Gilmore Girls bekommt neue Folgen
Wenn man mich nach meiner aktuell liebsten Fernsehserie fragt, wird man, je nach aktueller Tagesform, eine Antwort irgendwo zwischen „Archer“ und „Doctor Who“ erhalten. Fragt man mich hingegen nach der einflussreichsten Show der letzten 20 Jahre, dann ist die Antwort zweifellos „Gilmore Girls“. Im Jahr 2000 gestartet, setzte die Serie von Amy Palladino seinerzeit Maßstäbe in den Bereichen Writing, Regie, World-Building und Pacing, wie Sie zum damaligen Zeitpunkt, mit der eventuellen Ausnahme der, bereits ein Jahr zuvor gestarteten Sopranos, niemand bisher im Fernsehen erreicht hatte. In der allgemeinen Wahrnehmung wird Gilmore Girls gerne als „Die beste Frauenserie“ bezeichnet. Diese Aussage ist freilich ähnlich dämlich, wie das nicht enden wollende Gebabbel von „Mad Max Fury Road: Dem Action-Film für Frauen!“. Wenn es ein größeres Hindernis im modernen Fernseh- und Kinoproduktionen gibt, als dieses elendige Gender-Coding, dann ist es mir noch nicht begegnet. Ich kann mir doch nicht von meinem Geschlecht verbieten lassen, einen Film wie „Bride Maids“ abzufeiern. Niemand auf diesem Planeten sollte sich verpflichtet fühlen einen „Transformers“ Film zu gucken. Die Würde des Menschen ist schließlich unantastbar. Mir wurde mal von einer Frau erzählt, dass Sie „Pretty Woman“ mehr als zehn mal in Ihrem Leben gesehen hat, obwohl Sie den Film abgrundtief scheiße fand. Zu dem Thema gibt es bestimmt eine interessante Dunkelziffer. Aber ich schweife ab. „Gilmore Girls“ ist nicht „die beste Frauenserie“, sondern die seinerzeit beste Fernsehserie, in welcher unter anderem Frauen mitspielten. Der entscheidende Trick an „Gilmore Girls“, ist nämlich die unglaubliche Komplexität der Welt, in welcher die Serie spielt. Der Hauptteil der Show spielt in einer Kleinstadt, bevölkert von diversen Nebencharakteren, welche man in dieser Anzahl und Skurrilität höchstens noch im Springfield der „Simpsons“ findet. Und da weder Amy noch Daniel Palladino auf den Namen Jess Franco hören, leben in diesem Dorf halt nicht nur Frauen. Absolut jeder Charakter ist mit der gleichen Liebe zum Detail geschrieben und gespielt. Ausgestattet mit Dialogen die teilweise, selbst im Jahr 2016, noch kein Äquivalent in Sachen Tempo und Komik gefunden haben, fällt es schwer nicht jeden noch so nebensächlichen Bewohner des Dorfes, von den beiden phänomenalen Eltern der Hauptdarstellerin ganz abgesehen, weiter folgen zu wollen. Die Regie der einzelnen Episoden, war seiner Zeit ebenfalls um Jahre voraus. Von mehrminütigen Tracking-Shots bis zum Impact einer Faust während eines Schlägerei. Im Jahr 2000 war die Regie-Qualität der meisten Sommer-Blockbuster nicht auf dem Level der ersten Season Gilmore Girls. Alle Einzelteile vereinen sich in eine wundervolle und allgegenwärtige Grundatmosphäre, die ich gerne mit Kingstons Falls, wenn Billy in der Lage gewesen wäre drei einfache Regeln zu befolgen, vergleiche. Das Gesamtfeeling bewegt sich ständig zwischen der Lyrik eines Sonnenuntergangs und der Abgedroschenheit eines Kalenderspruchs. Hätte Spielberg Mitte der 80er LSD genommen, das Ergebnis wäre kaum anders ausgefallen. Auch wenn mir die abschreckenden Wirkung des urzeitlichen Formates, von 22 mal 45 Minuten pro Season, insbesondere in Anbetracht moderner Zeitfresser wie „The Walking Dead“, durchaus bewusst ist, möchte ich jedem Leser die Sichtung der Serie bestens empfehlen. Wenn irgendeine Serie eine revisionierte Position innerhalb der Popkultur verdient hat, dann wird es diese Show sein.
|
- trashbox