„Scream“ hatte allerdings auch das Glück zu einer Zeit zu starten in der das Horrorgenre generell am Boden war und die durstigen Fans jedes frische Tröpfchen begierig aufnahmen. Die neunziger Jahre haben nicht viele Genreklassiker hervorgebracht und ich wage zu bezweifeln, dass ein Film wie „Scream“ heute noch solche Wellen schlagen würde.
Immerhin brachte der Film es dann auch noch auf drei, ebenfalls durchaus unterhaltsame, Fortsetzungen wobei „Scream 4“ aus dem Jahr 2011 nun mittlerweile als letzter Film des im Jahr 2015 überraschend verstorbenen Wes Craven seinen Platz in der Horrorgeschichte eingenommen hat.
Nun also überrascht uns Netflix (in enger Zusammenarbeit mit MTV) mit einer „Scream“-TV-Serie und dehnt die eigentlich dürftige Handlung auf über 400 Minuten aus. Theoretisch kann und sollte das eigentlich nicht funktionieren, also habe ich das Produkt mal einer genaueren Sichtung unterzogen.
„Scream TV“ spielt – wie auch die Filme – wieder in einer mittelamerikanischen Kleinstadt in der vorwiegend Highschool-Kids einem maskierten Killer mehr oder weniger kreativ zum Opfer fallen. Diesmal hat sich der Teenagerdezimierer scheinbar ein Massaker zum Vorbild genommen, das sich 16 Jahre zuvor ereignet hat und bei dem damals 5 Menschen, dank eines deformierten und deshalb maskentragenden Schlitzers, in einer blutigen Nacht den Weg zu Petrus vor die Himmelstür fanden. Unsere Protagonisten sind die Freundesgruppe um Em(ma) (Willa Fitzgerald), die aus verschiedenen durchaus typischen Opferkandidaten besteht. Wir haben den Nerd, der zufällig auch noch in einem Gamestore arbeitet und hobbymäßig hackt, den Quarterback, die Bitch, die nette intelligente aber nicht besonders hübsche, das Asian Girl und so weiter und so fort. „Em“ ist ebenfalls der Link zu den erwachsenen Darstellern. Ihre Mutter Maggie, großartig gespielt von Tracy Middendorf, ist liiert mit dem örtlichen Sheriff und gleichzeitig auch noch die Pathologin des Ortes. Außerdem trägt die noch ein Geheimnis mit sich rum, das einerseits mit dem massakerverursachenden Maskenmann und andererseits mit dem plötzlichen Verschwinden von „Em“s Vater 8 Jahre zuvor zu tun hat.
Wo wir gerade bei Geheimnissen sind, davon gibt es natürlich in der Geschichte so einige. Nicht immer haben sie direkt mit der Hauptstory zu tun. So erpressen zum Beispiel der Football-Jock und einer seiner, ebenfalls der Spezies schön und eher simpel gestrickt zugehörender, Teamkollegen den Bürgermeister des Örtchens, der zufällig Vater der „Bitch“ ist, die wiederum mit dem Jock zusammen ist. Das kann man jetzt als Füllmaterial sehen, ist andererseits aber auch der Identifizierung mit den Charakteren dienlich und stört das Tempo der Serie eher nicht.
Der aktuelle Scream Killer ist auch in der Jetztzeit angekommen und bedient sich modernster Technik, wobei wir Realismus und technische Durchführung seiner Hackertricks mal ganz außen vor lassen. Er ist halt in der Lage sich in sozusagen jedes Kommunikationsgerät einzuschalten und jede Videokamera der
Welt zu überwachen. Dabei kann er gleichzeitig aber auch alles so verschlüsseln, dass ihn niemand lokalisieren kann. Wenn es aber um seinen eigentlich präferierten Zeitvertreib geht, da zeigt er durchaus Schwächen und stolpert schon mal über die eigenen Füße. Womit wir einen eleganten Schwenk zum Humor der Serie gemacht haben.
Hier kann „Scream TV“ auch durchaus punkten. Wie auch schon in den Filmen haben wir es hier mit Charakteren zu tun, die in der heutigen Zeit leben und mit Kino, TV und Internet aufgewachsen sind und die dementsprechend mit Zitaten nur so um sich werfen und natürlich Horrorfilm-Situationen, mit denen sie konfrontiert werden, auch als solche erkennen. Speziell der oben erwähnte Nerd Noah (John Karna) ist eine Figur, in die man sich als Nerd sofort verliebt. Insbesondere seine Szenen mit Audrey (Bex Taylor-Klaus), die sich als „nicht lesbisch, aber bi-neugierig“ bezeichnet, sind teilweise zum Schreien komisch.
Interessant ist übrigens auch, dass die Serie nicht unbedingt dem „ein Mord pro Episode“-Muster folgt. Sicherlich gibt es immer die ein oder andere Spannungssequenz pro Folge, aber wir befinden uns hier nicht in der Domain eines Jasons. Dem Zuschauer wird recht früh in der Serie klar gemacht, dass keine Person wirklich vor dem Killer sicher ist, egal wie lieb er sie mittlerweile gewonnen hat und somit funktionieren nahezu sämtliche Szenen, in denen sich jemand in Gefahr befindet. Und wenn dann mal ein Messer oder ein anderer scharfer oder harter Gegenstand auf Fleisch trifft, dann erweist sich die Serie als durchaus zeigefreudig. Weniger Hang zum Voyeurismus gibt es im Bezug auf nacktes Fleisch, hier passt sich Netflix eher dem Partner MTV an. Gut, ich bin nun aus dem Alter raus, in dem mich Teeniebrüstchen sonderlich interessieren, aber manchmal kann ich ein Kichern nicht unterdrücken, wenn ich gerade gesehen habe wie eine Flut von Blut aus einer offenen Wunde schießt und ich danach direkt zwei junge Leute beim züchtigen Knutschen betrachten darf.
In Sachen Regie kann man bei einer Serienproduktion mit 10 relativ kurzen Episoden natürlich nicht viel erwarten, bei sieben Regisseuren kann hier niemand seinen Stempel aufdrücken. Auch Kultregisseur Ti West (House of the devil, The Innkeepers) passt sich hier den Produktionsgegebenheiten an, so dass sich auch seine Episode nicht sonderlich abhebt. Da ist schon eher der Geist von Wes Craven zu spüren, der hier noch als „executive producer“ mitwirkte und dessen Stil hier oft gewürdigt – und manchmal schamlos imitiert – wird.
Am Ende der letzten Episode ist der Maskenmann seiner gerechten Strafe zugeführt worden und die meisten der Geheimnisse sind keine mehr. Der Rest muss bis Season 2 warten. Sicherlich haben sich die Reihen ein wenig gelichtet, aber bis zum nächsten Jahr ziehen sicherlich wieder einige neue Leute in das Städtchen – ein paar Häuser sind ja jetzt frei.
NETFLIX beweist wieder einmal mehr ein gutes Händchen. „Scream TV“ ist bestes Streamingfutter. Die Episoden sind mit 40 Minuten Laufzeit erfrischend kurz und die Cliffhanger am Ende motivieren zum „Eine guck ich noch“-Verhalten. Ich hab die ganze Staffel an einem Wochenende durchgehechelt, aber insgesamt ist die ja auch nicht viel länger als ein „Herr der Ringe“-Teil in der extended Version.
Die Idee aus einem Film eine TV-Serie zu machen ist nicht neu, bereits 1966 wurde mit „Tammy“ (hierzulande damals beim ZDF als „Tammy das Mädchen vom Hausboot“) dabei ein Erfolg erzielt und 1979 gab es die „Bad News Bears“ (Die Bären sind los), die auf dem gleichnamigen Film mit Walther Matthau basierten, der drei Jahre zuvor ein Überraschungserfolg war. Auch NETFLIX selbst hat sich hierbei bereits versucht und mit „Fargo“ eine nahezu geniale Variante geschaffen, die neben einem wirklich tollen Drehbuch, auch noch mit einem eigenen Stil und großartigen Schauspielern überzeugen konnte. Weniger genial und als eher langweilig und unfreiwillig komisch erwies sich „From Dusk till Dawn“. „Scream TV“ liegt hier irgendwo in der Mitte, hat aber durchaus das Potential besser zu werden, wobei glücklicherweise die beiden besten Schauspieler der Serie überleben. Aber wer das ist, darauf werde ich jetzt nicht eingehen. Das wäre unfair.
RATING:
Imbd-Rating 7,2/10
Mein Rating 6,5/10
- Hauptkategorie: Film