Mother: Und plötzlich wird der Boden Schwarz
Disclaimer: Das hier wird kein Review! Sollte man trotzdem das Bedürfnis haben, sich den Film zu versauen, dann gibt es im Internet bestimmt genug andere Webseiten, die den Job gerne übernehmen. (Einfach mal „Kino“ in die Googlesuchleiste eingeben.) Jedenfalls werde ich den Film im Kontext eines Lesers, welcher den Film gesehen hat, besprechen. Ab hier gilt folglich eine massive SPOILERWARNUNG
Was Darren Aronofsky als Filmemacher in der Kunstform relevant macht, ist eine distinktive Abneigung gegenüber dem Offensichtlichen. Der Mann würde sich wahrscheinlich lieber ein Bein ausreißen, als eine klassische Expositionszene in seine Filme einzubauen. Falls ein Rätsel in einem Aronofsky Film auftaucht, dann kann der Zuschauer zumeist davon ausgehen, dass er auf dieses, auch bei bereits laufenden Abspann, keine Antwort erhalten wírd. Ein Rätsel ist schließlich nur so lange als ein solches zu definieren, bis es jemand löst. Doch was, wenn der Autor doch ohnehin keine Intention hat einem eine Lösung mitzuteilen, ist dann eigentlich Wahrheit? Friedrich Nietzsche schrieb einst es gäbe keine Tatsachen, sondern lediglich Interpretationen. Wenn man diesen Satz als Ausgang nimmt, dann ist die Wahrheit, auch in den Arbeiten Aronofkys, eigentlich nur der eigenen Interpretation der Umstände zu entnehmen.
Ein gute Dreiviertel des laufenden Jahres 2017 habe ich, und dieser Satz fällt mir leider immer noch unerwartet schwer zu schreiben, aufgrund einer klinischen Depression im Krankenstand verbracht. Ich habe also ein Dreivierteljahr fast ausschließlich in zwei Tätigkeitszuständen verbracht. Zum einen habe ich, auf Anraten meiner Therapeuten, viel Zeit mit Schreiben, Lesen, Film, Sport, Malen, Stricken, Museen, Theater, Singen, Musikmachen, und allem anderen, was einen potenziell davon abhält sich ein beschissenes Messer in die Fresse zu hauen, verbracht. Den Rest der Zeit habe ich damit zugebracht , den Menschen in meiner Umgebung, zumeist leider vergeblich, zu vermitteln, wie ich mich fühle. Kaum eine Krankheit ist für Außenstehende weniger nachfühlbar als eine Depression. Menschen sagen dann gerne so besonders dämliche Sätze wie: „Aber wieso? Du hast doch ein total tolles Leben.“ und: „Aber du willst dich jetzt nicht wirklich umbringen, oder so was?“ oder auch gerne: „Das ist weil Ihr keine Kinder habt“ (sic). Manchmal wünscht man sich einfach einen simplen Gehirntumor zu haben. „Oh du wirst bald sterben? Das ist Schade! Wir gehen nächste Woche auf die Kirmes.“ Das wäre zwar auch Scheiße, aber meine Umgebung hätte zumindest eine grobe Vorstellung davon, dass ich nicht einfach nur ein wenig Kopfschmerzen hätte. Unverständnis ist für Depression das, was Ausschlag für Masern ist. Manche bekommen mehr, andere bekommen weniger, aber dazu gehört es in jedem Fall.
Wenn man sich Lawrence's Mutter-Figur, und vor allem in welchen Situationen Ihr die Lage zu entgleiten scheint, im Lauf des Films ansieht, dann findet man eine enorme Parallele zu diesem Verhaltensmustern. Sie möchte Ihren sicheren Ort so schön und abgeriegelt (Ständig geschlossene Türen!) wie nur irgendwie möglich gestalten. Diese Gefüge beginnt zu bröckeln, sobald Fremde in das Haus kommen und Ihr die Kontrolle entziehen. Niemand dieser Fremden sieht es in irgendeiner Art ein, Ihre persönlichen Grenzen zu wahren. Sie zwingen Sie in Stress, an dem einem Ort der davon befreit sein sollte.
Die Idee ist wunderbar und ist, wie bereits gesagt, entstanden, weil eine einfache Beschreibung der Emotionen schwierig bis unmöglich ist. Genau deshalb hat es mich im Kino so enorm überrumpelt, das Aronofsky die gedankliche Ebenen einer mentalen Erkrankung so punktiert visualisiert hat. Man kann die steigende Anspannung in Lawrence, aufgrund einer stetig nähere Close-Ups setzenden Kamera, ziemlich exakt nachfühlen. Im Rahmen dieser Extremen Nahaufnahmen wird die Umgebung um Sie herum immer unschärfer. Der Zuschauer spürt wie der Druck steigt. Wenn die Belastungsgrenze erreicht ist, dann werden Wände und Boden schwarz. Nichtmal die vertraute und eigentlich sichere Umgebung ist noch unkontaminiert. Schwarz vor Augen und Druck auf der Brust sind übrigens typische Symptome einer Panikattacke. Für diese Fälle hat Sie eine Flasche im Badezimmerschrank. Medikation für emotionale Notfälle ist eine weitere sehr spezifische Referenz. Die Zäsur findet die Geschichte, wenn Sie, von dem Hochgefühl der Schwangerschaft getragen, entscheidet Ihre Notfallmedikation die Toilette herunter zu spülen. (Über Psychopharmaka sollte man wissen, dass ein unkontrolliertes Absetzen von enormen Risiken begleitet wird. Auf diese Weise hat die Welt, neben vielen anderen Menschen auch, David Foster Wallace verloren.) Durch die Entsorgung der Medikamente macht Sie sich verwundbar, und öffnet dem Film die Tore für seine eindrucksvollste Sequenz. Da die meisten Depressiven-Episoden durch einen Affekt gesteuert werden, empfindet man unter Umständen ein Gefühl, welches ich persönlich als eine Art geistigen Kontrollverlust beschreiben würde. Neben einer enormen Niedergeschlagenheit, entscheidet sich das Gehirn gleichzeitig seine neuste Version des Klassikers „Best of Worst Case“ vorzustellen. Man verbringt zeitweise Stunden damit, sich die unmöglichsten Katastrophen-Szenarios auszumalen. Ein simples Beispiel wäre, dass mich ein unfreundlicher Kassierer, wenn ich mich ohnehin schon sehr schlecht fühle, durchaus davon überzeugen kann, dass mich die gesamte Welt nicht ausstehen kann. Freunde und Familie eingeschlossen.
Ich würde Mother als einen Appell daran sehen, die eigene Mentale Gesundheit ernst zu nehmen. Wenn man sich seinen eigenen Schaden als Tugend zurecht redet, tut man jemand anderen vielleicht noch etwas viel Schlimmeres an. Partner sollten sich nicht das Herz raus reißen müssen. Nicht mal für die Kunst. Trashbox
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