The Return of the Son of Gewaltvideo
Gastartikel von Christian Keßler
Vorbemerkung:
Diesen Artikel hat der Filmjournalist und "Alt-Eddie" Christian Keßler heute morgen bei Facebook veröffentlicht und uns netterweise zur Verfügung gestellt, damit wir ihn - mit den passenden Videos versehen - auch Lesern außerhalb von Mark Zuckerbergs Schöpfung präsentieren können. Nochmals vielen Dank dafür.
Als junger Mensch hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, der sogenannten Horrorvideo-Kampagne beizuwohnen. Besorgte Bürger – einige davon mit politischen Ambitionen – geißelten die zunehmende Verlotterung des öffentlichen Raumes, wie sie sich in der Verbreitung gewaltverarbeitender Medien ausdrückte. Für einige Jahre sorgte dies für ein intensives Bohei, das dazu führte, daß Filme in der Bundesrepublik nur noch unter strengen Auflagen freigegeben werden konnten.
In der realen Umsetzung sah das so aus, daß selbst bei den Profis (z.B. Videothekaren) eine heillose Verwirrung vorherrschte. Viele von ihnen wußten nicht einmal zwischen indizierten und beschlagnahmten Filmen zu unterscheiden. Manche Filme wurden präventiv aus dem Verleihangebot entfernt oder von den Vertreibern zurückgezogen, da man sich keinen Ärger mit der Staatsanwaltschaft einhandeln wollte. Die obwaltende Konfusion fand ihren passenden Ausdruck in der ZDF-Dokumentation „Mama, Papa, Zombie“, die immer noch für sympathische Lachfältchen in den Gesichtern der Menschen sorgt, die mit der weitgehend kenntnisfreien und bemüht um Fassung ringenden Hysterie dieser Sendung konfrontiert werden.
Damals landeten unzählige Filme auf dem Index. Viele davon sind mittlerweile wieder freigegeben, manche davon – wie Walter Hills THE WARRIORS – sogar mit einem „Ab 12“. In Einzelfällen gelingt es verdienstvollen Firmen, beschlagnahmte Filme wieder freizuschmelzen, wenn auch nach jahrelangem Kampf mit der Justiz. Warum auch heutzutage noch Filme wie DAS GEISTERSCHIFF DER SCHWIMMENDEN LEICHEN selbst Erwachsenen vorenthalten werden müssen, bei dem im Beschlagnahmebeschluß eine relevante Szene beschrieben wird mit den Worten „Ein Skelett verbrennt (Großaufnahme)“, dürfte sich den wenigsten erschließen.
Nun, happy days are here again!
Heute heißen die bösen Buben „Killerspiele“, ihre schadbringende Wirkung wird von unterschiedlichen Gutachten entweder behauptet oder abgestritten, und wann immer Bedarf nach einer „leichten Lösung“ besteht, werden sie als Trumpfkarte aus dem Ärmel gezaubert, in der Regel verbunden mit einer Forderung nach Verboten. So dauerte es im Fall des Amoklaufes/erweiterten Selbstmordes von München gerade mal einen Tag, bis der Innenminister das Thema reaktivierte. Daß man in einem so gräßlichen wie traumatisierenden Fall wie diesem Gemetzel – bei dem die Polizei von München gut daran tat, Ermittlungsergebnisse erst einmal unter Verschluß zu halten – ausgerechnet diesen Modus wählt, um überaus schwer Verständliches verständlich zu machen, halte ich für unangemessen und auf längere Sicht gesehen auch abträglich.
Mir ist es dabei vollkommen wurscht, ob sich 10000 Gamer auf den Schlips getreten fühlen. Ich halte es nur für den falschen Weg. Ich hatte eigentlich nicht vor, mich zu den diversen Bluttaten der letzten Wochen – die auch mich fassungslos gemacht haben – öffentlich zu äußern. Ich wüßte auch nicht, was man da Sinnvolles sagen könnte. Man kann seinem Entsetzen darüber Ausdruck verleihen, man kann Mitgefühl bekunden. Man kann den Wahnsinn aber nicht erklären. Wer meint, hier einen Lösungsansatz in der Tasche zu haben, der lügt sich selbst und anderen in die Tasche. Ich warne allerdings davor, die Besinnungslosigkeit zwischen den Ohren, die sich im öffentlichen Diskurs ausdrückt, für bare Münze zu nehmen. Ich möchte einige Gedanken dazu beisteuern, denen man folgen mag oder auch nicht.
In einer gestrigen Fernseh-Gesprächsrunde wurde angedeutet, daß einzelne Risikokriterien nicht mißverstanden werden sollten als untrügliches Anzeichen für einen bevorstehenden Amoklauf. Das finde ich auch. Wenn der 16-jährige Filius jeden Tag stundenlang vor dem Rechner hängt und auf terroristische Pixelballungen oder Marsmenschen ballert, dann muß das nicht zwangsläufig eine besorgniserregende Entwicklung andeuten, abgesehen von der bedauerlichen Zeitverschwendung, die das darstellt. Ich halte es auch für bekömmlicher, wenn Heranwachsende mit Kumpels und Kumpelinen durch die Saat tollen, um Flora und Fauna ihrer Heimat kennenzulernen. Sie könnten beispielsweise im dichten Hain lustige Dinge miteinander treiben oder zumindest billigen Wein aus Tetra-Packs süppeln, so sie über 18 sind. Auf jeden Fall: miteinander.
In besagter TV-Runde wurde immerhin angemerkt, daß man durchaus genauer hinschauen sollte, wenn alle drei der dort genannten verhaltensauffälligen Kriterien zutreffen sollten. Ich möchte hiermit eine Selbstanzeige machen: Ich spiele des öfteren Ballerspiele, ich bin seit meiner Kindheit Fan von Horrorfilmen, und ich höre auch krachende Rockmusik. Zudem kleide ich mich schwarz und pflege eine beunruhigende Laxheit im Umgang mit allseits anerkannten Konstanten. Eine tickende Zeitbombe! Statt aber meine Freizeit der Zersägung von Eichhörnchen zu opfern oder der Vergrämung süßer Dackelwelpen, schreibe ich Texte, von denen ich mir wünsche, daß sie nicht nur den Sinn meiner Umgebung für die Schönheit von Sprache schärfen helfen, sondern auch meine Vorstellung von dem andienen, was ich für gut, wahr und schön halte. Ich bin seit vielen Jahren ein Wähler der Partei für den Akademiker mit dem schlechten Gewissen, ein komplettes Weichei, wenn es um das Verletzen anderer geht, und meiner entschwindenden Virilität verleihe ich für gewöhnlich nicht durch grelles Gebelfere der „J´accuse!“-Liga Ausdruck, sondern gefalle mir im bedächtigen Abwägen. Tickende Zeitbombe, my ass!
Wenn ich irgendwann auf den Trichter kommen sollte, meiner Umwelt zum Schaden zu sein, dann würde das erst einmal daran scheitern, daß ich nicht wüßte, wo ich eine Pumpgun oder eben eine Glock herbekommen soll. Ich könnte eigentlich nur mit meinem „Manhunt“-Computerspiel rausgehen und den Leuten damit auf den Kopf kloppen, bis Beulen entstehen. Ich frage mich ernsthaft, warum diese Facette der Diskussion – wo zum Geier die Jungsprotten die Artillerie herbekommen! – so selten in den Mittelpunkt gerückt wird. Das finde ich naheliegender als Spekulationen über den schadbringenden Einfluß „böser“ Medien, aus denen irgendwie der schwarze Seim des Teufels zu tropfen scheint.
Niemand, der seine sieben Sinne beieinander hat, wird ernsthaft behaupten, es sei für einen labilen Menschen, der sich in einer überaus problematischen Entwicklung befindet, zuträglich, wenn er seine Zeit damit verbringt, auf Pixelfiguren zu ballern. Ich würde annehmen, daß es im höchsten Maße unbekömmlich ist und seine Fehlentwicklung eher befördert als verhindert. Nur: dasselbe ließe sich auch von anderen Dingen behaupten. Der Konsum von Spirituosen etwa sorgt bei manchen Mitmenschen für durchaus besorgniserregende Veränderungen. Auch harte Rockmusik mit kontroversen Texten kann für Schlamassel sorgen. Und was ist mit der allgegenwärtigen Verdummung, die einem aus der Glotze entgegenschreit? Das Problem sind ja gar nicht so sehr die offensichtlichen Trottelformate wie „Bachelor“ oder DSDS, die mit ihrer eigenen Tumbheit geradezu kokettieren, sondern die fortlaufende Formatierung der Zuschauer, die vom „normalen“ Programm betrieben wird und der man sich eigentlich nur dadurch entziehen kann, indem man das alles meidet. Aber dann reagiert man ja auch darauf, wird durch die Verweigerungshaltung zum Bestandteil des Systems. Tja, schwierig!
Anstatt also auf Verbote und Sanktionen zu setzen, wäre es womöglich schlauer, die Kompetenz im Umgang mit dem Vorhandenen zu stärken. Auf Aufklärung zu setzen, anstatt einen Popanz zu errichten, auf dem man herumdreschen kann, um Kontrolle zumindest simulieren zu können. Die Debatte wird nicht ohne Grund beherrscht von markigen Begriffen wie „Killerspiele“, „Gewaltvideos“, „Darknet“ – alles emotional aufgeladene und düster raunende Bezeichnungen für Dinge, die man wesentlich sinnvoller sachlich und klar benennen sollte, anstatt mit ihnen ein publikumswirksames Bohei zu erzeugen, das – wenn man mal ganz ehrlich ist – nicht eine Mehrung der gewonnenen Einsichten zum Ziel hat, sondern eher der Eigenwerbung dienlich ist. Einmal der heilige Georg sein im Kampf gegen den Drachen! Nein, wir leben in einer Zeit, in der jeder Hajupei einen Mausklick weit entfernt ist von menschenverachtenden Darstellungen und eben auch Meinungen.
Man wird diese Unerfreulichkeiten nicht zum Verschwinden bringen. Aber man kann durch Aufklärung zumindest dafür sorgen, daß ihre Sprengkraft, ihr Schadpotential, größtmöglich reduziert wird. Dies kann auf längere Sicht nur dadurch gelingen, daß man die anderen mit ins Boot holt. Und das klappt nur, wenn man gangbare und attraktive Alternativen parat hat. Verbote und chronische Schnappatmung helfen da nicht wirklich, sie sorgen bestenfalls für einen kurzfristigen Plazeboeffekt.
In der Bewertung von gesellschaftlichen Veränderungen herrscht derzeit eine gewisse Unbedenklichkeit im Netz. Man braucht nicht Politik- oder Religionswissenschaftler zu sein, um profunde Ausdeutungen der Gegenwart beisteuern zu können, seitenweise, wenn es denn geht. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich solche „Armes Deutschland“-Hervorbringungen langweilen! Mir geht es hier in erster Linie darum, darauf hinzuweisen, daß ein Mehr an Wut und Haß ebenso schädlich wie sinnlos sind. Wie immer man die Bösewichte benennen will – wenn man sich nur im Modus des Apokalypsenpredigers für Arme mitzuteilen weiß, sollte man lieber davon absehen, den eigenen Vorrat an Ingrimm der Umwelt zum Geschenk zu machen. Die wird dadurch nämlich nicht hübscher.
Wut und Haß entstehen aus zutiefst individuellen Gefühlen der Verunsicherung und der Hilflosigkeit. Sie entstehen bereits, wenn man einkauft und die Kassenkraft einen behandelt wie eine Wurst. Daß besagte Kassenkraft vielleicht gerade vorher von unzähligen anderen Leuten wie eine Wurst behandelt worden ist, spielt für einen selber meistens keine Rolle. Ich habe mir angewöhnt, Leute, die mich in unziemliche Situationen bringen und schlechte Gefühle in mir erzeugen, zu ignorieren oder ihnen zuzugestehen, einen schlechten Tag zu haben. Ich muß ihnen mitnichten auf die Schnauze hauen oder sie mit einer AK-47 in kleine Schnipsel zerschießen. Im Extremfall stelle ich mir vor, daß jemand, der seine Mitmenschen so unfreundlich behandelt, schon seinen Grund dafür haben wird. Die wenigsten Grimmbärte führen eine zufriedene Existenz. Den Grund gönne ich somit besagten Grimmbärten und meide sie fürderhin. Oder ich verzeihe ihnen ihre Unpäßlichkeit, denn auch man selbst kocht nur mit Wasser.
Den Groll in unserer Gesellschaft – der, ich wiederhole es noch mal, meistens aus Unwissenheit und Ohnmacht heraus entsteht – werden wir mit keinem „Simsalabim“ wieder wegbekommen. Auch die Methode „Liebe deinen Nächsten“ ist – obwohl gut gemeint – wenig praktikabel, da es häufig schon schwer genug ist, seinen Nächsten zu tolerieren. Ich mutmaße aber, daß es dieser Groll ist, der unser Gegner sein sollte, unser Boßgegner, wie das in Computerspielen heißt. Und den besiegt man in diesem Fall weder mit AK-47s, mit Raketenwerfern oder der „Big Fucking Gun“, sondern mit Aufklärung und dem Aufzeigen von gangbaren, attraktiven Alternativen.
Verbote bringen rein gar nix. Es wäre schon viel damit geholfen, wenn sich jeder einzelne bemühen würde, die ganzen Statisten auf der Straße etwas freundlicher zu behandeln, und sei es auch nur als einen anderen Trottel, der wie man selbst um Achtung und Würde scharrt und so gut wie möglich durch das Leben kommen möchte. Wer andere Menschen mies behandelt, ist nicht mein Freund.
Christian Keßler
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