(Belgien 2006)
“Moloch! Moloch!
brüllt der Lyriker Allen Ginsberg dem Leser entgegen. In Ex Drummer findet das bekannte Gedicht sein filmisches Pendant, denn Regisseur Koen Mortier zieht den Zuschauer auf einen 101-minütigen Trip in den belgischen Moloch hinab, der von Schauwerten und Absurdität nur so strotzt. Wer zu lange im Elfenbeinturm verharrt, verliert den Anschluss an die Lebensrealität der Masse. Dem Künstler versiegt so die wichtigste Quelle der Inspiration. Der Starautor Dries (Dries Vanhegen) erkennt das, als drei Totalversager vor der Tür seines Luxusappartements stehen und ihn als Drummer für ihre Band gewinnen wollen. Der Sänger Koen (Norman Baert), ein psychotischer Frauenschläger, der Gitarrist Ivan (Sam Louwyck), ein tauber Junkie, und Bassist Jan, ein halbseitig gelähmter Homosexueller, dessen fette, glatzköpfige Mutter es mit Koen treibt, sind der größte Abschaum, den das belgische Wirtschaftsdilemma produzieren konnte. Dries willigt ein und die drei Männer führen ihn hinab in eine Welt des Hasses und der Fäulnis. Doch Dries ist diesem Kosmos weit weniger fremd, als anfangs zu erwarten war … Koen Mortier hat ein abgefucktes, einzigartiges und ungemein stilvolles Debut gegeben und so kommt es, dass Ex Drummer zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählt. In jeder Einstellung ist zu erkennen, mit wie viel Liebe und Feingefühl die einzelnen Szenerien ausgewählt und gestaltet wurden. Die Welt der Abgehängten wird durch einige surreale Szenen noch drückender, in denen sich das Elend verdichtet und Psychosen in Bilder übersetzt werden. Koens Wohnung steht Kopf, das Intro läuft rückwärts und irgendwann finden wir uns in einer riesigen, ausgeleierten Vagina wieder, für deren Zustand ein Mann verantwortlich ist, der nur „Großer Schwanz“ genannt wird. Es ist eine Welt, die nicht nur von materiellem Mangel, sondern auch von einer ungeheuren ethischen Dekadenz geprägt ist. So ist es auch nicht möglich, das boshafte Verhalten der Protagonisten aus „unserer“ Warte vorschnell zu verurteilen, da hier die Amoralität zur Normalität geworden ist – die Pole Gut und Böse verschieben und überlagern sich, taugen in dieser Gosse nicht mehr zum moralischen Kompass. Mortiers Film gebiert ein Destillat an Widerwärtigkeiten der Gosse, eine Missgeburt, die man lieber abgetrieben hätte und die anzusehen schmerzt, weil sie das sozialpolitische Versagen Belgiens so brutal vor Augen führt. Deshalb ist es kein Wunder, dass man in so empfindlich auf Ex Drummer reagierte. Allen voran ein elitärer Kulturbetrieb, den es ungemein ärgerte, von einer kleinen Produktion kurzzeitig daran gehindert zu werden, sich im Elfenbeinturm der Selbstgerechtigkeit dem Geruch der eigenen Fürze hinzugeben. Und so hatte Koen Mortier alle Mühe, seinen Film überhaupt finanziert zu bekommen. Zumal Ex Drummer auf einem Buch von Herman Brusselmans basiert, der in Belgien verhasster ist, als etwa Thomas Bernhard den Österreichern oder Louis Ferdinand Céline in Frankreich. Ganze drei Filmemacher scheiterten vor Mortier mit Adaptionen der Werke des Skandalautors, weil die flämische Filmkommission die kalte Schulter zeigte und kein Geld aufzutreiben war. Nur durch seine Kontakte als Werbefilmer gelang es Mortier, internationale Financiers zu finden. Das Grandiose an Ex Drummer ist das Verhältnis des Zuschauers zu Dries. Da sich beide in derselben voyeuristischen Position befinden, die eine Rückkehr in die Komfortzone jederzeit erlaubt, ist der Starautor eine ungeliebte Identifikationsfigur und zwingt den Zuschauer, über den eigenen Voyeurismus zu reflektieren. So entsteht ein ambivalentes Verhältnis zum Protagonisten, das gleichsam von Identifikation und Abscheu gekennzeichnet ist – Abscheu vor Dries´ Verhalten und der eigenen Lust am gezeigten Elend: etwas, das in dieser Form selten zu finden ist und fasziniert. Koen Mortier selbst erwiderte auf die Vorwürfe, er nutze die Unterschicht als Spaß-Objekt für Gaffer, dass seine Kritiker wohl vergessen hätten, dass es sich bei ihm um einen Spiel- und keinen Dokumentarfilmer handelt. Es spricht für den drastischen Realismus von Ex Drummer, dass eine solche Rechtfertigung überhaupt nötig schien. Unterlegt ist das Geschehen mit dem Sound von Mogwai und die Filmband tritt mit einer der rotzigsten Coverversionen von Devos „Mongoloid“ bei einem Contest an – bei Ex Drummer passt einfach alles. Ex Drummer erschien in der DVD-Reihe Kino Kontrovers, in der die 120 Tage von Sodom (1975) oder Menschenfeind (1998) vertreten sind. Mortiers Debüt reiht sich hier gut ein, ist jedoch im direkten Vergleich auch einem nicht arthouse-affinen Publikum leicht zugänglich – denn Ex Drummer ist extrem unterhaltsam und macht auch nach etlichen Malen noch Spaß, da es so viele skurrile Details zu entdecken gibt. Christoph
|
- Hauptkategorie: Film