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Die Taschendiebin (2016)
The Handmaiden/Ah-Ga-Ssi

Regie: Chan-wook Park

Darsteller: Tae-ri Kim, Min-hee Kim,
Jung-woo Ha
, Jin-woong Jo

 

 

 

seit 8. Juni 2017 auf DVD/BluRay

 

Wer bei Chan-wook Parks neuestem Werk auf eine weitere Rachestory analog seiner „Vengeance-Trilogie“ oder einen weiteren Film hofft, in dem er die Grenzen eines bekannten Grenres austestet, wird überrascht sein. Aber bei „Ah-Ga-Ssi“ (so der original koreanische Titel) handelt es sich auch nicht um einen Tennisfilm. Wenn man überhaupt die Genre-Messlatte anlegen möchte, dann ist „The Handmaiden“ (so der internationale Titel) am Ehensten noch ein Gaunerdrama mit einer sehr starken erotischen Komponente. Nicht also das, was man vom koreanischen Meisetr erwartet, aber das ist es ja auch, was ihn zum Meister macht.

hm06Bei der im deutschen Titel erwähnten „Taschendiebin“ handelt es sich um die junge Sook-Hee (Tae-ri Kim), die in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem man sich mittels kleinerer Gaunereien über Wasser hält. Im von Japanern besetzten Korea der 1930 Jahre waren die Möglichkeiten halt eher eingeschränkt. Haupteinahmequelle der Gruppe Mädchen unter der Leitung einer Gaunermami, mit der sie zusammen lebt, ist allerdings der Handel mit koreanischen Waisenbabys, die geschickten Handarbeiten der deutschen Betitelung sind eher Nebeneinnahmen. Aber gut, „Die Babyhändlerin“ wäre vielleicht v0m Marketing her auch keine so gute Entscheidung gewesen.

Das ist aber eh nur die Einleitung der erstaunlich komplexen Geschichte, bei der es um den koreanischen Heiratsschwindler Fujiwara (Jin-woong Jo) geht, der die reiche Japanerin Lady Hideko (Min-hee Kim) ausnehmen will und sich deshalb als japanischer Geschäftsmann ausgibt. Um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen und bereits vorab die Situation „auszubaldowern“ schickt er Sook-Hee vorab als Dienstmädchen zu der Lady. Aus Sook-Hees Sicht lernen wir nun das Leben von Hideko kennen, die bei ihrem Verlobten, einem alten japanischen Grafen lebt, der versucht mittels seiner Lebensart und seiner Umgebung (einem Landhaus im japanisch-englischen Stil) ein Teil beider Mächte zu sein. Hideko erstickt in Depressionen, ihre einzige Aufgabe im Haus ist es den Geschäftsfreunden des Grafen erotische Literatur vorzulesen. Sook-Hee bringt nun sozusagen etwas Farbe (und Erotik) in das Leben der eher mausgrauen Lady und so erfährt der Zuschauer auch ein wenig mehr um ein düsteres Geheimnis, das sie umgibt.

HM02Zusätzlich wird auch langsam der perfide Plan von Fujiwara klarer, der sich nach gerade mal 40 Minuten des Filmes tatsächlich auch umsetzen lässt, aber in einer gänzlich unerwartete Richtung endet – ebenso wie dieses erste Drittel des Filmes.

Es folgt eine Einblendung „Teil 2“ und wir befinden uns wieder am Ausgangspunkt der Geschichte, die wir nun aus einem anderen Blickwinkel erzählt bekommen.

Nicht nur diese, an Rashomon erinnernde, Erzählstruktur ist es, die in Chan-wook Parks Film an die Meisterwerke von Akira Kurosawa erinnert. Die wunderschöne Ausstattung, speziell in dem Landhaus des Grafen, die opulenten Kostüme und Einstellungen, die man sich ausdrucken und rahmen möchte, der ganze Film ist eine einzige Verbeugung des Meister aus Korea an den Meister aus Japan, ohne allerdings den eigenen Stil zu vernachlässigen. Bei Park gibt es wie üblich keine wirklich sauberen Helden, das Figurenquartett im Zentrum des Filmes betrügt, belügt und übervorteilt sich gegenseitig, ihr einziges Interesse scheint dem eigenen Vorteil zu gelten. Aber auch das ist nicht die Wahrheit, wie sich dem Zuschauer nach und nach während dieser 140 Minuten langen, aber in keinster Weise langweiligen, Reise erschließt.

HM01Gewürzt ist das ganze Gericht dann auch noch mit einigen – überraschend expliziten – Erotikszenen, ein paar Nettigkeiten für unsere Splatterfans im letzten Teil und – das ist vielleicht das Erstaunlichste – einer richtig fiesen Prise rabenschwarzem Humor, den man in einem Park-Film so nicht erwartet hätte. Trotzdem ist „Die Taschendiebin“ kein lustiges Unterhaltungswerk für zwischendurch, denn die Atmosphäre des Filmes ist doch eher unangenehm drückend, was allerdings durch ein „So ists genau richtig“-Ende wieder aufgehoben wird. Aber selbst „Oldboy“ ist ja im Endeffekt kein Actionspektakel der üblichen Sorte, wenn man mal von DEM Fight absieht, sondern eher ein düsteres Charakterstück. Wer die Filme von Chan-wook Park mag, wird auch hier voll auf seine Kosten kommen, für Neueinsteiger empfehle ich eher die Vengeance-Trilogie (Amazon).

Ebenfalls erwähnen muss man noch den fantastischen Soundtrack von Yeong-wook Jo dessen Main-Title nach dem Sehen des Filmes so schnell nicht mehr aus euren Ohren verschwinden wird. Nebenstehend findet ihr dazu mal eine Playlist.

Die Bildqualität ist schon bei der mir als Pressemuster vorliegenden DVD großartig, aber ich empfehle natürlich trotzdem des Griff zur BluRay, da der Film von seinen großartigen Bildern lebt. Koch Media hat hier übrigens auch bei der Synchro ein glückliches Händchen bewiesen und präsentiert den Film neben einer deutschen und einer unsynchronisierten Fassung auch noch in einer deutsch-japanischen Variante an, in der nur die koreanischen Teile synchronisiert wurden und somit die Sparchbarriere zwischen den Charakteren, die einen großen Teil der Atmosphäre mit verantwortet, bestehen bleibt. Dafür ein ganz spezieller Dank von mir an denjenigen, der das zu verantworten und so weit mitgedacht hat.

Zusätzlich findet sich auf der Scheibe noch ein – leider sehr kurzes – Making of, ein Bericht von der Cannes-Premiere und einige Infotafeln, Trailer und Bildergalerien. Aber vielleicht kommt da ja noch was nach.

hm05Alles in allem ist „Die Taschendiebin“ ein weiterer Beweis dafür, das Süd-Korea mittlerweile eine echte Macht im Filmgeschäft geworden ist. Vom Actionkracher bis zum reinen Kunstfilm führt das kleine asiatische Land uns in den letzten Jahren immer wieder vor, wie viel man mit Herzblut, Kreativität und (verhältniswenig) wenig Geld erreichen kann.

Ich bin begeistert.


Dia

 

 

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