Antichrist (2009)
Direkt zum Geleit: Es wird mir nicht möglich sein ein Review über Lars von Triers "Antichrist" zu schreiben, das komplett unvoreingenommen ist. Seit dem mir der dänische Meisterregisseur erstmals mit "Element of Crime" (1984) begegnet ist, hat er mich mit jedem weiteren Werk immer wieder verblüfft. Ich liess mich von der seltsamen Atmosphäre und den collagenhaften Bildern von "Europa" (1992) verstören, war überrascht über den Gruselfaktor seiner Fernsehserie "The Kingdom" (1994) und entäuscht über seinen Schritt Richtung eines realistischeren Filmemachens mit "Breaking the Waves" (1996). Mit seinem endgültigen Schritt in Richtung, der von ihm propagierten Schule des dogmatischen Fillmemachens, (nur natürliches Licht, kein Skript sondern volle Improvisation, one Take only und -um Gottes Willen- keine aufwendige Nachbearbeitung) kam ich dann nur bedingt zurecht. Das Paradewerk "Idioten" (1998) entpuppte sich trotz der interessanten Grundidee - Schaupieler spielen geistig Behinderte und bleiben egal was passiert in der Rolle - als wirres Konglomerat aus einzelnen Szenen ohne Zusammenhang und konnte nur durch eine Orgie der titelgebenden Idioten schocken, die deutlich Dinge zeigte, die man sonst nur aus Hardcore Pornos kennt. Ich verlor van Trier dann irgendwie aus den Augen, selbst die hochgelobten Filme "Dancer in the Dark" und "Mandalay" habe ich bisher bewusst noch nicht gesehen. Erst der Trailer zu "Antichrist" konnte mich wieder ins Kino locken. War das nun die große Versöhnung? "Antichrist" beginnt damit, dass der kleine Sohn von Ihm (William Dafoe) und Ihr (Charlotte Gainsbourg) aus einem Fenster im dritten Stock fällt, während die beiden grade heißen Sex im Badezimmer haben. Logischerweise lässt das die beiden nicht kalt und so stürzt Sie in eine Depression, aus der Er sie herauszuholen versucht. Glücklicherweise ist Er Psychoanalytiker und findet schnell heraus, dass der Grund Ihrer Angst irgendwo in einer Jagdhütte im Wald zu suchen ist. In den nun folgenden cirka 90 Minuten steigt der Zuschauer in die Köpfe von Ihm und Ihr und wird ebenso psychologisch und nahezu körperlich gequält. "Antichrist" ist definitiv ein Horrorfilm, da gibt es nichts zu beschönigen. Lars van Trier beweist wieder einmal seinen Hang zu wunderschönen und durchkomponierten Bildern, bleibt ebenso seinem ruhigen und beobachtenden Regiestil treu und schafft so insgesamt eine Atmosphäre ständiger subtiler Bedrohung von nahezu „kubrikschen“ Ausmaßen. Der nahezu in schwarzweiß gehaltene unheimliche Wald, dessen tierische Bewohner; ja eigentlich die gesamte Natur - alles scheint nur aus dem Grunde zu existieren, die beiden Hauptdarsteller langsam in den Wahnsinn zu treiben. Charlotte Gainsbourg und William Dafoe füllen ihre Charaktere auf nahezu beängstigende Weise aus und müssen hier wirklich alles geben. Und mit ALLES meine ich selbst härtesten körperlichen Einsatz inklusive einer Masturbationszene die mit zum Unangenehmsten gehört, das ich jemals im Kino gesehen habe. Zumindest die erste Hälfte des Filmes ist somit durchweg angsteinflößend und lässt den Zuschauer unruhig in seinem Sessel hin- und herrutschen. Von Trier benötigt nicht die üblichen kruden Schocks mit lauter Musik und plötzlich ins Bild fallenden Dingen. Bei ihm sind es, eher im Gegenteil, die ruhigen Szenen, die den Zuschauer nervös machen. Ein Beispiel in Spoilerform folgt. Um den Text lesbar zu machen einfach mit der Maus markieren: SPOILER: Sie und Er nähern sich dem Haus im Wald und er bleibt plötzlich stehen, da er aus dem Augenwinkel etwas bemerkt hat. Wenige Meter von ihm steht nun ein Reh mitten auf einer Lichtung. Er nähert sich vorsichtig und irgendwie findet man das Ganze mindestens genau so aufregend wie er und kann auch seine Motivation nachvollziehen, sich dem scheuen Tier langsam zu nähern. Als das Tier ihn wittert und abdreht, sehen wir erst nur wie aus den Augenwinkeln und schließlich deutlicher als wir es wirklich wollen, das sich das Reh wohl mitten im Geburtsvorgang befindet - oder besser befunden hat, denn ein halbes und deutlich als tot erkennbares Kitz ragt noch hinten aus dem Mutterleib. Soviel zur ersten Hälfte des Filmes der - wie auch einige andere Werke von Triers - in Kapitel unterteilt ist. Spätestens ab Kapitel 3 nimmt der Film dann allerdings eine Wende, die es schwer macht, ihn uneingeschränkt weiterzuempfehlen, denn nun beginnt der wirkliche Abstieg der Charaktere in die Welt des Wahns und mit diesem eine Reihe von gewalttätigen Szenen, deren Schockwirkung sich nur schwer verarbeiten lassen. Außerdem verliert der Film nun auch noch seinen roten Faden und bietet am Ende keine auch nur im Entferntesten glaubhafte oder ansprechende Lösung an. "Antichrist" ist ein Meisterwerk des Horrorfilmes, daran sollte es keinen Zweifel geben. Er erfüllt den Anspruch, dem Zuschauer Angst zu machen und ist sowohl in rein technischer Hinsicht, als auch von der schauspielerischen Leistung der beiden Hauptdarsteller, ein überragendes Werk. Allerdings enthält er auch zumindest vier Szenen, die meiner Meinung nach, zu plakativ und drastisch sind und scheinbar nur der reinen Publicity dienen. NOCHMAL SPOILER: Man braucht eine Klitorisresektion nicht zu zeigen, damit sie schockiert - bestes Beispiel ist hier wohl die Jack Ketchum-Verfilmung "The Girl next door" aus dem Jahr 2008.
Das ich den Film trotzdem so hoch werte liegt daran, das ich beim zweiten Sehen vorbereitet war und wusste, wann ich wegzugucken hatte. Die Bilder in meinem Kopf wird das allerdings nie mehr auslöschen. FAZIT: Empfehlenswert für Horrorfans, die glauben alles locker wegstecken zu können. Frauen sollten sich bewusst sein, das der Film zumindest eine Sequenz enthält, die sich nicht wieder "wegucken" lässt.
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