„Ahem, irgendwie kann ich mich besser konzentrieren wenn meine Finger was zu spielen haben.“ antworte ich – nicht gerade wie aus der Pistole geschossen, aber immer noch schnell genug um meine eigentliche Verwirrung zumindest zu überdecken.
„Aha!“
Nun ist AHA definitiv eines dieser angsteinflössenden Worte. Eines dieser Gebilde, die zumeist von einem tiefen Einatmen gefolgt und mit einer Kunstpause versehen in einer weiteren – zumeist eheblich unangenehmeren - Frage münden. Diesmal beginnt diese mit „Sag mal,“ was wiederum zu den Top Ten der Satzbeginne, die ich nun garnicht gut abkann zählt und endet in einem, „warum hast du den Schwanz eigentlich?“
„Nun ja,“ beginne ich und versuche währenddessen meine Gedanken zu ordnen. Schließlich gibt es eigentlich keinen richtigen Grund dafür. Ich habe begonnen ihn zu pflegen und zu kultivieren nachdem meine letzte positive Beziehung den Bach runter ist und mir irgendwie zum Ziel gesetzt, das erst „die Richtige“ ihn dann fast schon zeremoniell abschneiden darf um somit einen neuen Lebensaschnitt einzuläuten. Habe sozusagen um ein kleines Stück meiner Mannespracht eine eigene Religion entwickelt, habe in meinem Geist ein kleines, nicht sonderlich langes und dünnes Stück meiner Selbst zu etwas besonderem erhoben, das es eigentlich nicht ist. Da es sich um meine eigene Religion handelt habe ich eigentlich auch noch niemand daran teilhaben lassen. Selbst beste Freundinnen, die FAZ lesen zählen nicht zu den Eingeweihten. Eine Treffliche Ausrede musste her – und zusätzlich musste diese so gut sein, das weitere Diskussionen ausgeschlossen wurden und das Thema ad acta gelegt werden konnte.
„Viele meiner Lieblingspromis tragen Schwanz.“ fahre ich nun – stolz auf meine Kreativtät - fort und wickele ihn währenddessen mehrere Male um meine Finger.
„Zum Beispiel?“ klingt es fragend aus Richtung der nunmehr gefährlich zusammengefalteten Frankfurter.
„Aehh, Jerry Goldsmith.“
„Der ist tot.“
„Karl Lagerfeld.“
„Stockschwul.“
„Udo Lindenberg.“
„Das ist kein Schwanz, das ist abfliessende Hutmaterie.“
Jetzt wird es knapp – ich muss jemand finden, der auch ihr nur positive Reaktionen abfordern konnte. In meinem Kopf toben die Köpfe meiner Helden und Nichthelden. Tom Savini? Trug schon seit Jahren keinen Haaranhang mehr und den kannte ausser mir eh kaum einer. Steven Seagal? Alleine den Namen gegenüber einer Vertreterin der Weiblichkeit zu erwähnen grenzte an eine verbale Ohrfeige und zeugte nicht gerade von einem hohen IQ. Kurz vor dem Aufgeben kommt die Erleuchtung.
„Sean Connery,“ brülle ich nahezu heraus – glücklich darüber jemanden gefunden zu haben, dessen Name alleine den Herzschlag jeglicher Frau einige Takte höher schlagen liess. Ich setze mein gewinnenstes Lächeln auf – nichts, aber auch garnichts konnte jetzt mehr schiefgehen. Jede Frau würde eher wie die Hexe in „Wizard of Oz“ zerschmelzen, als auch nur etwas negatives über Sean – den Inbegriff ehrenhafter Männlichkeit zu verlieren. Ich hatte gewonnen.
Stolz blicke ich zum Tisch und sehe wie sie zerfahren die Zeitung wieder zur Hand nimmt. Kurz bevor ihr Kopf hinter dem großen Merkelfoto verschwindet holt sie Luft und stösst – sichtlich mit einiger Überwindung – heraus: „Nunja, wenn du meinst vom zurückgehenden Haaaransatz und den ersten grauen Haaren auf diese Weise ablenken zu können, dann soll es wohl so sein.“
Mist – wieder verloren – ich befühle meine sichtlich gewachsene Stirn und gedenke des morgendlichen Schmerzes durch gezieltes Herauszupfen einzelner grauer Gesellen. Obwohl sie der Wahrheit nicht einmal nahe gekommen ist hat sie es doch wieder geschafft mich tief zu treffen.
„Warum interessiert dich das eigentlich?“ frage ich – vielleicht etwas lauter als gewollt.
Der Merkelkopf senkt sich langsam und lässt ein recht unschuldiges Gesicht zum Vorschein kommen.
„Darf ich ihn abschneiden?“
- Dia