Bei mir war es die neue (und gebrauchte) Küche, deren Einbau und Installation eigentlich ganz flüssig vonstatten ging, bis die Sackgasse auftauchte. Der E-Herd funktionierte prima, die Dunstabzugshaube zog massig Dunst ab, alle Schränke waren gefüllt und selbst die Spülmaschine summte gesund vor sich hin – einzig und alleine die Spülarmatur war noch nicht installiert. Das lag an meiner eigenen Dummheit, hatte ich doch während des Wechsels zwischen Links- und Rechtskurve in meinem Wohnungsflur, den vorstehenden Wasserhahn mit sanftem Ruck einmal über die Rauhfaser gezogen. Auf gut Deutsch – das Teil war im Eimer und musste ersetzt werden.
Auftritt der oben erwähnten Heimwerkersammlung und richtig: nacheiniger Sucherei tauchte auch eine ältere Spülarmatur auf. Nicht nur das – der chromglänzende Wasserspender sah auch noch bedeutend besser aus, als der vorinstallierte. Doch bei näherer Betrachtung wurde mir klar, warum dieses schön designte Teil die letzten Jahre in einem dunklen Kellerraum verbracht hatte. Es fehlte die Befestigung.
Nun handelt es sich dabei um nicht mehr als zwei Schrauben und eine U-Scheibe mit zwei Bohrungen. Nichts leichter als das – also wieder tief eintauchen in Plastikbehälter voller Kleinteile, Schubladen beladen mit scharfkantigen Metallteilen und verstaubte Kellerecken mit diversem Do-it-yourself-Zubehör. Der Freitagabend endete mit einem heissem Bad und einer immer noch nicht funktionierenden Küche. Mal drüber schlafen und dann weitersehen.
Samstagmorgen, 8 Uhr. Während halb Deutschland noch in tiefstem Schlummer lag, machte ich mich kampfbereit. Ein Besuch in einem Baumarkt am Wochenende erfordert vollste Konzentration und perfekte Planung. Schließlich möchte man ja nicht wie einer der anderen “Guck mal wer da hämmert”-Junkies durch die Gänge schleichen, sondern mit seinem exellenten Wissen und genau abgesteckten Wünschen glänzen. Nach einem ausgiebigen Frühstück packte ich dann also die Armatur in den Rucksack (Vorsicht ist besser als nachher mit leeren Händen dazustehen), checkte noch einmal welche Kleinteile ich zusätzlich zur fehlenden Halterung noch benötigte (ein flexibler Schlauch und einen Adapter 3/8 auf 1/2 Zoll) und füllte meine Wasserflasche nochmals auf, bevor ich mich aufs Rad setzte.
Nun galt es noch den richtigen Baumarkt auszuwählen. Das ist garnicht so einfach, denn in den letzten 15 Jahren hat sich in diesem Bereich einiges getan. Da gibt es den Marktführer, dessen Markt als Haus bezeichnet wird, den anderen Markt in dem Theoretiker wie ich nicht gerne gesehen sind und natürlich den mit dem orangen Logo. Ich entschied mich zu letzterem, da ich mich noch gerne an dessen Anfangszeit erinnere, in der man dort mit einem fröhlich grinsenden Biber warb. Natürlich muss man dabei über seinen Schatten springen und kurzfristig vergessen, das dort momentan ein bekannter Queen-Song in der neuen Kampagne vergewaltigt wird, aber ich begebe mich ja schließlich nicht als Musikkritiker, sondern als Sanitäramateur mit einer Sanitärarmatur in den Hobbybunker.
Geschickt nutzte ich nachdem ich angekommen war den Nebeneingang an der Teppichabteilung. Jeder Baumarktprofi weiss natürlich, das dort samstags am wenigsten los ist und man sich so schon beim Eintritt einen ersten Vorsprung rausarbeiten kann. Doch leider meinte es das Schicksal nicht sonderlich gut mit mir, denn schon nach wenigen Metern stellte sich mir ein Container voller Angebote in den Weg, so dass ich seitlich in den Elektrogang ausweichen musste. Großer Fehler, denn nun war ich gefangen und musste gebückt dahergehenden (die günstigen Artikel sind auch beim Baumarkt meist unten zu finden) Elektro- und -nikfreaks slalommässig ausweichen. Das kostete Zeit und als ich dann endlich im Sanitärbereich anlangte, war das spärlich angesetzte Personal bereits von mehreren sie verfolgenden Hobbyklempnern besetzt. Auch am Informationsstand hatten sich bereits Schlangen gebildet – meine Hofnung auf fachgerechte Beratung konnte ich in den Wind schreiben.
Also frisch ans Werk und selbst gesucht. Auf der Regalwand mit dem Zubehör fand sich nahezu alles. Ein Griff und ich hatte den gewünschten Flexschlauch, nur ein halbes Stündchen suchen und auch der gesuchte Adapter war der meinige. Jetzt nur noch das Wichtigste, die Befestigung meiner Armatur – das konnte doch nicht so schwer sein...
Eine weitere halbe Stunde später war meine Verzweiflung bereits so groß, das ich drauf und dran war meine beiden Eroberungen wieder wegzuhängen und den Markt zu verlassen. Aber dann dachte ich wieder an den Anblick der skeletierten Küche mit der hochgeklappten Arbeitsplatte. Nein, so wollte ich das nicht das gesamte Wochenende stehen lassen. Ich bat eine orangebekittelte Dame um Hilfe, doch diese verwies mich nur mit der klassischen Aussage: “ich bin hier nicht zuständig, wenden sie sich bitte an den Kollegen da drüben.” weiter an jemanden der bereits von fünf Personen verfolgt wurde. Weitere drei oder vier Baumarktbesucher schienen ausserdem bereits ein Auge auf diesen Sanitärfachmann geworfen zu haben.
Ich entschied mich für eine andere Taktik. Sollte es den passenden Anschluß nicht geben, so musste ich halt in den sauren Apfel beissen und mir eine komplette neue Armatur zulegen. Ich suchte die Regale der anderen Seite ab und richtig, da war auch etwas in der von mir gerade noch erschwinglichen Kathegorie. 20 Euro – das klang nicht schlecht und der oberste Karton war auch noch offen, so dass ich den Inhalt genauer unter die Lupe nehmen konnte. Wunderbar, der Wasserhahn war zwar nicht so schön, wie das Luxusteil, das mir mit seinen nahezu zwei Kilos auf den Rücken drückte, aber dafür kostete es ja auch nur ein Zehntel dessen was ich damals für dieses Meisterwerk an Chromdesign ausgegeben hatte. Als ich den Billighahn dann zwecks genauerer Inspektion aus seinem Karton befreite fand ich darunter auch noch etwas, was mein Herz höher schlagen liess. Dort lag – schick verpackt in einem Plastiktütchen GENAU das Befestigungsmaterial, das mir zu meinem Glück noch fehlte.
Was also tun? Der erste Gedanke liess ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter erscheinen, dass mit dünner Stimme flüsterte: “Nimms einfach, das merkt doch kein Mensch!”, doch sofort meldete sich ein Engelchen auf der anderen Seite und setzte mir Visionen von mich jagenden Kaufhausdetektiven, schrillen Polizeisirenen und gefährlichen Seifenaufhebeaktionen in der Gefängnisdusche in den Kopf. Nein, ich war einfach nicht der Mann für solche Dinge. Ich bekomme ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich bei Gratisproben zweimal zugreife. Ein richtiger Diebstahl ist bei mir einfach nicht drin.
Ich nahm das Plastiktütchen mit den Schrauben und der U-Scheibe also an mich und stellte mich geistig drauf ein, mich der Gruppe der Baumarktangestelltenverfolger anzuschließen. Da plötzlich bemerkte ich aus den Augenwinkeln ein schmales und pickliges Etwas in gepflegtem Orange. Ein Lehrling – meine Chance. Schnell verstellte ich den anderen Hobbysanitären den Blick und Weg, drückte das Kehrbübchen an die Seite und erklärte mein Problem.
“Ich brauche genau dieses Teil hier, wo finde ich das denn einzeln?”, fragte ich und hielt dem Burschen mein Plastiktütchen mit dem klimpernden Inhalt vors Gesicht. Erstaunt blickte mich der Jüngling an, es erschein mir fast, als wäre er froh von einem Kunden angesprochen zu werden. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Sollte ich etwa erstmals in meinem Leben DEM Mitarbeiter aus der Werbung begegnet sein, dessen einziger Lebensinhalt es ist dem Kunden zur Hand zu gehen und dessen Probleme zu lösen?
Unmöglich eigentlich und schon begann der Knabe auch schon mit dem Spruch: “Ich bin hier nicht zuständig, da müssen sie sich an den Kollegen dort wenden.” Er wies mit der Hand locker in den Gang hinter mir wo die Menschentraube mit dem darin versteckten orangenen Kittel immer noch sanft wie in einer Meeeresbrise hin- und herwogte. “Ich schätze mal, bis ich den erreiche ist meine Arbeitsplatte durchgefault und ich brauche keinen Wasserhahn mehr.” entgegnete ich und entlockte den Kerlchen damit sogar ein Lächeln. Nun griff er in seine Innentasche und zog ein Handy hervor. “Moment,” sagte er, “ich versuche mal einen Kollegen zu erreichen.” und tippte drauf los.
Während der Junge nun tatsächlich mit einer Person am anderen Ende sprach begann ich verstohlen nach der versteckten Kamera Ausschau zu halten, konnte aber nichts sehen ausser den bösen Blicken, die mir aus der mittlerweile nähergekommenen Menschentraube entgegenstiessen. Der Lehrling klappte das Handy zu und wandte sich wieder mir zu.
“Der Kollege kommt gleich,” sagte er und verblüffte mich damit ein weiteres Mal. Dann setzte er noch einen drauf und versprach mir: “Ich werde jetzt schonmal mit Ihnen zusammen suchen und bei Ihnen bleiben, damit wir den Kollegen nicht verpassen.” Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten – so ungefähr müssen sich die Hungrigen gefühlt haben, als Jesus sie damals mit Fisch und Brot überschüttet hat.
Wir machten uns also nochmals an die Regale und während unserer erfolglosen Suche berichtete mir mein Retter davon, das er selbst schon oft in ähnlichen Situationen im Baumarkt gestanden habe und deshalb sehr viel Wert darauf legte seine Kunden glücklich zu machen. Es gelang mir kaum die Freudentränen zu unterdrücken und um der ganzen Sache noch ienen draufzusetzen erschien nach wenigen Minuten nun auch noch der angeforderte Kollege und beteiligte sich an der Suche.
“Hmmh, es scheint so, als führen wir diese Befestigung nicht mehr einzeln,” holte mich dieser schmerzhaft wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, “wo haben sie diese Befestigung eigentlich her?” Wieder schrillten in mir die Alarmsirenen, wieder schmerzte es in Erwartung zukünftiger Qualen in meinem hinteren Bereich. “Hab ich aus dem Karton da drüben,” gab ich kleinlaut zu und checkte schon die Rückzugsmöglichkeiten ab.
“Kein Problem,” sagte der orangebekittelte dann, nachdem er den restlichen Inhalt des Kartons überprüft hatte, “dann packen sie das Tütchen einfach ein. Ich werde das schon irgendwie mit dem Lieferanten regeln.”
Ich muss wohl dagestanden haben wie der berühmte Ochs vorm Berg. Meine komplettes von Sarkasmus, beissender Ironie und blankem Zynismus geprägtes Bild vom Baumarkt brach in diesem Moment zusammen. Ich stammelte irgendwelche Dankesworte und begab mich wie unter Trance zur Kasse, um meine beiden gefundenen Teile zu bezahlen.
Ich stand noch geraume Zeit auf dem Parkplatz vor dem Baumarkt, bevor das Zittern in meinen Beinen so weit abgeklungen war, das ich mich wieder aufs Rad setzen konnte. Nach diesem Erlebnis konnte ich diesem Markt fast das Verbrechen an Queens Song verzeihen – allerdings nur fast, den manche Dinge kann man nicht einfach durch kleine Aktionen wieder gut machen.
dia
- Dia