihn noch viel mehr Leute sehen werden. Und den meisten dieser Zuschauer wird das Ausmaß dessen, was in der katholischen Kirche hinter verschlossenen Türen und geschützt von eigenen Gesetzen abläuft, neu sein. Vielleicht wird der ein oder andere dieser Zuschauer dann auch beginnen sich offen dagegen zu positionieren. Auch kleine Schritte können zum Ziel führen. Deshalb respektiere ich diese unpopuläre Entscheidung der Academy, die zwar komplett am ursprünglichen Sinn der Veranstaltung (Selbstbeweihräucherung der Filmindustrie) vorbeiläuft, aber zeigt, dass sich dort tatsächlich etwas ändert. All die netten Witzchen über die übersehenen schwarzen Schauspieler und die flammende Rede der Academy Präsidentin bei der diesjährigen Veranstaltung, waren nur durch die schlechte Vorabpresse nötig und möglich geworden, die Auszeichnung von „Spotlight“ als bester Film des Jahres war eine freiwillige Entscheidung der Mitglieder der Academy, eine Entscheidung, die ich nach dem Sehen des Filmes für sehr mutig und außergewöhnlich – ja und auch richtig halte. dia |
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