(GB/USA 1985) Regie: Tobe Hooper Buch: Colin Wilson, Dan O'Bannon, Don Jakoby Musik: Henry Mancini Darsteller: Steve Railsback, Mathilda May, Peter Firth, Frank Finlay, Patrick Stewart
Man kann darüber streiten, ob „Poltergeist“ - Tobe Hoopers erste Großproduktion nach einer Reihe von kleinen und gemeinen Splatterklassikern – die Zähmung einer anarchisch-zornigen Regiehoffnung darstellte. Ob sich erneut ein talentierter Mann geblendet von Geld und Erfolg an die Unterhaltungsmaschinerie verkaufte, um fortan nur noch Grütze zu fabrizieren. Oder darüber, dass möglicherweise die budgetbedingt ungeschliffene Machart von „The Texas Chain Saw Massacre“ dazu verleitet hatte, das Können Hoopers gründlich zu überschätzen bzw. ihm einen aggressiv-ruppigen Stil zu attestieren, der tatsächlich lediglich den Umständen geschuldet war. Sehr aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die drei Filme, die Hooper nach „Poltergeist“ für Golan-Globus ins Rennen schickte und die – trotz überwiegend negativer zeitgenössischer Kritiken – belegen, dass Hooper vor seinem Abstieg in den Low-Budget-Bereich durchaus in der Lage war, auch im Rahmen einer größeren Produktion verstörende Akzente zu setzen. Am interessantesten ist hierbei der voll auf Blockbuster konzipierte „Lifeforce“, der ähnlich wie auch der kurz danach entstandene, weitaus zahmere „Invaders from Mars“ gewissermaßen sowohl als Bestätigung als auch als Kritik am Spielbergianismus bzw. den inneren Gesetzmäßigkeiten des Blockbusterkinos funktioniert. Zwar ist es durchaus zutreffend, dass insbesondere in „Lifeforce“ Hoopers radikale Ansichten zur Ideologie des Amerikanismus (insbesondere zum Mythos von der nuclear family, den er später in „Spontaneous Combustion“ wortwörtlich auf die Schippe nahm) zurücktreten und der aufgefahrene technische Bombast (Spezialeffekte von John Dykstra) eine deutliche Konzession an das „Star Wars“-verwöhnte Science-Fiction-Publikum darstellen – doch andererseits sprengt Hooper an manchen Stellen sämtliche Restriktionen, die eine auf Massentauglichkeit und leichte Konsumierbarkeit getrimmte Produktion für gewöhnlich mit sich bringt. Bei Spielberg oder Lucas wäre es jedenfalls schlicht undenkbar, dass die weibliche Hauptdarstellerin den Großteil der Laufzeit nackt bestreitet. Genau das aber tut Mathilda May, denn die hübsche Nudistin ist ein bösartiger Vampir, den es auf die Erde verschlagen hat, und spätestens nach drei Filmen von Jean Rollin oder Jess Franco sollte sowieso jedem klar sein, dass nackte Frauen generell das Gefährlichste sind, dem Mann begegnen kann (auch wenn sie wie Irina von Karnstein Umhang und Boots zum Busch tragen, um im nebligen Wald gegen die Kamera zu laufen – das war jetzt ein Exkurs, aber diese Szene ist einfach zu putzig um sie nicht zu erwähnen)[1]. Angeschleppt hat diesen wirklich überaus hübsch anzusehenden Vamp, der eine Menge Glasscheiben zum Bersten bringt[2], dabei aber selbstverständlich nicht gegen die Kamera läuft, der Astronaut Carlsen (Steve Railsback), der ja eigentlich den alle Jubeljahre einmal in Erdnähe vorbeizischenden Halleyschen Kometen erforschen sollte. Dumm nur, dass sich dort a) ein fremdartiges Raumschiff befand und b) die größtenteils bereits vertrockneten Passagiere Energieräuber der schlimmsten Sorte sind, denn die Obervampirin hat sich flugs den Körper von Carlsens Traumfrau gegeben, um ihn und das Publikum mit schnuckeligem Äußeren (und zuweilen auch Spiralkontaktlinsen) über ihre bösen Absichten hinwegzutäuschen. Und diese sind wahrhaftig apokalyptisch: in Analogie zur gelehrten These, dass der Vampirstoff seit „Dracula“ eine Metapher für Geschlechtskrankheiten darstellt, breitet sich schon bald eine unaufhaltsame Vampir-Epidemie aus, London versinkt im Chaos und es droht das Ende der Welt.
[Kleine Kunstpause, damit Emanzen, Verklemmte und Gendermainstreamer laut „Sexismus!“ rufen können.]
Jaja, irgendwie stimmt das schon. Ähnlich wie die europäischen Schmuddelfilmer taucht Hooper unter dem Feigenblatt eines Science-Fiction-Films sehr tief in den Bereich sexueller Obsessionen ab. Und wie seine Kollegen verdreht er zwar den Vampirstoff in sein feminines Gegenteil (statt des sexuell fordernden Aristokraten droht die femme fatale), belässt es aber gleichzeitig bei der reichlich unfeministischen Objektifizierung der Frau, denn das space girl ist zwar gewissermaßen eine außer Kontrolle geratene Sexfantasie Carlsens, doch sowohl inhaltlich als auch formal geht es um ihre Bändigung.
Der Plot schreibt ihre Pfählung vor, die Inszenierung hingegen stellt zum Entzücken des männlichen Publikums ihren Körper aus, obwohl es rein inhaltlich keinen Grund für ihr nichtvorhandenes Outfit gibt (außer natürlich, das Budget war nach der opulenten Weltraumsequenz dermaßen erschöpft, dass man an Kostümen sparen musste, wer weiß?). Doch bevor mein Review jetzt endgültig zu einer Analyse von Mathilda Mays Brüsten verkommt (gelobt sei die Pausenfunktion von Video- und DVD-Playern), widmen wir uns besser dem Rest vom Fest. „Lifeforce“ ist trotz aller Kritikpunkte wesentlich besser als sein Ruf. Zwar kann man nicht nur „Sexismus!“ rufen, denn so manche Absonderlichkeit wie das britische (!) Raumfahrtzentrum in London ist ebenfalls ziemlich gewöhnungsbedürftiger Zucker für den Logikaffen, doch ist der Tonfall des Films insgesamt sehr ernst und düster und gegen Ende kommt sogar der wohlige Schauer einschlägiger Zombiefilme über den Zuschauer. Die vom space girl angefallenen Menschen verschrumpeln nämlich unter gewaltigen elektrischen Entladungen zu Mumien, nur um sich nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne wieder zu erheben und ihrerseits nach Opfern zu suchen, denen sie die Lifeforce abzapfen können, so dass im Film bald alles drunter und drüber geht und sogar der britische Premierminister seiner Sekretärin hinterdrein hechelt. Ein sehr schöner Einfall ist dabei, dass das Alienschiff im Kometen als regenschirmartiger Kollektor funktioniert, der die freigewordene Lebensenergie bzw. wenn man so will die Seelen der Menschen aufsammelt. Zwischendurch hat dann sogar noch Captain Picard einen Gastauftritt, denn schlau wie space girls nun mal sind lockt die nackige Mathilda ihre Verfolger auf einer falschen Fährte in ein von Patrick Stewart geleitetes Irrenhaus, um dort ein wenig Besessenheits-Unfug zu veranstalten damit sich währenddessen die Vampirplage ungestört entfalten kann. Diese Vampire bzw. Mumien sind übrigens wirklich unheimlich anzusehen, ausgemergelte Gestalten mit großen Kulleraugen, die in staubigen Wolken explodieren wenn sie kein Futter bekommen. Obendrein gibt es sogar noch einige obligatorische Headshots oder einen abgetrennten Arm zu sehen, womit der Gewaltpegel zwar nicht übermäßig blut- bzw. in diesem Fall staubrünstig daherkommt, der Film aber trotzdem auch in dieser Hinsicht definitiv nichts für Kinder ist. (An dieser Stelle ein kleines Dankeschön an meinen Vater, der mich das mit 12 oder 13 Jahren anschauen lies, „Lifeforce“ war damals wirklich eine filmische Offenbarung). Vom technischen Standpunkt und auch mit Blick auf den Spannungsaufbau kann man jedenfalls ohne zu prahlen von Tobe Hoopers bestem Film sprechen. Zwar ist er nicht ganz so intelligent wie die literarische Vorlage von Colin Wilson,[3] der statt auf Sexismus ganz im Sinne seiner existenzialistischen Auseinandersetzungen mit dem Sozialtypus des Außenseiters[4] eher auf den philosophischen Gehalt des Vampirmotivs bzw. der Kriminologie allgemein abzielte und „Lifeforce“ aufgrund der Trivialisierung seines Romans mal so richtig übel fand; aber abgesehen von diesem für Hollywood typischen Vorgehen („Wir behalten die Namen einiger Hauptfiguren und schmeißen den Rest weg!“) kann man bestenfalls bemängeln, dass es sich im Kern „nur“ um einen sehr teuren Exploitationfilm handelt. Allerdings um einen sehr ungewöhnlichen Vertreter seiner Gattung, da es Hooper gelingt, „Lifeforce“ in jeder Einstellung seriös wirken zu lassen. Hier sind insbesondere die Weltraumszenen zu Beginn zu erwähnen, die auch aus „2001“ stammen könnten, mit sorgfältigen Modellen und ungewöhnlichen Perspektiven, die das Gefühl der Schwerelosigkeit (und damit auch den traumartigen Schwebezustand zwischen Angst und Lust, in dem sich Carlsen befindet und der sich durch den gesamten Film zieht) vermitteln. Innerhalb dieses Rahmens so gut wie alles aufzufahren, wovor das Kommerzkino üblicherweise zurückschreckt und dabei trotzdem nicht vollends in die Schmuddelecke von Softpornos und Zombiegeschmodder abzugleiten ist einfach eine reife Leistung. Nur wurde sie dummerweise an der Kinokasse nicht honoriert, so dass Hooper mit „Invaders from Mars“ und „Texas Chainsaw Massacre 2“ die Verbindung von „sicherer“ Unterhaltung und hartem Horror wieder auflöste bzw. auf zwei Filme verteilte, die völlig unterschiedliche Zielgruppen ansprachen. Danach ging es mit seiner Karriere leider vollends bergab (wer „The Mangler“ kennt, weiß was ich meine). Inzwischen scheint „Lifeforce“ jedoch seine Fans gefunden zu haben, ärgerlich ist nur, dass in Deutschland bisher immer nur die reguläre Kinofassung veröffentlicht wurde. Zwar bietet der Director’s Cut größtenteils lediglich mehr Dialogszenen mit ausführlicheren Ausführungen über Vampire, aber es wäre schon nett, wenn man ihn im Rahmen der „Horror Cult Uncut“ (!) Reihe mit auf die Scheibe gepackt hätte. Denn die teuren Mediabooks aus Österreich bringen den Geldbeutel zum Schrumpfen wie Mathilda May ihre Opfer.
Alexander
[1] Zu sehen in „La comtesse noire“ aka „Female Vampire“ [2] Zur freudianischen Dimenson zerdepperter Fenster konsultiere man Argentos „Suspiria“ oder „Inferno“ – in letzterem wird die Scheibe sogar zur Guillotine umfunktioniert. [3] „The Space Vampires“, deutsch als „Vampire aus dem Weltraum“, Ullstein 1980 [4] Eine Auseinandersetzung, die neben dem lesenswerten Sachbuch „The Strength to Dream“ auch die für Cthulhu-Jünger interessante Erzählung „The Return of the Lloigor“ (erschienen in „Hüter der Pforten“, Lübbe 2003) hervorbrachte, weil der große H. P. Lovecraft nuneinmal der außenseiterischste aller Außenseiter war.
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