Stephen King Die Arbeiten des Herrn King im Spiegel der Zeit
Blickt man im speziellen auf Stephen Kings Horrorromane, dann wird man zeitnah einige Wiederkehrende markante Motive vorfinden. Sofern man dann weiterhin noch über die Fähigkeit verfügt der zynischen Komikrezension („Alle Charaktere sind immer nur Betrunkene Autoren LÖL“) zu widerstehen, darf man sich freilich fragen, was uns diese Muster über den Autoren und seinen Erfolg bei der großen Leserschaft - schließlich sagen die Ängste das Meiste über Personen aus - Stephen King verraten. Besitzt der Mann wirklich keinen Atlas? Leben in Maine tatsächlich ausschließlich misshandelte Hausfrauen und schreibende Männer mit Trinkproblemen? Und wenn dem so ist, warum kommen die Kinder dann meistens ganz sauber aus den Geschichten raus? Ohne eine Aussage über etwaig mangelnde Abwechslung innerhalb jener klassischen King-Klischees zu treffen, möchte ich dem Mann doch die Verfolgung eines Plans innerhalb seiner Bilder unterstellen. Wie bereits erwähnt hat King eine starke Affinität zur Verwendung des 23ten amerikanischen Bundesstaates Maine. Neben dem Umstand, dass Stephen King tatsächlich in Portland geboren wurde, gibt es über Maine eigentlich nichts besonders Spektakuläres zu berichten. Zwar gibt es durchaus ein paar Universitäten und mäßig erfolgreiche Sportklubs zu benennen, doch faktisch bleibt das Hauptmerkmal Maines diese rustikale Idylle, welche fiesere Linguisten vielleicht auch als dörfliche Langeweile betiteln würden. Hier füllen Einfamilienhäuser die Straßen und riesige Wälder die Ländereien. Selbst Portland erinnert in seinem frischgestrichenen Retrokitsch eher an Disneylands „Main Street USA“ denn an eine real existierende Stadt. Wenn das angestaubte amerikanische Familienbild, wie es durch „I love Lucy“ geschaffen wurde, irgendwo eine Chance hatte zu überleben, dann lebt es noch in Maine. Der amerikanische Traum in der Form eines kleinen Hauses mit Vorgarten. Maine scheint kein Ort zu sein, dem wirklich ein Krieg widerfahren könnte. Betrachtet man die westliche Attitüde der Jahre 1975 bis 1989, so scheint die ganze Welt eine ähnliche Einstellung gehabt zu haben. Obwohl der kalte Krieg durchaus eine konstante Bedrohung darstellte, schien die Angst vor einem nuklear geführten Krieg, eventuell auch aufgrund der damals geringer stattfinden multimedialen Berichterstattung, geringen Einfluss auf das Leben eines Otto-Normalbürgers zu nehmen. Man hatte damals ja aber auch ganz andere Sorgen. Gerade als Mann fing das eigene Weltbild langsam an zu bröckeln. Es gab Männer die sich plötzlich mit Frauen auseinander setzen mussten, die allen ernstes gleiche Rechte wie Männer einforderten. Manches Arschloch musste plötzlich auf die körperliche Züchtigung von Frau und Kind verzichten, oder zumindest mit sinkender öffentlicher Akzeptanz dieses Verhaltens rechnen. Nicht einmal Alkohol und Sex blieben ohne Veränderung. Es tauchten Begriffe wie Alkoholismus und AIDS in den Medien auf. Die Welt veränderte sich, speziell für den mittelständischen Durchschnittsmann dieser Jahre, rasend schnell. Und natürlich machten sich gerade damals Ressentiments in der weiten Basis der männlichen Welt breit. Schließlich wurden einem von Kindheitsbeinen andere Dinge versprochen. „Wo ist das Haus mit Garten?“ fragten sie und „Wo ist meine Lucy?“ King spielte in dieser Zeit besonders gerne mit diesen Abneigungen und Hangups. Horror kann es, unter bestimmten Umständen, halt auch sein, wenn man längere Zeit mit seiner Familie verbringen muss, ohne sich dabei betrinken zu dürfen. Oder was wäre wenn sich das unattraktive Mädchen, welches man gerne demütigte, weil man ja so geil Alpha war, rächen könnte? Es könnte auch einfach so passieren, dass man einer einsamen Frau, die gerade den Verstand verloren hat, hilflos ausgeliefert ist. Horror liegt letztlich im Auge des Betrachters. Wenn man es schafft eine breite Masse an Menschen auf wohlige Weise zu beunruhigen, wird man auf lange Sicht sicherlich Erfolg haben. Deshalb wimmelt es ja in unseren heutigen, durch Terror und Panikmache getränkten Zeiten, nur so an Krimis, mit blutig mordenden Nachbarn. Fraglich bleibt ob dieser Erfolg, wie Ihn King erfahren hat, überhaupt ein erstrebenswerter ist. Selbst wenn man diese Frage mit „Ja“ beantworten würde, was passiert wenn sich dieses Modell, wie es ja gezwungener Weise passieren muss, selbst überholt? Die Welt hat sich massiv verändert. Die maskuline Angst ist, zumindest im größeren Teil der Weltbevölkerung, einem sozialen Fortschritt gewichen. Kings Mainstream Horrorpublikum (Ich möchte hier übrigens nicht suggerieren Kings gesamte Leserschaft würde sich aus Dude-Bros zusammensetzen. Ich bin selbst ein großer Fan von Carrie und Misery. Mir geht es hier faktisch um den Mainstream relevanten Anteil. Quasi die Füllmenge der Spiegel Bestsellerliste.) ist in weiten Teilen ausgestorben. Aber was macht ein Autor in dem Moment? King ist in meinen Augen mittlerweile in eine sehr viel ehrbarere Position innerhalb der Literatur verzogen. Stephen King schreibt heutzutage gerne Fantasy. Vielleicht nicht unbedingt immer mit der entsprechenden strukturellen Eleganz, aber gerne mit viel Elan und einem verkaufsträchtigen Namen auf dem Cover. Beobachte ich manche Teenager in der Bahn, wie Sie die Nase tief in Kings neusten Wälzer vergraben haben, freut mich der Gedanke, dass seine Legacy nicht zwingend den Jubel einer resignierten Mittelklasse braucht. Vielleicht kann man ja auch einen positiven Einfluss auf die nächste Generation haben.
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- Königliche Wochen - September 2017