Meine Stephen King Phase
Es war Mitte der 80er und ich 15 Jahre alt, vielleicht auch schon 16. Ich stöberte zusammen mit meiner Mutter im Bertelsmann Buchclub. Gerade hatte sich mir die Kinowelt „ab 16“ aufgetan und im täglich wechselnden Sommerkino hatte ich mit Rambo & Poltergeist völlig neue Gefühlswelten kennengelernt. Diese waren auch bitter nötig, denn ich war auch am Ende meiner bis dahin rezipierten Literatur angekommen. Mit den fünf Freunden, Detektiv Kim, drei Fragezeichen und auch Mark Brandis war ich definitiv fertig. Ich suchte was neues, hatte aber eigentlich keine Ahnung was das sein sollte. Da sah ich auf einmal ein Buch mit dem Titel „Shining“. Ja, die Szene mit der Axt kannte ich natürlich aus dem Fernsehen, aber der Film war gerade unerreichbar. Video war erst im Kommen und Internet gab es noch lange nicht. Hätte auch nicht viel genützt, denn die damaligen Rechner konnten noch nicht einmal Fotos darstellen, geschweige denn in der Sekunde 24 davon! OK. Meine bisherigen Romane erschöpften sich auf drei Teile „Krieg der Sterne“ und „Han Solo auf Stars' End“. Würde ich das Buch durchstehen? Es sah ja ganz schön dick aus. Aber ich war einfach neugierig und äußerte den Wunsch gegenüber meiner Mutter, die nun vor einer weiteren pädagogischen Herausforderung in Ihrem Leben stand. Das Buch komplett ablehnend, sie kannte die Szene aus dem Fernsehen ja schließlich auch, war sie aber andererseits auch froh, dass ihr Sohn auf dem steinigen Pfad zum Erwachsenwerden wenigstens liest. Und wer liest, kann so lange auch keinen anderen Quatsch machen. Mama kaufte also das Buch. Was für eine Offenbarung! Innerhalb weniger Tage verschlang ich den Titel. Nach dem jahrelang aufgesaugten „Yang“ der schönen und guten Dinge, eröffnet sich mir nun das „Yin“. Grausam, brutal und unerklärlich, fast genauso wie ich in diesen Tagen meine Umwelt wahrnahm. Ich inhalierte das Buch förmlich und am Ende war ganz klar: Ich brauchte mehr! Stephen King wurde mein Heroin. „Christine“ passte da zum Beispiel wie Arsch auf Eimer. Die perfekte Geschichte für einen männlichen Teenager mit Sex, Gewalt und coolen Autos. Rasant geschrieben. Einfach WOW! Ich brauchte mehr! Die Buchläden waren gut gefüllt und ich kaufte was das Portemonnaie hergab. Am besten gefielen mir die Kurzgeschichten. Wie in „Nachtschicht“ oder in der hierzulande in drei Taschenbüchern veröffentlichten Sammlung „Skeleton Crew“. Stephen King fand in jeder Situation und in jedem Gegenstand das Grauen. Jede zynische Idee wurde bis zum zumeist sehr bitteren Ende fertig gedacht und mit Leichtigkeit aufs Papier gebracht. Die Richard Bachman Bücher waren noch einmal ein besonderes Schmankerl, die, ohne das Übernatürliche übermäßig zu strapazieren, grausamste Geschichten in meine Synapsen brannten. Einige davon lass ich in weniger als 24 Stunden. Nur die Verfilmungen...nein die waren wirklich allesamt doof oder zumindest seltsam. „Cujo“, „Carrie“, „Christine“ und selbst „Shining“ schafften es nicht einmal ansatzweise dieses ganz besondere Lesegefühl oder wenigstens den „Spirit“ der Geschichten einzufangen. Erst mit „Stand by Me“ entstand eine adäquate Verfilmung, die interessanter Weise so gar keine Horrorgeschichte ist. Irgendwann aber stapelten sich die Bücher bei mir. Ich wurde langsamer. Und dann kam „Es“ wie „Es“ kommen musste und „Es“ wurde für mich der absolute Höhepunkt. „Es“ ist wohl das einzige Buch, welches mir beim Lesen wirklich Angst einflößte und bei dem ich nach dem Schließen des Deckels nicht sofort einschlafen mochte. Und dann? Ich fing das letzte Gefecht an und hörte wieder auf. Schluss! Aus! Vorbei! Ich hatte fertig mit dem König. Yin und Yang waren wieder im Gleichgewicht. Bestimmt spielten hier noch weitere Aspekte eine Rolle. Die Schule war vorbei und die Bundeswehr holte mich. An einem langweiligen Bereitschaftswochenende quälte ich mich dann nochmal durch „Sie“ und fand es doof. Meine Stephen King Phase war definitiv vorbei. Später kam ich natürlich immer wieder mit Stephen Kings Geschichten in Kontakt. So gibt es jetzt zum Beispiel mit „Apt Pupil“ und „Green Mile“ endlich auch sehr gute Verfilmungen. Aber so gepackt wie damals hat er mich nie wieder. Sören
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- Sören Ney
- Königliche Wochen - September 2017