Das schwarze Reptil (GB 1966)
Regie: John Gilling Drehbuch: Anthony Hinds Darsteller: Noel Willman, Jennifer Daniel, Ray Barrett, Michael Ripper
Abseits der lukrativen Dracula- und Frankenstein-Reihen unternahm man in den Hammer-Studios gerne auch Kurzausflüge in die etwas obskureren Horror-Territorien. John Gilling reiste 1966 sogar bis in die entferntesten Winkel des britischen Empires, um mit einem bissigen „Schwarzen Reptil“ im Handgepäck wieder nach Cornwall zurückzukehren. Dort drehte er dann gleich auch noch simultan sowohl „The Reptile“ als auch „Plague of the Zombies“, so dass sich diese beiden Filme die Außenaufnahmen, Sets und auch einige Schauspieler (Jaqueline Pearce und Michael Ripper) teilen müssen, ohne unter dieser ökonomischen Arbeitsweise zu leiden. Tatsächlich ist „The Reptile“ sogar ein sehr gelungener Film, der bei genauerem Hinsehen viel über die gesellschaftlichen Umwälzungen der späten 60er Jahre zu erzählen hat, obwohl man die Handlung irgendwann im 19. Jahrhundert verortete weil Kutschen, Spazierstöcke und Zylinder nunmal in einen Hammer-Film hineingehören. Und auch die Geschichte selbst steht zunächst ganz in der Tradition des inzwischen nostalgisch wirkenden gothic horrors: nach einer Teasersequenz, in der bereits in kustvoller Verdichtung das Grundmotiv des Zuviel-Wissens entfaltet wird (ein Mann findet etwas heraus, der Mörder ist ihm jedoch bereits auf den Fersen, die Warnung vor dem Öffnen der Tür – solche symbolischen Schwellen zu überschreiten ist nun mal eine äußerst riskante Angelegenheit – kommt zu spät und prompt erfolgt das vorzeitige Ableben) erfolgt eine Erbschaft mit dem obligatorischen Haken an der Sache. Denn Captain Spalding (ohne u!), der Bruder des Verstorbenen, erhält nicht nur dessen Haus sondern bekommt obendrein ein kniffliges Rätsel auferlegt. Immerhin gilt es aufzuklären, was im beschaulichen Clagmoor Heath nicht stimmt bzw. weshalb die Leute dort eine eher kurze Lebenserwartung genießen. Dass die restliche Dorfbevölkerung den Neuankömmlingen (Spalding hat noch seine Frau und die Miezekatze mit im Schlepptau) bestenfalls feindselig gegenübersteht, das geerbte Haus durchsucht und deshalb in eher unordentlichem Zustand zurückgelassen wurde und auch die direkten Nachbarn dem Menschenschlag der ominösen Sonderlinge zuzurechnen sind, macht die Angelegenheit für den Captain nicht einfacher. Sobald er den örtlichen Pub betritt haben es alle Anwesenden ziemlich eilig, woanders zu sein, und Dr. Franklyn (Noel Willman), der als Theologe fernöstliche Geheimbünde erforschte, überspielt das genretypische düstere Familiengeheimnis mit dominantem Patriarchengehabe. Als etwas freundlicher hingegen erweisen sich der nach kryptischen Andeutungen ins Gras beißende Dorfdepp, der Betreiber des örtlichen Pubs (Ripper) und die unterdrückte Tochter von Dr. Franklyn (Pearce), so dass die Spaldings am Ende doch noch Licht ins Dunkel bringen können – so viel, dass gleich das ganze Herrenhaus dabei abbrennt. Da es in „The Reptile“ sowohl inhaltlich als auch formal hauptsächlich um Mysterien und ihre Enthüllung geht spreche ich übrigens hiermit vorsorglich eine dicke SPOILERWARNUNG aus, damit sich nach der weiteren Lektüre niemand beklagen kann. Das Geheimnis des Dr. Franklyn hat es jedenfalls in sich: nach Ansicht einer malaiischen Sekte ist der arrogante Theologe nämlich zu tief in die Mysterien des fernen Ostens vorgedrungen, so dass man als Strafe seine Tochter in eine Schlangenfrau verwandelte. Außerdem zieht im Hause Franklyn nicht das gestrenge Familienoberhaupt die Strippen, sondern ein Malaie, der sich in der Maskerade des Butlers gefällt und damit die Machtverhältnisse auf den Kopf stellt. Und auch die klassische Verteilung der Frauenrollen erfährt eine eigenwillige Neuinterpretation, denn obwohl wie allzu oft die Blondine auf die exotische Dunkelhaarige trifft, bürstet Gilling die erwarteten Klischees kräftig gegen den Strich. Mrs. Spalding (Jennifer Daniel) agiert erstaunlich selbstbewusst, sie lässt sich von ihrem Mann bei der Hausarbeit helfen (das war im typischen 60er-Jahre-Haushalt keineswegs die Norm), stellt auf eigene Faust Nachforschungen an und hat obendrein ein Herz für Tiere. Die kurze Szene, in der sie eine aufgestellte Falle entschärft ist einer der vielen in den Film hineingemogelten Belege für die Änderungen im Zeitgeist, die spätestens 1968 als Studentenunruhen, sexuelle Revolution oder Umweltschutzbewegung offen zu Tage treten sollten. Daneben hat Jaqueline Pearce als Schlangenfrau zwar die interessantere, letztlich aber auch die undankbarere Rolle. Unter der (aus heutiger Sicht nicht mehr so recht überzeugenden) Maske litt sie unter Klaustrophobie und obwohl Anna Franklyn einige Morde begehen darf bleibt sie – anders als die meisten femme fatales – letztlich ein Opfer. Zwar hat der Fluch vergleichbar mit den durch die Erwähnung der afrikanischen Leopardenmenschen zitierten „Cat People“ eine überdeutliche sexuelle Komponente, doch anders als im Tourneur-Klassiker bleibt Anna auch nach ihrer Verwandlung unter der Kontrolle des Malaien. In menschlicher Gestalt hingegen ist sie so hoffnungslos unter der Knute des Vaters, dass sie ihr Opferdasein gar nicht erst in Frage stellt. Deutlich wird dies im Dialog mit Mrs. Spalding: Anna zeigt ihr ihren kleinen „Zoo“ (sie hält eine Unzahl kleiner Tiere in Käfigen gefangen – vordergründig weil sie Tiere liebt, tatsächlich aber wohl auch, weil Schlangen Lebendnahrung bevorzugen), woraufhin die Proto-Peta-Aktivistin beklagt, dass die Tiere nicht in Freiheit gehalten werden. Anna reagiert darauf sichtlich ratlos, gewissermaßen hat sie gar kein Konzept von Freiheit bzw. versteht nicht, dass man auch außerhalb des engen gesellschaftlichen Korsetts leben kann, in das ihr Vater sie geschnürt hat. Ein Korsett übrigens, das auch mit inzestuösen Untertönen daherkommt, wenn sich Anna später auf der Sitar wie ein psychedelic-rockender Hippie bei zuviel „Sgt. Pepper“ und „Satanic Majesties Request“ in Ekstase spielt, dem Doktor lüsterne Blicke zuwirft und damit einen überaus heftigen Ausraster des ohnehin wenig selbstbeherrschten Herrn des Hauses provoziert. Diese mehr als unterschwellige sexuelle Spannung führt für Anna aber nie zur Souveränität, stattdessen ist sie nach der Tierverwandlung ein Werkzeug des Malaien, dessen eigentliche Ziele leider nie ganz klar werden. Rache an Dr. Franklyn ist ja schön und gut, aber warum bringt Anna diverse Dörfler um? Für eine unheimliche Atmosphäre, die das Jekyll & Hyde-Motiv bzw. den Werwolf (genauer: die Werschlange) und durch Bissmale am Hals auch eine Prise Dracula ins Spiel bringt, sind einige Morde ja durchaus zuträglich, aber dass hinter der Sache nicht noch ein wenig mehr steckt bleibt ein kleiner Makel des Films. Denn gerade der postkolonialistische Subtext, den dieser aus der Fremde importierte Fluch mit sich bringt, hätte u. U. sogar noch ein wenig Verschwörungsparanoia verbreiten können wenn man der Frage, ob sich sinistre Kulte aus den Randzonen des Empires bereits im Herzen Großbritanniens angesiedelt haben, nachgegangen wäre. Stattdessen bleibt „The Reptile“ in diesem Punkt ein wenig simpel. Die Begegnung des arroganten Westens mit dem okkulten Fremden führt zwar zur Verwandlung bzw. zur Freisetzung destruktiver Sexualität (die Schlange zischelt ja schon aus den Seiten des Alten Testaments) und setzt schließlich einen Selbstzerstörungsmechanismus der patriarchalen Ordnung in Gang – letztlich bleibt aber alles beim nicht ganz so Alten, da die Spaldings obwohl das Rätsel am Ende gelüftet ist keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn verzeichnen bzw. sich charakterlich nicht weiterentwickeln. Vielmehr scheint es die Aufgabe dieses bereits zu Beginn des Films sehr modern gezeichneten Ehepaars, im Laufe von „The Reptile“ lediglich noch einmal die Fehler der vorangegangenen Generation zu reflektieren, was sehr schön in der Sequenz gestaltet wird, in der der Captain ins Haus der Franklyns eindringt. Im Grunde genommen wiederholt sich nochmals, was bereits der Bruder am Anfang erlebte; mit dem Unterschied, dass der Captain nach dem „Biss der Schlangenfrau“ mit dem Schrecken davonkommt, weil seine Frau entschlossen genug ist, die Wunde rechtzeitig aufzuschneiden um das Gift abfließen zu lassen. Dadurch nimmt Gilling bereits die Krise vorweg, in deren Verlauf der klassische Horror nach und nach vom Zeigegestus der Splatterfilme übertrumpft wurde. Für die „alte“ Generation brachte die finale Enthüllung, die ja immer mehr oder weniger sexueller Natur war, noch sofortigen Wahnsinn und Tod, spätestens nach 1968 hingegen konnte das angestaubte Inzestmotiv nicht mehr schockieren, was „The Reptile“ in gewissem Sinne zu einem Übergangsfilm macht. Die Angst vor dem Fremden war zwar noch da, gleichzeitig wählte man jedoch (Orts-)Fremde, die wie Captain Spalding und der Pub-Betreiber schon in der Welt herumgekommen sind, als Sympathieträger, wohingegen die ausschließlich männlichen Einheimischen (im Film gibt es nur zwei Frauen) den ganzen Tag untätig beim Bier zu sitzen scheinen. Eine Lösung der Probleme, die der kulturelle Austausch im Commonwealth mit sich brachte, war scheinbar nur noch der progressiven, weltoffenen Jugendgeneration zuzutrauen, die Konservativen hingegen – egal ob britisch oder aus den Kolonien – scheitern in „The Reptile“ kläglich, da sie die jeweils anderen nur als Objekt (der wissenschaftlichen Erforschung bzw. der magischen Manipulation) akzeptieren. Doch auch abseits dieser politischen Überlegungen ist „The Reptile“ eine solide Arbeit. Die Besetzung ist sehr übersichtlich (im Grunde genommen besteht sie aus sieben Personen) wodurch sich der Film auf das Wesentliche konzentriert, dazu gibt es einige ausgebuddelte Leichen, einen ziemlich unerwarteten Schockeffekt wenn das Reptil zum ersten Mal zu sehen ist, die Hammer-Typischen Kostüme und Interieurs sowie als nettes Schmankerl noch die blubbernden Schwefelquellen unter dem Franklyn-Anwesen, was „The Reptile“ zu einem weiteren sehenswerten, bunten Horrorbeitrag der Hammer-Studios macht. Außerdem ist noch der stimmige Musikeinsatz zu erwähnen, denn neben der Sitar-Nummer, während der man ständig darauf wartet, dass Mick Jagger endlich „Paint it Black“ anstimmt ertönt bei den Auftritten des Reptils noch ein orientalisches Flötenspiel, das die leicht psychedelische Atmosphäre der Swinging Sixites ins muffige Cornwall des ausgehenden 19. Jahrhunderts bringt. Alexander
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